Das größte Problem von "Anna und die Liebe" hat nichts mit der Produktion selbst zu tun. Es ist der Sendeplatz, den Sat.1 mit der neuen Telenovela zurückerobern will. Denn vor der Frage, wie gut oder schlecht die von Producers At Work produzierte Serie nun eigentlich ist, muss die Frage stehen, ob es auf diesem Sendeplatz ein Publikum für dieses Genre gibt. Bei Sat.1 hofft man auf ein zweites Wunder von Berlin, wie es einst bei "Verliebt in Berlin" gelang und dem ganzen Sender in den Folgemonaten zum Aufschwung verhalf. Doch diesmal wird es ungleich schwieriger: Fast zeitgleich zeigt RTL inzwischen sehr erfolgreich mit bis zu 20 Prozent Marktanteil in der jungen Zielgruppe die Dailysoap "Alles was zählt".
Weder "Unter uns", noch "Verbotene Liebe", "Marienhof" oder "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" haben eine zweite Serie gleicher oder ähnlicher Machart gegen sich laufen. "Anna und die Liebe" muss sich diesem Wettbewerb von Anfang an stellen. Auch deshalb fiel die Werbekampagne im Vorfeld des Starts wohl so massiv aus. Die Quote der ersten Folge - sie lässt sich so schwer vorhersagen wie es nur selten der Fall ist. Die Qualität der Telenovela spielt dabei noch nicht einmal eine Rolle. Heute Abend um 19 Uhr geht es um die Frage, wie hoch Neugier und Interesse des Publikums sind. Das allein kann "Anna und die Liebe" über die ersten 30 Minuten tragen. Wie bei jeder Serie entscheiden erst die weiteren Folgen über Erfolg oder Misserfolg. Und dann geht es auch um die Frage: Kann "Anna und die Liebe" überzeugen?
Handwerklich definitiv nicht. Und doch: Man kann nach den ersten fünf Folgen nicht behaupten, schlecht unterhalten worden zu sein. Die neue Sat.1-Telenovela funktioniert - wenn man immer mal wieder die Augen zudrückt und nicht daran denkt, wieviel besser es hätte werden können. Die Ausgangssituation ist schnell erzählt. Die schüchterne Anna Polauke alias Jeanette Biedermann verliebt sich in den coolen Jonas Broda, der zusammen mit bösem Bruder, böser Mutter und gutem Vater in einer Werbeagentur arbeitet, in der auch Anna nur zu gerne ihr Geld verdienen würde - auch um Jonas möglichst nahe zu sein. Pech für Anna: Ihre Stiefschwester bewirbt sich mit ihren Unterlagen und bekommt den Job, den die arme Anna wollte.
Die ersten Folgen der Telenovela überzeugen weniger durch die sich anbahnende Liebesgeschichte als durch die Ungerechtigkeit, die durch das Handeln der bösen Stiefschwester geschaffen wird. Dass man in Folge dessen stets ahnt, was als nächstes passieren wird, ist ehrlicherweise keine Eigenschaft von "Anna und die Liebe" allein und in gewisser Weise auch wichtiger Bestandteil jeder täglichen Serie. Dailysoaps leben nicht von der völligen Ratlosigkeit des Zuschauers. Sie leben von Spekulationen und Vermutungen, was aus den Protagonisten wird. Telenovelas auch, immerhin ist hier das Ende ohnehin schon vordefiniert.
Wirklich furchtbar allerdings ist die völlig überzogene Schüchternheit von Biedermanns Serienfigur, die jeder Glaubwürdigkeit entbehrt. Bedauerlicherweise ist es damit ausgerechnet Biedermann, die bei den schauspielerischen Leistungen in diesen Momenten die schlechteste Figur abgibt bzw. abgeben muss, weil es laut Drehbuch so gewünscht ist. Schlimm auch: Das elterliche Restaurant wirkt in Aussenaufnahmen noch eher nach Berliner Gastronomie - doch von innen beschleicht einen das Gefühl einer Dorfkneipe, in der wiederum die Werber aus der Agentur von gegenüber wie Aliens erscheinen. Dass die Werbeagentur über keine Kaffeemaschine verfügt und deshalb ausgerechnet in der Dorfkneipe bzw. dem Restaurant von Polaukes Kaffee holen gehen muss, setzt der Szenerie die Krone der Absurdität auf.
Vielleicht aber regen sich darüber und über das billig wirkende Set der Werbeagentur nur die Kritiker auf. Denn Groschenromane werden auch gerne gelesen, obwohl sie bei ihrer Qualität nie einen Preis bekommen würden. Außerdem lässt sich manches noch über die Bücher der kommenden Folgen regulieren. Das ist bei jeder täglichen Serie so gewesen - und wird sich auch bei "Anna und die Liebe" nicht ändern. Oft konnte man in den vergangenen Tagen Vergleiche mit "Verliebt in Berlin" lesen. Doch bei einem Genre, in dem sich selbst Produzenten und Autoren einig sind, dass man in gewisser Weise immer dem gleichen Muster folgen muss, ist die Nähe zu "Verliebt in Berlin" kein Vorwurf. Nein, daran krankt es nicht. Hier wäre Sat.1 auch schlecht beraten gewesen, wenn man noch einmal versucht hätte mit den klassischen Regeln einer Telenovela zu brechen. "Anna und die Liebe" funktioniert. Ob es auch gegen "Alles was zählt" funktioniert, zeigen die Quoten morgen früh.