Frau Schäferkordt, wenn derzeit über die Zukunft des Fernsehens gesprochen wird, erwähnt irgendjemand früher oder später Netflix. Ich fang gleich damit an. Über einen Deutschland-Start wird spekuliert, wie reagiert die Mediengruppe RTL Deutschland? Ein eigenes SVoD-Angebot haben Sie noch nicht…
Wir beobachten den Markt genau und schauen, ob wir zum richtigen Zeitpunkt selber mit so einem Angebot in den Markt gehen. Es gibt ja schon einige SVoD-Angebote im deutschen Markt, die alle aber nicht groß genug sind, um das dahinterliegende Geschäftsmodell auf solide Füße zu stellen. Es geht bei dem Thema nicht nur darum, dem Publikum ein Angebot machen zu können, sondern dies auch mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell zu tun.
Und das sehen Sie nicht?
Das wird insbesondere im deutschen Markt nicht einfach werden. Keiner der existierenden Player hat es ja bislang geschafft, eine wirklich relevante Größe aufzubauen, die mit dem vergleichbar ist, was Netflix in den USA gelungen ist – und dies trotz zum Teil massiver Werbemaßnahmen. Momentan sehen wir keine First-Mover-Vorteile, um zum jetzigen Zeitpunkt in diesen Markt in Deutschland einzusteigen.
Mit SVoD-Portalen kommen neue Verwertungsfenster für Film- und Serienware aus den USA. Die Frage nach Verwertungsfenstern wird immer wichtiger. Sie haben das Windowing selbst als wichtiges Thema bezeichnet. Welche Konsequenz kann das Free-TV am Ende der Verwertungskette ziehen?
Für uns hat dieses Thema unterschiedliche Konsequenzen. Zunächst einmal ist es für uns wichtig, nicht von einem Genre abhängig zu sein. Das gilt für amerikanische Fiction wie auch für andere Genres, und dies über die gesamte RTL Group hinweg. Mit unseren großen Flaggschiff-Sendern wie RTL Television in Deutschland oder M6 in Frankreich haben wir uns durch lokale Eigenproduktionen – hausintern und mit Partnern – eine solche gewisse Unabhängigkeit erarbeitet. Keine Frage, amerikanische Serien sind ein wichtiger Bestandteil unserer Programme, aber eben nicht der wichtigste und einzige. Wir haben in Deutschland starke fiktionale Eigenproduktionen. Demgegenüber haben ja die Bedeutung und Zuschauermarktanteile der US-Serien in den vergangenen Jahren eher ein wenig abgenommen.
Macht das auch so manche Theorie über die Zukunft des Fernsehens, wie etwa die vielbeachtete Rede von Kevin Spacey für den deutschen bzw. europäischen Fernsehmarkt inkompatibel?
Die Dominanz der amerikanischen Fiction wird zweifellos etwas hochgeschrieben. Sie ist in der Form nicht da. Es gibt eine Tendenz, die wir seit einigen Jahren beobachten: Wenn begeistert über US-Serien gesprochen oder geschrieben wird, dann meistens über Produktionen, die bei uns bislang nicht das Massenpublikum erreicht haben – und auch in den USA nicht auf den großen Networks laufen. „House of Cards“ ist fantastisch produziert, aber wie viele Menschen die Serie tatsächlich gesehen haben, verrät Netflix nicht. Keine Frage: Unter Marketing-Gesichtspunkten hat es sich gelohnt. Was Netflix allein mit dieser Produktion an Gesprächsstoff geschaffen hat, ist beeindruckend. Der Produktionswert hat sich allein in dieser Hinsicht ausgezahlt, denn alle in der Branche reden darüber. Sobald eine solche Serie aber bei einem größeren deutschen Sender läuft, zeigt sich, dass sie dort kaum funktioniert. Bei Sat.1 kommt sie derzeit am späten Sonntagabend nach drei Ausgaben auf etwas über 7% Marktanteil und das selbst beim jüngeren Publikum. Selbst die Fans der Serie würden zustimmen, dass sie eines jedenfalls nicht ist: Mainstream.
Bei den International Emmys trifft sich die internationale TV-Branche und wie auch in Cannes fällt auf: Es gibt einen regeren Handel statt einer Einbahnstraße von den USA hinaus in die Welt. Oder täuscht das?
Das Bild ist differenziert. Wir müssen da, glaube ich, unterscheiden zwischen der fiktionalen und der non-fiktionalen Unterhaltung. Im Bereich der non-fiktionalen Unterhaltung ist in den vergangenen Jahren keiner der Hits aus den USA gekommen. Die großen Shows sind vor allem aus Europa, meist aus Großbritannien und den Niederlanden, gekommen. Momentan ist Israel im Kommen. Auch der ganze Bereich Real Life oder Reality kam aus Europa, angefangen mit „Big Brother“. Die großen Format-Marken dieser Tage kommen nicht aus den USA.
Und bei der Fiction?
Im Bereich der fiktionalen Unterhaltung sieht es in der Tat anders aus. Da dominieren die USA eindeutig. Oder um Ihr Bild aufzugreifen: hier gibt es immer noch die Einbahnstraße von den USA zu uns. Europäische Fiction wird zwar wichtiger, aber wir fahren derzeit noch mit dem Fahrrad gegen die Einbahnstraße. Natürlich verkaufen sich auch deutsche Produktionen sehr gut im internationalen Markt. Aber sind deutsche Serien erfolgreich in der US-Primetime? Nein. Die Amerikaner sind noch nicht so weit, dass sie synchronisierte Serien zur besten Sendezeit akzeptieren würden.
