Stefan, reden wir nicht lange drum herum: Ist das Fernsehen in den letzten zehn Jahren schlechter oder besser geworden?
Auch wenn ich es eigentlich hasse, wenn Menschen sagen, dass alles immer schlechter wird: Ich glaube in diesem Fall wirklich: Es ist schlechter geworden. Fernsehen wird heute oft liebloser, weniger sorgfältig gemacht und zunehmend für Leute, die eigentlich gar nicht richtig hingucken. Ich glaube auch, dass es weniger Bedeutung hat als noch vor zehn Jahren.
Kapitulieren die Sender vor der Tatsache, dass heute häufig nur noch nebenbei geschaut wird?
Das scheint mir tatsächlich häufig die Haltung zu sein. Ich bin ja selbst auch ein Zapper. Sachen, die man von der ersten Sekunde an sehen muss, haben's auch bei mir schwer - jedenfalls als Live-Fernsehen. Aber ich finde es zum Beispiel sehr traurig, dass es in Deutschland zum Beispiel keine ernstzunehmende Serie mit fortlaufender Handlung gibt. Und für die wenigen Versuche wurden die Sender von den Zuschauern regelmäßig geprügelt. Ich finde es auch verheerend, welche Rolle RTL als Vorreiter einnimmt. Dort entfernt man sich auch in Shows immer weiter von der Realität. Da ist es plötzlich egal, ob die Leute, die klatschen, wirklich in dem Moment geklatscht haben. Oder ob die Jury wirklich das Urteil zu genau diesem Kandidaten gesprochen hat. Es spielt keine Rolle mehr. Das einzige was zählt, sind die Reize, die den Zuschauer bombardieren müssen, damit er dran bleibt.
Hat sich das nur in Deutschland gewandelt? In den USA gibt es ja zahlreiche anspruchsvolle Serien mit fortlaufender Handlung, beispielsweise.
Auch in den USA schaut nur eine verschwindende Minderheit Serien wie „Breaking Bad“ oder „Mad Men“. Aufgrund der verschiedenen Erlösquellen, reicht es aber, sie fortzusetzen. Wenn in Deutschland der gleiche Prozentsatz an Zuschauern einschaltet, wäre das keine Größe mehr, für die irgendjemand so etwas produzieren könnte. Das ist die banale Antwort darauf, warum es solche Sachen in Deutschland nicht gibt. Und es fehlt hier auch Pay-TV. Solche Faktoren, die helfen könnten, Fernsehen zu machen, das nicht auf größtmögliche Massentauglichkeit angelegt ist, fehlen hierzulande.
Stimmt, die Zuschauerzahlen mancher US-Kultserie bewegt sich auf sehr niedrigem Niveau. Und doch sind die Serien ein Erfolg für die Sender.
Das kommt eben darauf an, wie man Erfolg definiert. Denn die Leute, die es schauen, lieben es, sind inspiriert, reden darüber. Das ist genau das, was Fernsehen in Deutschland abgesehen von ein paar RTL-Produktionen so selten schafft: Dass man am nächsten Tag mit Leuten darüber diskutieren kann.
Dann muss man RTL ja fast dankbar sein, dass es überhaupt noch Events gibt, über die man am nächsten Tag reden kann.
Wie Du schon sagst, man muss ihnen fast dankbar sein.
Ich finde es immer wieder interessant, wie viele auch meiner Bekannten Formate wie „Schwiegertochter gesucht“ schauen – und doch bei nächster Gelegenheit über Formate dieser Art schimpfen. Wie geht das zusammen? Schaust Du es?
Ich kann's persönlich nicht mehr sehen. Ich habe vor zehn Jahren viele dieser Sachen angeschaut, über die die meisten Fernsehkritiker sonst einfach nur geschrieben haben, ohne sie jemals gesehen zu haben: "Big Brother", Daily Talk und so weiter. Nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern weil es mich tatsächlich fasziniert hat. Wenn ich heute vor dem Fernseher sitze und es läuft „Schwiegertochter gesucht“, halte ich kaum fünf Minuten aus, auch nicht mit dem Blick der Konträrfaszination. Das liegt womöglich daran, dass ich zehn Jahre älter bin. Womöglich aber auch, dass das Fernsehen anders geworden ist, skrupelloser, vorhersehbarer. Als vor gut zehn Jahren „Big Brother“ startete, war es noch ein faszinierendes Experiment.