Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass ich diese Kolumne begonnen habe. Das ist in Serienjahren umgerechnet: 55 Jahre. Mindestens. Zumindest fühlt es sich so an, denn das Genre hat sich so rasant verändert und entwickelt, dass es unmöglich nur fünfeinhalb Jahre gewesen sein können. 2020 dann hat diese Entwicklung eine nicht absehbare Wendung genommen: Die Pandemie hat Produktionen lahmgelegt, teilweise unmöglich gemacht. Einerseits hat sie bestimmte Innovationen gebremst. Zum Beispiel Dennis Kellys unerwartete Idee, den zweiten Teil seiner ohnehin ungewöhnlichen britischen Serie "The Third Day" als zwölfstündiges Live-Event vor Publikum aufzuführen. Das Event fand zwar statt, doch es wurde nur live übertragen, das Publikum musste an Bildschirmen zuschauen. Andererseits hat die Pandemie andere Innovationen geradezu erzwungen: Das Kammerspiel wurde zum heißen Scheiß des Jahres. Eine Schauspielerin oder ein Schauspieler, der oder die in den eigenen vier Wänden performt. Dialoge finden über Telefon oder Videotelefonie statt. (Oder durch Wände oder Türen hindurch.) Zwei Beispiele: die deutschen Produktionen "Liebe. Jetzt!" und "Ausgebremst". Außerdem hat die Pandemie ein Thema, das bisher nur in bestimmten Genres erzählt wurde, in den Mainstream gerückt: ein Virus, das die Welt in Atem hält und das Leben aller verändert.



Es ist natürlich unmöglich zu prognostizieren, wie die Entwicklung in der Serienbranche nun weitergeht. Ob das Corona-Jahr nur ein kurzer Bremser war und Serien danach wieder Fahrt aufnehmen, als wäre nichts gewesen. Oder ob die Entwicklung stark verlangsamt oder gar gestoppt wurde. Verschobene Produktionen können irgendwann wieder aufgenommen werden und wurden es ja teilweise auch wieder, unter erhöhten Hygienebedingungen, die Drehs verlängern und damit Produktionen teurer machen. Aber es gab auch einige Serien, deren Einstellung verkündet wurde, obwohl eigentlich weitere Folgen geplant waren - "GLOW" zum Beispiel. Genauso gab es mit Sicherheit Serien, die aus Pandemie-Gründen nie das Licht der Welt erblickt haben: Weil zum Beispiel die Autorin sich finanziell kaum über Wasser halten konnte und deswegen nicht am (unbezahlten) Pitch weiterarbeiten konnte. Oder weil die Produktionsfirma, die die Serie entwickelt, pleite gegangen ist. Oder weil der Auftraggeber ein Projekt nun als finanziell zu riskant einstuft und einstellt. 

Doch wie sich Serien in der Nach-Corona-Zeit entwickeln, das werde ich nicht mehr mit dem beruflichen Auge verfolgen. Wie bereits Anfang Oktober verkündet, höre ich mit dieser Kolumne auf. Genau wie mit meinem journalistischen Arbeiten insgesamt. Denn zum neuen Jahr beginnt für mich ein neues Kapitel. Nach 22 Jahren als hauptberufliche Journalistin werde ich in politische Arbeit einsteigen - etwas, das sich meiner Meinung nach mit dem Journalistin-Dasein nicht vereinen lässt. Auch bei mir hat Corona einiges verändert. Zum Beispiel die Auffassung darüber, wie stark ich mich politisch einmischen muss, damit unsere Gesellschaft eine gerechtere wird - zur Wahl gehen, hin und wieder eine Demo besuchen und ehrenamtliches Einsetzen reichen nicht mehr aus. 

Natürlich werde ich weiterhin mit größter Begeisterung Serien gucken. Es werden weniger sein, weil ich nun nicht mehr in meiner Arbeitszeit auf dem Sofa herumhängen und Folge für Folgen schauen kann. Aber vielleicht wird der Genuss manchmal etwas größer. Denn: Ich muss Serien, die mir besonders gut gefallen, nicht mehr mit dem Kritikerin-Auge betrachten, das immer so schnell ein Haar in der Suppe findet. Was mir fehlen wird: dass ich in Produktionen reinschauen musste, die mich eigentlich nicht interessiert haben. Weil ich so wirklich großartige Serien für mich entdeckt habe. Dafür muss ich mir noch eine Lösung einfallen lassen.

Was ich mir am sehnlichsten gewünscht hätte in den vergangenen fünfeinhalb Jahren, ist leider nicht eingetroffen: dass Bora Dagtekin nach "Doctor's Diary" endlich wieder ein Serie macht. (Weswegen ich 2015 einen offene Mail an ihn geschrieben habe.) Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Und wenn es dann vielleicht in fünf oder zehn Jahren soweit ist, werde ich erst seine seriellen Frühwerke erneut anschauen (sowohl "Türkisch für Anfänger" als auch "Doctor's Diary" besitze ich natürlich auf DVD), um schließlich in aller Ruhe und mit großem Genuss sein neustes serielles Werk anzusehen.

