Erlaubt ist, was gefällt. Das gilt fürs Leben wie fürs Fernsehen. Und doch gibt es im deutschen Fernsehen eine Hand voll Formate, bei denen man binnen weniger Sekunden von einem schlechten Gewissen regelrecht überrollt wird. "Schwer verliebt" ist so eine Sendung, die man eigentlich kaum ansehen kann, ohne sich ernsthaft schlecht dabei zu fühlen. Das hat gewiss viele Gründe. Aber keiner wiegt so schwer wie der Umgang mit den Kandidaten. In seiner gemeinsamen Talkshow mit Charlotte Roche warf Jan Böhmermann der Moderatorin von "Schwer verliebt", Britt Hagedorn, einmal vor, "Grenzdebile am Rand zur geistigen Behinderung vorzuführen". Hagedorn zeigte sich daraufhin konsterniert und entgegnete Böhmermann im Gegenzug, mit seiner Aussage ihre Kandidaten zu beleidigen.
Doch wer am Sonntag auch nur ein paar Minuten lang den Auftakt der zweiten Staffel von "Schwer verliebt" gesehen hat, der kann vermutlich verstehen, was Böhmermann meinte, als er im März auf die Sat.1-Moderatorin losging. Denn selbst wenn man dem Sender eine gute Absicht unterstellt und dem Liebesglück der chronischen Dauer-Singles doch bloß auf die Sprünge geholfen werden soll, so beschleicht einem beim bloßen Zuschauen das Gefühl, dass hier Menschen vor eine Kamera gezerrt werden, die bis zu einem gewissen Grad überhaupt nicht in der Lage dazu sind, das Ausmaß ihres Handelns überschauen können. Und manchmal sind es schon Kleinigkeiten, die dieser Sendung ihren fast schon ekelhaft-zynischen Unterton verleihen.
Dass die Musik von "Dick und Doof" bei der Vorstellung des ersten Kandidaten als Untermalung verwendet wird, kann wohl kaum ein unglücklicher Zufall sein. Viel mehr ist es Ausdruck einer respektlosen Haltung gegenüber den eigenen Protagonisten. "Dick und Doof" scheint nach Meinung der Macher von "Schwer verliebt" wie gemacht zu sein für Erik, den man als einsamen Kirchgänger bezeichnet. "Der 47-Jährige sucht seit langem eine Frau, die sein großes Hobby mit ihm teilt", sagt Hagedorn aus dem Off. Doch Erik ist nicht etwa passionierter Golfspieler, sondern eigenbrödlerischer Sammler von Kugelschreibern. Und so sitzt er nun also in seinem Zimmer und reinigt mit einem Taschentuch eine Mine. Sage und schreibe 50 Stifte zähle seine Sammlung inzwischen, die täglich überprüft werden müssten, heißt es.
"Es gibt verschiedene Kugelschreiber von verschiedenen Firmen und das finde ich auch sehr interessant", sagt Erik, der offensichtlich ein Problem mit seiner Atmung hat, wie nicht zu überhören ist. Er erzählt, dass er Kugelschreiber nicht nur in den Farben blau und schwarz besitzt, sondern auch in rot und grün. Während er davon spricht, lässt sich beobachten, wie Erik dutzende Male seinen Namen auf ein Blatt Papier schreibt. Später sieht man ihn unbeholfen mit einer Fliegenklatsche durch sein Wohnzimmer tapsen. Das Bittere daran: Es ensteht ein Gefühl von Mitleid. Einerseits mit dem Mann, der in seiner begrenzten Welt mit seinen 50 Stiften lebt. Und andererseits mit den Fernsehleuten, die es zulassen, dieses Mitleid durch unsensible Zusammenschnitte überhaupt erst hervorzurufen.
Doch Erik ist nicht der einzige, den es trifft. Den naturliebenden Nudisten Gerhard begleitet ein Kamerateam an einen FKK-Badestrand. Der geneigte Zuschauer wird also Zeuge, wie sich der korpulente Mann alsdann mit nacktem Hintern in die Fluten stürzt. Beim anschließenden Gang durch seine Wohung erfährt man, dass Gerhard "in Sachen Haushaltsführung noch jede Menge Nachhilfe" braucht. Und dann ist da auch noch Kandidat Bernd, der für seine auserwählten Herzdamen "liebevoll gestaltete Schilder" bastelt. "Kreativ" schwinge er den Pinsel, ist zu hören. Doch auch dieser Kommentar aus dem Off ist natürlich vergiftet. Scheinbar beiläufig wird nämlich gezeigt, dass der junge Mann ganz offensichtlich orthografische Schwierigkeiten hat.
Schon das Schreiben seines Namens bereitet ihm Probleme und was er mit den Worten "Bis Angekommen" zum Ausdruck bringen möchte, bleibt völlig im Unklaren. Für Hagedorn sind das "romantische Wegweiser", die er da kritzelt - andere würden vermutlich von einer bodenlosen Frechheit sprechen. Nicht das Malen der Schilder, sondern das offensichtliche Zurschaustellen dieses Mannes, der zu allem Überfluss nun auch noch hämische Kommentare über sich ergehen lassen muss. Dass man seine Heimat - eine Hochhaussiedlung - als "bezauberndes Bergisches Land" bezeichnet, stinkt zwar zum Himmel, wirkt dagegen aber fast schon harmlos. Unverschämtheiten wie diese gibt es bei "Schwer verliebt" zuhauf und es ist erschreckend, wie verachtend über weite Teile der Sendung hinweg mit den Kandidaten umgegangen wird.
Sicher: Sie alle werden sich freiwillig für die Teilnahme an der Show beworben haben. Niemand hat sie dazu gezwungen, sich einem Millionenpublikum zu zeigen. Ob sie aber tatsächlich abschätzen können, wie sehr sie verunglimpft und der Lächerlichkeit preisgegeben werden, darf angesichts vieler der gezeigten Szenen doch stark bezweifelt werden. Dass genau das von Anfang bis zum Ende billigend in Kauf genommen wird, macht das Format so schwer erträglich. Gewiss muss es erlaubt sein, sich - wie im Dschungel - auch mal über andere lustig zu machen. Wenn es jedoch auf Kosten derer geht, die sich nicht wehren können, ist das einfach nur ein Trauerspiel. Man schämt sich beim Zuschauen. Und man kann nur hoffen, dass das auch für die Macher dieser Sendung gilt.