Ein Abgesang auf das lineare Fernsehen wurde angesichts der Konkurrenz etwa durch das Internet nicht erst einmal angestimmt - doch auch 2010 ließ er sich durch harte Zahlen mal wieder nicht untermauern. Im Gegenteil: Noch nie sahen die Deutschen so lange fern wie im vergangenen Jahr. Der durchschnittliche Fernsehkonsum stieg auf 3 Stunden und 43 Minuten - elf Minuten mehr als in den bisherigen Rekordjahren 2009 und 2006. Welche Sender die deutschen dabei besonders lang laufen ließen, zeigt der folgende Blick auf die Jahres-Marktanteile.
2010 - das war Quotensicht ganz klar das Jahr von RTL. Nachdem sich der Kölner Dauer-Marktführer bereits 2009 um beachtliche 1,2 Prozentpunkte auf starke 16,9 Prozent in der Zielgruppe steigern konnte, ging es 2010 im gleichen Tempo weiter: Erneut legte RTL um 1,2 Prozentpunkte zu und kann so nun am Jahresende mit 18,1 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen das stärkste Jahr seit 2003 feiern - und das in einem Jahr, in dem Olympische Spiele und Fußball-WM auch bei RTL auf die Quoten drückten. Und 2011 könnte es noch weiter aufwärts gehen: Die stärksten Quoten erzielte RTL in der zweiten Jahreshälfte, im Oktober kratzte man gar bereits an der 20-Prozent-Marke.
Fast noch beachtlicher angesichts von WM und Olympia: Sogar beim Gesamtpublikum stieg RTL 2010 wieder zum Marktführe auf - zum ersten Mal seit sieben Jahren. Der RTL-Jahresschnitt stieg um 1,1 Prozentpunkte auf 13,6 Prozent. Zwar legten auch Das Erste und das ZDF sportbedingt zu, doch längst nicht so stark wie RTL. Der Vorsprung vor dem Ersten beträgt auch hier nun deutliche 0,4 Prozentpunkte.
Grundstein des RTL-Höhenflugs, der bereits im Herbst 2009 begann, ist dabei nach wie vor der starke Nachmittag. Bis heute fährt RTL dort mit seinen Scripted Reality-Formaten sensationelle Marktanteile von häufig über 30 Prozent in der Zielgruppe ein. Diese Zeitschiene war jahrelang die größte Baustelle des Senders und hatte den Senderschnitt stets nach unten gezogen. Ohne diesen Malus schlagen die Quoten-Erfolge in der Primetime nun voll auf den Senderschnitt durch.
Dort konnte RTL in diesem Jahr vor allem mit seinen beiden Castingshows punkten: In der ersten Jahreshälfte legte "DSDS" deutlich zu und erreichte die besten Quoten seit Jahren, im Herbst legte "Das Supertalent" dann noch einen drauf und räumte mit teil über 8 Millionen Zuschauern und 40 Prozent Marktanteil ab. Das überdeckte so manches Problemchen in der Primetime, das es durchaus auch bei RTL gab: Die Mittwochs-Dokusoaps haben ihre besten Zeiten ebenso hinter sich wie "Dr. House" am Dienstagabend - und für "Monk" ist noch immer kein wirklicher Nachfolger gefunden. Doch angesicht der sonstigen riesigen Erfolge konnte RTL all das mühelos verkraften und in Ruhe an Alternativen arbeiten.
"Voll auf die 12" - so lautet die Losung, die ProSieben-Chef Thilo Proff für 2011 ausgegeben hat. Ein Ziel, das nicht ganz leicht zu erreichen sein wird. Im Vergleich zu diesem Jahr müsste jedenfalls eine deutliche Steigerung her. 2010 büßte ProSieben nämlich im Vergleich zum Vorjahr sogar 0,3 Prozentpunkte in der Zielgruppe ein und kam nicht über 11,6 Prozent Marktanteil hinaus. Damit war man so weit von der 12-Prozent-Marke entfernt wie seit 2006 nicht mehr.
Das liegt zum einen natürlich in der WM-Delle begründet, der die Privatsender im Sommer kollektiv anheim gefallen sind. Doch ein Blick auf den Jahresverlauf zeigt auch: Seit Proff das Ziel Mitte des Jahres ausgegeben hat, gelang ProSieben nur ein einziges Mal im Oktober knapp das Erreichen der 12-Prozent-Marke - in allen anderen Monaten lag ProSieben seit Juni darunter. Im Dezember sah es mit nur 11,2 Prozent Marktanteil sogar so schlecht aus wie seit der WM nicht mehr.
Betrachtet man das Gesamtpublikum, sieht es für ProSieben mittlerweile richtig bitter aus: 6,3 Prozent betrug der durchschnittliche Marktanteil in diesem Jahr noch, das waren 0,3 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. ProSieben war somit gemeinsam mit Sat.1 der größte Verlierer des Jahres. Einen niedrigeren Marktanteil erreichte ProSieben zuletzt 1991 im dritten Jahr seines Bestehens. Zum Verhängnis wird dem Sender hier freilich ein Stück weit auch seine für ein Vollprogramm sehr junge Ausrichtung in Verbindung mit dem demographischen Wandel.
Immerhin: Eine der großen Baustellen bekommt der Sender wohl langsam in den Griff. Die chronisch schwache Daytime, in der zu Jahresbeginn noch reihenweise qualitativ meist höchst fragwürdige Scripted Reality-Formate gefloppt waren, pendelt sich mit US-Sitcoms langsam auf einem soliden Quoten-Niveau ein - allerdings auf Kosten von kabel eins. In der Primetime bleiben weiterhin die beiden Serien-Tage Montag und Mittwoch die größten Unsicherheitsfaktoren: Montags fehlt ein weiterer Quotenhit neben "Fringe", mittwochs erfolgversprechende Formate neben "Housewives" und "Grey's Anatomy". Es bleibt abzuwarten, ob ProSieben Erfolg damit hat, die Sitcom-Schiene vom Dienstag auch auf den Mittwoch auszuweiten, wie es nun mit "How I met your Mother" versucht wird.
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