Erinnern Sie sich noch an den 31. August 2001? Das war der letzte Sendetag von tm3, ehe der einstige Frauen- und Fußballsender schließlich endgültig in einen Mitmachsender umgewandelt wurde - unter dem Namen 9Live sollte der Kanal schließlich fast eine ganze Dekade des deutschen Fernsehens prägen. Eher unrühmlich, wie sich im Laufe der Jahres herausstellen würde.
Verbunden wurde das Call-in-Fernsehen anfangs vor allem mit einem Namen: Christiane zu Salm. Die frühere MTV-Chefin brachte mit 9Live tatsächlich frischen Wind ins Fernsehen, denn von den dubiosen Telefonspielchen, wie sie später immer häufiger praktiziert wurden, war zu Beginn der 9Live-Ära nur wenig zu spüren. Da gab es eine Talentshow, die Zocker-Show "Alles auf Rot" oder den "Plattenteller" mit dem früheren Hitparaden-Moderator Uwe Hübner.
"Wir wollen kein Arte sein, sondern ein Unterhaltungsgebrauchsartikel", brachte es zu Salm noch vor dem Start auf den Punkt. Dass die Zuschauerzahlen deutlich rückläufig waren, störte sie allerdings nur wenig. Denn während andere Sender sinkende Werbeeinnahmen verbuchten, nahm 9Live mit seinen Anrufshows Millionen ein. Das Geschäft lief gar so gut, dass es sich der Sender leisten konnte, auf Werbung in seinem Programm zu verzichten. Was viele heute jedoch nicht mehr wissen: Angefangen hatte das Phänomen Call-in-Shows einst gar nicht mit 9Live.
Viel mehr brachte RTL II im Jahr 2000 am selben Tag wie "Big Brother" auch die tägliche Spielshow "Call-TV" an den Start. Unterteilt war das Format damals in drei jeweils einstündige Blöcke, von denen die letzte Stunde mit dem Titel "Game TV" die wohl mit Abstand unterhaltsamste Facette zeigte, die es jemals im Call-in-Fernsehen zu sehen gab. Pointiert und witzig führten Gernot Wassmann und Kai Spitzl durch simple Würfel- oder Kartenspiele und waren dabei nie um einen Spruch verlegen - wer bei Call-in also ausschließlich an "Tiere mit Y" denkt, hat die schönen Seiten des Genres wohl leider verpasst.
Stattdessen hat sich 9Live in den folgenden Jahren sein eigenes Grab geschaufelt. Undurchsichtige Regeln und nicht enden wollende Spielrunden sorgten schließlich dafür, dass die Zuschauer immer weniger Geld für die Anrufspielchen ausgeben wollten. Dabei erschien das Konzept zwischenzeitlich sogar derart vielversprechend zu sein, dass selbst große Sender wie RTL nachts weite Teile ihrer Sendezeit freiräumten, um zusätzliche Einnahmen generieren zu können. Schwarze Schafe gab es zwischenzeitlich immer wieder - so wie den Sender BTV4U, der mit der Übernahme durch Thomas Hornauer zwischenzeitlich ein ähnliches Konzept verfolgte und sich mit 9Live mitunter sogar auf dem Bildschirm hitzige Wortgefechte leistete.
Selbst Gerichte mussten sich mit dem Streit befassen, nachdem Christiane zu Salm dem Konkurrenten aus Ludwigsburg "sklavische Nachahmung von Spielmodi" vorwarf. Ohne Erfolg: Eine direkte Ähnlichkeit zu 9Live sei im Falle von BTV4U nicht zu erkennen, zudem seien verschiedene Spielelemente einfach Bestandteil solcher Formate. Inzwischen sind beide Sender jedoch Geschichte, fast alle Call-in-Shows sind vom Bildschirm verschwunden - lediglich Sport1 füllt noch immer einige Stunden am Tag sein Programm mit skurrilen Ratespielen. Ein Modell für die Zukunft ist all das aber sicher nicht. Schön für die vielen Kritiker, aber eigentlich schade um ein einst so viel versprechendes Konzept.