Herr Schreiber, wie lange beschäftigen Sie sich schon mit dem Blogger Raif Badawi?
Wenn man sich regelmäßig mit der Region auseinandersetzt, tauchen Badawi, aber auch eine große Zahl anderer saudischer Aktivisten immer wieder auf. Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen Menschen wegen ihrer Meinungsäußerung und Kritik am saudischen Königshaus oder dem Klerus verurteilt werden und hinter Gittern landen. Die Arbeit an dem Buch und das Sammeln der Texte begann allerdings erst im Januar.
Das ist eine vergleichsweise kurze Zeit. Was gab den Ausschlag dafür, sich intensiver damit zu beschäftigen?
Ursprünglich wollten der Ullstein-Verlag und ich uns im Januar zusammensetzen, um über neue Ideen zu sprechen. Dabei ging es eigentlich um andere Themen, wie den IS. Unmittelbar vor unseren Gesprächen fanden jedoch die Auspeitschungen Badawis statt, die ein weltweites Medieninteresse hervorgerufen haben. Eher beiläufig hat dann jemand gesagt, dass es eigentlich toll wäre, wenn man die Texte dieses Mannes gesammelt in einem Buch herausgeben könnte. Plötzlich war die Begeisterung so groß, dass ich einfach mal mit der Recherche begann. Ehrlich gesagt hatte ich sehr lange nicht gedacht, dass so etwas überhaupt funktionieren würde. Alleine schon die Möglichkeit, an Badawis Umfeld heranzukommen, erschien mir schwierig.
"Es waren sehr lange und teilweise auch persönliche Gespräche."
Constantin Schreiber
Wie hat es dann doch geklappt?
Ich habe verschiedene Kollegen angeschrieben, die in Kanada arbeiten, habe mich an eine Übersetzerin gewandt, die in Toronto lebt und früher zusammen mit Badawis Ehefrau gearbeitet hat. Nach mehreren Versuchen reagierte sie tatsächlich auf meine Mail. Sie schreibt zwar stark verfremdetes Englisch, aber in einer Weise, dass man denkt, sie könne die Sprache auch sprechen...
… was sie gar nicht tut?
Genau. Ich war wahnsinnig überrascht, dass Sie eigentlich kein Wort versteht. Selbst "Good Morning" war schon schwierig. Schon im Vorfeld unseres Treffens hatten wir jedoch am Telefon arabisch miteinander gesprochen. Es waren sehr lange und teilweise auch persönliche Gespräche. Das hat sicherlich seinen Teil dazu beigetragen, dass sie sich dazu entschied, das Buch mit einem deutschen Verlag machen. Aus den Gesprächen weiß ich, dass es unter anderem aus dem englischsprachigen Raum Interesse daran gab. Meiner Meinung nach war es in keinster Weise zu erwarten, dass wir mit dieser zeitlich knappen Anbahnung den Zuschlag bekommen würden - zumal wir ja sogar das Global Copyright besitzen.
Später sind Sie der Frau persönlich begegnet. Welchen Eindruck hatten Sie?
Das war in mehrfacher Hinsicht eine wahnsinnig spannende Reise. Sie lebt nicht etwa in Toronto oder Montreal, sondern in Sherbrooke City. Man fährt zu dieser Jahreszeit bei Minus 20 Grad durchs tief verschneite Kanada, kommt in einer sehr hässlichen Stadt im Nirgendwo an und trifft dann diese sehr kleine, zierliche Frau, die ein wahnsinnig beeindruckendes Gespür besitzt für Medien-Mechanismen. Ohne sie und dieses Gespür wäre dieser Fall vermutlich nicht so bekannt geworden. All diese Facebook-, Twitter- und Presseanfragen macht sie selbst. Ich fand es sehr beeindruckend, als Sie eine Mitteilung zur Neuauflage des Verfahrens verbreitete. Das ging nicht über Reuters oder AP, sondern ging von ihrer Email-Adresse an sämtliche Medien weltweit, die das Thema eine Stunde später dann auch auf Sendung gebracht haben.
Wie verlief die Arbeit mit Badawis Texten?
Das war das nächste Problem. Frau Badawi besitzt keine Sammlung der Texte Ihres Mannes. Es ist kein USB-Stick vorhanden, den man einfach anschließt und auswertet. Manche Texte liegen zwar vor, aber in den meisten Fällen mussten sie mühsam rekonstruiert werden, weil die ursprüngliche Website, auf der die Blogeinträge erschienen, längst gesperrt ist. Geholfen haben bei der Suche viele Foren, in denen Ausschnitte aus Texten mittels Copy & Paste eingesetzt wurden. Das alles muss erst mal gefunden und zusammengefügt werden - und nimmt viele Stunden in Anspruch.