"Deutschland 89" hat richtig starke Szenen. Szenen, in denen das Gucken Spaß macht, in denen Dinge passieren, die kaum eine andere Serie so überzeugend machen könnte. Doch leider sind die zu selten, leider wird auch die dritte Staffel dieser "Deutschland"-Serie dominiert von Handlung, die die Figuren treibt.
"Deutschland 89" spielt, wie der Name der Staffel verrät, in einem ganz besonderen Jahr der deutschen Nachkriegsgeschichte: dem Jahr, in dem die Mauer zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland fällt. Dem Jahr, in dem die DDR aus ihren Angeln gehoben wird und ein paar Monate später endet. Wir, die Zuschauerinnen und Zuschauer, haben nun die Gelegenheit, die Figuren, die wir in den vorigen Staffeln kennengelernt haben, in dieser einmaligen Ausnahmesituation zu beobachten. Denn für alle steht viel auf dem Spiel. Die meisten von ihnen sind Teil der DDR-Elite - ihr Leben wird sich von Grund auf ändern. Das, wofür sie viele Jahre gekämpft haben, woran sie geglaubt haben, löst sich auf, verschwindet einfach. Das ist spannend! Oder eher: Es könnte spannend sein, wenn man sich konsequent darauf eingelassen hätte.
Dass ich in der dritten Staffel der "Deutschland"-Reihe auf dieses Problem treffe, überrascht mich nicht: Bereits in Staffel 2 - also "Deutschland 86" - hatte ich kritisiert, dass die Figuren von der Handlung regelrecht überfahren werden. Für die dritte Staffel allerdings hatte ich gehofft, dass das "Deutschland"-Team die Möglichkeiten nutzt, die das zentrale Ereignis - der Fall der Mauer - bietet, um sich wieder auf die Figuren zu konzentrieren. Denn dieses Ereignis hat eine solch zerstörerische Wirkung auf alles, was in der Serie vorher etabliert wurde, dass es nicht unbedingt nötig gewesen wäre, hier zusätzliche Handlungsstränge aufzubauen.
+++ SPOILERWARNUNG - In den folgenden sechs Absätzen werden wichtige Entwicklungen von "Deutschland 89" vorweggenommen. +++
Stattdessen werden Lenora "die Systemtreue" Rauch (Maria Schrader) und Martin Rauch aka Superspion Kolibri (Jonas Nay) durch die Handlung getrieben, und mir fällt es schwer, mit der Aufmerksamkeit bei den Figuren zu bleiben, weil ihre Essenz zu wenig greifbar für mich ist. Lenora wird zur Beifahrerin eines Anschlags degradiert, bei dem ihre Rolle und ihre eigene Motivation unklar bleibt. Vielleicht soll es mysteriös erscheinen, wirkt aber wenig glaubhaft, weil das zur Figur Lenora, wie wir sie bisher kennengelernt haben, nicht passt. Sie war diejenige, die die Strippen zieht, die die Coups plant - sie jetzt einfach nur als Beifahrerin neben einem rumänischen Securitate-Agenten zu sehen, wird ihr nicht gerecht. Natürlich kann es sein, dass sie sich im Zuge der Ereignisse mit dieser untergeordneten Rolle abgeben muss. Aber die Lenora, die ich aus Staffel 1 und 2 kenne, hätte damit mehr zu kämpfen gehabt. Für mich kommt der innere Konflikt dieser Figur in Staffel 3 zu kurz. Gleichzeitig wird die Möglichkeit verschenkt, zu zeigen, wie sich Lenora neu erfinden muss. Sie ist die Personifikation der Systemtreue, eine Figur, die an die Überlegenheit des Sozialismus glaubt, selbst wenn er in Trümmern liegt. Eine Figur, die alles daran setzen wird, das System wieder auferstehen zu lassen. Die neue Fäden spinnen wird, die neue Allianzen schmieden wird - weil sie Kontakte hat und viele Gleichgesinnte kennt. Doch nichts davon passiert hier. Sie wird aus dem Gefängnis "entführt", wird einem mysteriösen Plan zugeordnet, weiß nicht, was los ist. Und macht am Ende einen Alleingang. Nein, das ist nicht konsistent.
