Als ich über die dritte Staffel von "The Crown" geschrieben habe, habe ich bemängelt, dass Olivia Colman - obwohl sie mit Queen Elizabeth II. die Hauptrolle spielt - zu wenig zu tun hat. Ja, man könnte argumentieren, dass nicht sie, sondern die Krone die Protagonistin ist und dementsprechend sich die Geschichten und Konflikte rund um die Krone drehen, nicht um die Queen. Dennoch: Es ist schade. Denn Olivia Colman ist eine so großartige Schauspielerin, dass es für mich an Verschwendung grenzt, wenn ihre Figur in manchen Folgen zu einer Randfigur wird und sie entsprechend wenig Raum zum Spielen hat.
Kommen wir zu Staffel 4. "The Crown" ist in den 80er-Jahren angekommen. Eine neue historische Figur betritt die Serie: Margaret Thatcher, gespielt von Gillian Anderson. Das hätte bedeuten können, dass durch ihren Eintritt neben Prinz Charles, Prinzessin Margaret, Lord Mountbatton, Prinz Philipp und all den anderen, die in Staffel 3 immer mal wieder in den Vordergrund getreten sind, nun noch weniger Raum für die Queen bleibt. Tut es aber glücklicherweise nicht. Denn: Die Handlungsstränge und Konflikte rund um Premierministerin Thatcher werden fast ausnahmslos entweder in Bezug zur Queen erzählt oder haben zumindest Berührungspunkte mit den Handlungssträngen der Queen. Das ist für alle, die Olivia Colman so schätzen wie ich, wunderbar.
Aber das ist längst nicht alles: Die Queen und Thatcher haben viele Dialogszenen zu zweit. Und diese Szenen sind für mich die Highlights der gesamten Serie. Denn hier sitzen sich mit Colman und Anderson zwei Meisterinnen ihres Fachs gegenüber. Dass Olivia Colman bis in die Körpersprache und die Intonation eine sehr überzeugende Königin abgibt, wusste ich ja bereits aus Staffel 3 (und hatte natürlich nichts anderes erwartet). Doch wie sehr Gillian Anderson in die Figur Margaret Thatcher hineinkriecht - bewundernswert! Ich hatte das zwar gehofft, war mir aber nicht sicher, ob ich das realistischerweise erwarten können würde. Die Dialogszenen der beiden finden meist in dem Rahmen statt, den wir bereits aus allen vorangegangenen Staffeln kennen: der Salon im Buckingham-Palast, in dem Queen Elizabeth II. einmal in der Woche eine Unterredung mit dem jeweiligen Premierminister hat - beziehungsweise in Thatchers Fall mit der Premierministerin. Es ist ein besonderes Vergnügen, Colman und Anderson hier in Aktion zu sehen. Die fast unbeweglichen Mienen, die so charakteristisch sind für die Frauen, die die beiden spielen. Und doch zeigen Colman und Anderson winzigkleine Regungen im Gesicht, in der Art zu sprechen, in der Art zu sitzen, in der Art, die Hände im Schoß zu falten - so dass ich als Zuschauerin trotz der Fassaden in die Figuren hineinschauen kann. Nicht zu vergessen: die auf den Punkt geschriebenen Sätze, die den Schauspielerinnen den Boden bereiten für ihre einzigartigen Szenen.
Die sich durch die Staffel ziehenden Begegnungen zwischen den beiden sind eine eigene Geschichte in den Geschichten: die Geschichte der Beziehung zwischen den beiden mächtigsten Frauen des Landes. Die Geschichte ihrer Beziehung hat - ganz klassisch - drei Phasen: Sie lernen sich kennen, stellen fest, dass die jeweils andere anders ist als erwartet, finden Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dann kommt es zu einem Konflikt zwischen ihnen, der sich überraschend lange hinzieht und unterschiedliche Höhepunkte hat. Schließlich eine Art Aussprache und eine Versöhnung, bei der beide Figuren emotional an ihre Grenzen gehen. In dieser Zweier-Geschichte wird einerseits viel Individuelles transportiert: Die Herkunft der beiden Figuren, ihre Lebenswege, ihre Ziele im Leben, ihre Überzeugungen, ihre Persönlichkeiten. Andererseits aber auch die Situation der Frau an sich in den 80er-Jahren in Großbritannien. (Typisch für diese Zeit: die internalisierte Frauenfeindlichkeit, die Thatcher äußert.)
Doch auch abseits des Queen-Thatcher-Strangs ist die Staffel stark. Vielleicht die stärkste bisher. Denn hier werden die Konsequenzen des unbedingten Unterordnens unter die Krone sehr deutlich spürbar. Während in den vorigen Staffeln fast bewundernd die Disziplin und die Aufopferung der Königin für ihre Stellung geschildert wurde, geht es hier um die Folgen für sie und die Menschen um sie herum. Besonders im Blickpunkt: ihr ältester Sohn Charles (Josh O'Connor). Er, mit dem man in Staffel 3 wegen der unerwiderten Eltern-Liebe und den Ansprüchen der Königin noch Mitleid haben konnte, ist infolgedessen nun zu einem selbstsüchtigen, sich selbst bemitleidendem Mann geworden, der seine - ohne Frage nicht zu ihm passende - Ehefrau schlecht behandelt. In dieser Staffel wird sichtbar, wie sehr die Mitglieder der Königsfamilie in ihrer eigenen Welt leben, abgehoben vom Rest, wie ihnen das schadet und wie sie anderen Menschen um sie herum dadurch schaden. "Habt Ihr denn gar nichts aus den vergangenen drei Staffeln gelernt?!", möchte ich der Queen und der Queen Mum zurufen, als Prinzessin Margaret (Helena Bonham-Carter) zurecht darauf hinweist, dass Diana Spencer (Emma Corrin) nicht die richtige Frau für Charles ist, beide davon aber nichts hören wollen. Das Unausweisliche passiert: Diana leidet, Charles leidet, beide verletzen einander. Doch der Queen ist das egal, für sie zählt die Maxime: Wer den Thron besteigen wird, muss sich zusammenreißen können.
Elizabeth II. verrät dieses Mal auch ihr Allheilmittel gegen Kummer, Ärgernisse und psychische Probleme: Ein "flotter Spaziergang" hilft gegen alles, rät sie Prinzessin Margaret, als diese unter Einsamkeit leidet. Sollte die echte Queen diese Staffel der Serie schauen, wird sie nach jeder Folge einen flotten Spaziergang machen müssen, mindestens.
Die vierte Staffel von "The Crown" ist bei Netflix verfügbar.
Tipps zum Weiterlesen:
Inwieweit die geschichtlichen Ereignisse und ihre Zusammenhänge, die in dieser Staffel dargestellt werden, akkurat sind, hat die britische Zeitung "Independent" in diesem Text beleuchtet.
Der Schöpfer und Drehbuchautor von "The Crown", Peter Morgan, hat dem Magazin "Cosmopolitan" erzählt, wo und warum er in dieser Staffel von der Realität abweicht.