Obwohl in meiner Kolumnenzeit keine neue Dagtekin-Serie in Sicht war, so hatte ich doch großes Vergnügen mit vielen anderen deutschen Produktionen. Viel mehr und viel besser als ich das im Mai 2015 - als ich mit dieser Kolumne begonnen habe - hätte voraussagen können. Und so ist es kein Wunder, dass auf meinen Jahresendlisten seit 2015 (fast) immer deutsche Serien zu finden waren. 
2015 war das "Eichwald, MdB". Richtig gut! Ich bin gespannt, was von Stefan Stuckmann als nächstes kommt. "Deutschland 83" hat es damals nur knapp nicht auf die Liste meiner sieben liebsten Serien 2015 geschafft. 
2016 dann hatte ich keine einzige deutsche Serie auf meiner Jahresendliste
Dafür waren 2017 aber gleich drei auf meiner Liste: "Vier Blocks", "Das Verschwinden" und "Hindafing". Drei sehr unterschiedliche Produktionen, die zeigen, die vielfältig deutsche Serie sein kann. 
2018 finden sich immerhin zwei ebenfalls sehr verschiedene in meiner persönlichen Best-of-Liste: die Thrillerserie "Bad Banks" und die Comedy "Das Institut - Oase des Scheiterns". 
2019 wiederum hat es nur eine auf meine Jahresendliste geschafft: "Fett und Fett". Diese Serie hat mich mit ihrer besonderen Stimmung sehr überrascht und gezeigt: Wow, hier hat sich nachhaltig etwas getan. 

Allerdings hat die deutsche Serie noch immer Nachholbedarf - vor allem in Sachen Frauenbild und Diversität. Zu oft wird noch in Klischees gedacht und geschrieben, zu wenig divers besetzt und erzählt. Stereotype Darstellungen befördern Vorurteile und Rassismus, männliche Erzählweisen und Figuren schließen viele Menschen aus. Das ist einerseits eine Verantwortung, der sich die deutsche Serienbranche stellen muss. Andererseits versagt sie sich dadurch viele Chancen: Hier liegen noch viele, viele Geschichten spannender Figuren, auf die Autoren, die in den vergangenen fünfeinhalb Jahren das Serienbild in Deutschland prägten, gar nicht kommen können und werden.   

Jetzt ist es höchste Zeit für meine Lieblingsserien des Jahres, fürchte ich. Das bedeutet: Ich muss mich entscheiden. Bevor ich die Entscheidung fälle, noch ein paar Worte zur Serienrezeption. (Wer meine Kolumne schon lange liest, kennt das ja vor mir.) Serien wirken auf jeden und jede anders. Klar gibt es professionelle Kriterien, nach denen man Serien beurteilen kann. Aber ob die Serie dann tatsächlich der Person, die sie anschaut, gefällt, kann niemand daraus ableiten. Denn es kommt viel zu sehr auf subjektive Faktoren an: In welcher Stimmung ist die Person? Mit welchem Geschlecht identifiziert sie sich? Hat sie Kinder? Eine Partnerin, einen Partner? Was ist ihr Beruf? Welche Erfahrungen hat sie mit dem Thema der Serie bereits gemacht? Was bringt sie zum Lachen? Was berührt sie? Das sind nur einige der Faktoren, die eine Rolle spielen. All das ist bei jedem Menschen unterschiedlich, entsprechend wirkt auch jede Serie anders. Nur weil mir eine Serie gefällt, die handwerklich gut gemacht ist, heißt das nicht, dass auch andere Menschen diese Serie begeistert wegbingen. 

Und noch ein Satz, den ich meiner Liste voranschicken muss: Ich habe in diesem Jahr deutlich weniger Serien geschaut, als ich das eigentlich vorhatte. Denn Corona hatte für meine Familie Folgen, die mich in meiner Arbeit stark eingeschränkt haben. Es gibt also einiges aus diesem Jahr, das ich im nächsten in aller Ruhe nachholen werde (worauf ich mich schon freue), zum Beispiel "I May Destroy You", "MAPA", "Years and Years", "The Great" oder "Ted Lasso".

Jetzt aber: die Liste der Serien, die mich 2020 am meisten begeistert haben. (In alphabetischer Reihenfolge!)

"Das letzte Wort": Die deutsche Dramedy mit Anke Engelke war ganz anders als ich erwartet hatte, sehr gut! Mehr von mir dazu hier.
"Gentleman Jack": Das Historiendrama beleuchtet eine Frau, die ihrer Zeit voraus war. Spannende Figuren, wichtige Geschichte. Mehr von mir dazu hier.
"Normal People": Die Adaption des beeindruckenden Buchs von Sally Rooney hat es geschafft, die besondere Nähe zu den Figuren in eine Serie zu übertragen. Mehr von mir dazu hier.
"Schitt's Creek": Ja, ich bin Spätentdeckerin. Aber wow, diese Comedy ist der Hammer. Und ich werde sie mindestens ein weiteres Mal gucken müssen. Mehr von mir dazu hier.
"The Crown" Staffel 4: Die beste Staffel des royalen Historiendramas bisher. Bin extrem gespannt, ob Staffel 5 dieses Niveau halten kann. Mehr von mir dazu hier.
"The Mandalorian": Episodisch erzählt, eine ganz andere und doch so vertraute Welt. Genau das, was ich in diesem Jahr brauchte. Erst war ich enttäuscht, dass die Serie in Deutschland Monate später als in den USA startete. Andererseits: So mussten wir nach dem Gucken von Staffel 1 nicht so lange auf die mindestens ebenso großartige Staffel 2 warten. Mehr von mir dazu hier.
"What We Do In The Shadows": Wunderbarer Vampir-Quatsch, der hervorragend geschrieben ist und auch noch super aussieht. Staffel zwei ist sogar noch besser als die erste. Mehr von mir dazu hier.

Es hat mir großen Spaß gemacht, diese Kolumne zu schreiben. Aber das Wichtigste an einer Kolumne sind ja nicht unbedingt die Texte, sondern die Leserinnen und Leser! Daher: Tausend Dank fürs Lesen und die jahrelange Treue! Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr, das hoffentlich wieder mehr Normalität und menschliche Nähe in unser aller Leben bringt. Und vor allem wünsche ich Ihnen: dass Sie in Zukunft weiterhin viele tolle Serien entdecken, die Sie begeistern!