Offener Brief

Acht Jahre ist es her:  Auf dem Berliner Gendarmenmarkt gibt es ein exklusives Konzert mit Marius Müller-Westernhagen, die komplette Jägerstraße ist zur Partymeile mit Mega-Catering umfunktioniert worden. Gefeiert wird die Eröffnung der Sat.1-Zentrale im Herzen der Hauptstadt. Endlich ist es geschafft: alle Sat.1-Mitarbeiter sind  unter einem Dach vereint. Wir sind stark, haben „ran“ mit der Fußball-Bundesliga, Harald Schmidt sendet an vier Abenden pro Woche seine Late-Night-Show, der Sendetag beginnt mit dem erfolgreichsten Frühstücksfernsehen der Republik und es gibt etliche weitere erfolgreiche Formate im Programm des zweitstärksten deutschen Privatsenders.

Heute lasten über 3,8 Milliarden Euro Schulden auf der Pro7Sat1MediaAG, im vergangenen Jahr wurden erfolgreiche Sendungen aus dem Info-Bereich eingestellt, Mitarbeiter wurden zuhauf entlassen. Bundesliga und Schmidt sind längst bei der ARD, die neuen Eigner gönnen sich bei einem Jahresgewinn von 249 Millionen Euro eine Dividende in Höhe von 270 Millionen (2007), inzwischen ist sogar das Wort „Jahresgewinn“ durch „Einbruch“ ersetzt worden, der Vorstandsvorsitzende De Posch hat schon vor fünf Monaten seinen Abgang verkündet und bis heute ist kein Nachfolger in Sicht, von einer erkennbaren Strategie für die Zukunft der Senderfamilie kann überhaupt keine Rede sein. Und jetzt soll Sat.1 von Berlin-Mitte nach München-Unterföhring verlagert werden. Alles in allem ein Protokoll des Scheiterns.

Über 600 Familien am Standort Berlin sollen gröbste Management-Fehler der vergangenen Jahre ausbaden.  Entgegen aller wirtschaftlichen Logik, entgegen aller strategischer Vernunft. Mit dem angedachten Umzug verliert unser Konzern weiter an Attraktivität, mögliche Einzel-Sender-Verkaufsoptionen werden ohne Not geopfert. Noch ist Sat.1 ein breit aufgestellter „Stand-Alone-Sender“ mit einem großen Werbepotential. Nach einem Umzug wird dieser  Sender zu einem gesichtslosen Bestandteil einer Fernsehfabrik holländischen Zuschnitts.

Ob die Werbewirtschaft den unvermeidbaren Markenverlust von Sat.1 durch die Standortverlagerung einfach so hinnehmen wird, ist mehr als zweifelhaft. Gestärkt wird unser Senderprofil durch die geplante Zusammenlegung auf keinen Fall. Ob man in München noch in der Lage ist, die Kosten einer Sender-Verlagerung überhaupt einigermaßen seriös zu errechnen,  darf angesichts vieler Fehleinschätzungen der jüngeren Vergangenheit ebenfalls stark bezweifelt werden. Ohne Not eine äußerst attraktive Dependance in der Hauptstadt zu räumen, spricht ebenfalls nicht unbedingt für überlegtes Handeln.

Was glaubt München eigentlich, was für ein Sat.1 in Unterföhring ankommen wird?
Wenn bis zum vergangenen Wochenende noch etwas Rest-Vertrauen in die eigene AG vorhanden war, ist dieses Kapital  inzwischen aufgebraucht.

 Zu befürchten ist  für die kommenden Monate ein bislang einzigartiger Kompetenzverlust bei Sat.1. Die Enttäuschung und Unzufriedenheit ist bei allen Mitarbeitern so groß, dass es nur noch ein Thema auf den Fluren gibt:  „Ich will hierbleiben. Ich möchte unter vernünftigen Bedingungen ein erfolgreiches Programm gestalten.“

Das sind UNSERE „Must Haves“.

Wir haben deshalb in der Zentralredaktion geheim und anonym über folgende Frage abgestimmt:
"Wenn die Entscheidung fällt, Sat.1 komplett nach München zu verlegen, wirst Du dann mitgehen?“

Die überwältigende und absolute Mehrheit der Sat.1 Zentralredaktion hat dies entschieden verneint.

Im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sat. 1 Zentralredaktion in Berlin

Dieser Brief wird unterstützt von der Interessenvertretung der Medienschaffenden
connexx.av und dem DJV Berlin