Bei Martin Rauch habe ich dasselbe Problem wie in Staffel 2: Er bleibt eine nicht greifbare Figur, die ständig irgendwohin geschickt wird. Zu Beginn von Staffel 3 wundere ich mich sogar ein bisschen darüber, dass er noch immer für die DDR arbeitet. Nachdem, was ich von ihm in Staffel 1 (und auch ein in bisschen Staffel 2) gespürt habe, wäre es für mich viel logischer gewesen, wenn er alles hingeschmissen oder konsequent die Seiten gewechselt hätte. Ja, da ist dieses Druckmittel, sein Sohn Max. Aber das wird nur von russischer Seite als Druckmittel genutzt, nicht etwa von denen, für die er tatsächlich arbeitet. Von Anfang an träumt er von einem freien Leben, auch hier wird das deutlich. Warum lässt er sich überhaupt noch auf Geheimdienstaufträge ein? Dass er sich dann von fremden Mächten vor den Karren spannen lässt, verwundert umso mehr. Seine Orientierungslosigkeit nach dem Ende des einzigen Staates, den er kannte, ist nicht zu spüren. Er macht einfach mit seinen Missionen weiter, egal, wer ihn beauftragt. Auch das könnte an sich natürlich eine interessante Entwicklung sein - aber dann muss die Entwicklung entsprechend aufgebaut werden, damit ich als Zuschauerin verstehen kann, was ihn antreibt. Aber so treibt ihn einfach die Handlung von außen an. Und auch die Rachegelüste, die gegen Ende der Staffel zu Tage treten, kommen überraschend und unmotiviert, ohne dass man sie vorher ausreichend hätte mitfühlen können. Schade, diese Figur hätte so viel zu bieten gehabt.
Wie schon in Staffel 1 und 2 wird Martin Rauch auch hier in brenzligen Situationen geworfen. Doch Spannung will dabei nicht aufkommen. Zu abgebrüht wirkt sein Auftreten, als dass man hier mit ihm zittern würde. Nicht nur sein Auftreten, auch die Erfahrung aus "83" und "86" hat gezeigt: Der rettet sich aus allem. Egal, ob in Westdeutschland, Südafrika oder Rumänien. Hilflos und unerfahren ist er längst nicht mehr. Er tötet ohne Wimpernzucken, wickelt jede um den Finger und findet immer einen Weg heraus. Am Ende der vorletzten Folge ist es mir sogar egal, was im Staffelfinale aus ihm wird.
Und, ach, hätte ich doch einfach darauf verzichtet, das Finale zu schauen. All das, was ich befürchtet hatte, ist eingetreten: die aberwitzige Eifersuchtsaktion eines amerikanischen Agenten, der vorgetäuschte Tod bei Nacht und Nebel, allerlei Abrechnungen, die große Versöhnung. Vorhersehbar und einfallslos erzählt.
Die starken Szenen, die bleiben zwei Nebenfiguren vorbehalten: dem bereits aus den vorigen Staffeln bekannten früheren hohen DDR-Funktionär Walter Schweppenstette (Sylvester Groth) und einer neuen HVA-Agentin (Corinna Harfouch). Zusammen beziehen Walter und Beate eine Villa in Frankfurt am Main, für eine Scheinehe, um Schweppenstette die Deutsche Bank infiltrieren zu lassen. Herrlich, wie die beiden ein westdeutsches Ehepaar spielen und sich dabei so fremd zu fühlen scheinen - während sie vermittelt durch westdeutsche Medien sehen, wie das Land zerbricht, dem sie treu ergeben sind. In den wenigen Szenen, die den beiden vergönnt sind, fühlt man auch ohne viele Worte, welch einsame und verlorenen Seelen sie sind. Besonders Beate hat mit dem Leben einer westdeutschen Hausfrau zu hadern und bittet vergeblich darum, mehr tun zu dürfen als nur die dekorative Frau an der Seite von Schweppenstette zu spielen.
"Es gibt keinen Sinn, es gibt nur den Auftrag!", sagt Schweppenstette zur betrunkenen Beate, die ihn in Episode 5 nach dem Sinn fragt. Was für ein toller Satz, der so viel über die Figur aussagt! Wer so denkt, wer so tickt, der steht zum Mauerfall eigentlich kurz vor einem gähnenden Abgrund. Von diesen beiden, die verzweifelt an ihrem Land und ihrem Auftrag festhalten, hätte ich sehr gerne mehr gesehen. Was natürlich auch mit der großartigen Besetzung zu tun hat.
+++ SPOILERGEFAHR vorbei. +++
Wenn mich jemand fragen würde, ob sich die drei Staffeln der "Deutschland"-Reihe lohnen, würde ich mit den Schultern zucken und sagen: "Joah, Staffel 1 kann man gucken. Und das reicht dann aber auch." Schade, die Serie hatte großes Potenzial.
"Deutschland 89" ist bei Amazon Prime verfügbar.