Im Non-Fiktionalen liefert RTL in Deutschland die größten Show-Franchises. Im Fiktionalen ist RTL aber zuletzt nicht viel gelungen. Ist das ein Manko, das behoben werden muss? Muss man da mehr investieren?
Das ist in erster Linie keine Frage der Investitionssummen. Es wird ja ab und an so getan, als würden wir nicht investieren wollen. Zunächst einmal geht es aber darum, dass wir die richtigen Inhalte produzieren. Wir haben außerdem mit „Alarm für Cobra 11“ eine erfolgreiche Primetime-Serie und – was oft aus der Betrachtung herausfällt – drei starke Dailysoaps. Das ist zusammen ein immenses Produktionsvolumen. All diese Serien liefern gute Einschaltquoten und tragen signifikant zur Zuschauerbindung an die Marke RTL bei. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir für RTL eine neue, gut funktionierende wöchentliche fiktionale Serie wünschen. Wir investieren weiter und entwickeln in mehrere Richtungen. Ziel ist es, etwas zu finden, was ein breites Publikum findet. Free-TV ist schließlich ein Massenmedium.
Sie werden mir vermutlich zustimmen, wenn ich sage: Die RTL Group produziert ja keine Fernseher sondern Fernsehen…
(lacht) Ja, das ist immer noch der Fall, richtig. Worauf wollen Sie hinaus?
Dann könnte es einem von Inhalte getriebenen Medienhaus langfristig gesehen doch im Grunde egal sein, wie Fernsehen in der Zukunft konsumiert wird. Wäre da nicht das Ärgernis mit der Messbarkeit…
…der Einschaltquote, welche die gesamte TV-Nutzung über alle Plattformen und digitalen Endgeräte längst nicht mehr passend widerspiegelt. Hier sind wir in Deutschland mit der crossmedialen Konvergenzwährung auf einem guten Weg – und im Übrigen auch weiter als so manch andere europäische Länder. Im nächsten Jahr werden wir deutlich mehr Zahlen zur Verfügung haben und diese auch der werbetreibenden Industrie zur Verfügung stellen. Die Messbarkeit und Ausweisung ist sicher eine der Herausforderungen des Fernsehens in der digitalen Medienwelt, aber nicht die alleinige.
Welche sehen Sie da noch?
Auch hier geht es wieder um funktionierende Geschäftsmodelle. Bei der digitalen Werbevermarktung geht es beispielsweise darum, das Preisniveau für Premium-Inhalte zu schützen, um diese Premium-Inhalte eben auch künftig zu ermöglichen. Sie haben im Umfeld von Premium-Fernsehen ganz andere Werbepreise als bei Short-Form-Videos auf YouTube. Von User-Generated-Content gar nicht zu sprechen. Wenn es in der Refinanzierung ein angemessenes Level für Premium-Content gibt, dann gebe ich Ihnen völlig recht, wenn Sie sagen: Dann kann es uns egal sein, auf welchem Wege unsere Zuschauer unsere Inhalte konsumieren, ob linear oder nicht linear. Wir definieren uns über Inhalte, nicht über Verbreitungswege. Es sollte nicht darum gehen, wie geguckt wird, sondern was. Am liebsten unsere Inhalte (lacht).
Also ist das Fernsehen nicht tot, es ändert sich nur die Definition des Begriffs?
Ich bin über zwanzig Jahre in der Branche und die skeptische Frage, ob wir denn in drei oder fünf Jahren überhaupt noch linear fernsehen werden, habe ich in dieser Zeit immer wieder gehört. Erinnern Sie sich noch daran, wie der Videorekorder einst als der Tod des linearen Fernsehens betrachtet wurde? Und danach kamen noch viele andere Themen, darunter auch User Generated Content. Davon haben wir uns inzwischen deutlich wegbewegt. Wenn jetzt so oft von Netflix gesprochen wird, dann reden wir da ja letztlich über hochwertige TV-Inhalte. Da gibt es also neuen Wettbewerb auf einem Markt, den wir schon sehr lange und sehr gut kennen.
Sie haben in New York den Directorate Award der International Academy for Television Arts & Sciences erhalten; eine internationale Ehrung für Verdienste um die TV-Wirtschaft. Ich habe gerade mal überlegt, eine vergleichbare Auszeichnung gibt es in Deutschland gar nicht, oder?
(überlegt) Es gibt den Horizont Award für die Medienpersönlichkeit des Jahres. Aber sonst gebe ich Ihnen Recht.
Sagt das auch etwas über das Selbstverständnis der Branche in Deutschland aus?
Ich möchte mich da jetzt persönlich zurücknehmen. Dennoch würde ich sagen, dass wir in Deutschland manchmal zu wenig offen und insgesamt einen Hauch wirtschaftsfeindlicher sind als zum Beispiel in den USA. Wir feiern eher die kreativen Inhalte, weniger die verschiedenen Macher dahinter.
Frau Schäferkordt, herzlichen Dank für das Gespräch.