Ein Thema, das ich schon jetzt nicht mehr sehen kann: ein Virus, das sich unter Menschen verbreitet. Damit meine ich nicht die aktuelle Berichterstattung über das Corona-Virus - die sauge ich auf wie ein Schwamm, weil sie für meinen Alltag Relevanz hat. Sondern ich meine alles Fiktionale, das mit Corona und anderen Epidemien auslösenden Viren zu tun hat. Vor einem Jahr hätte ich eine Serie wie "Sløborn" mit großem Interesse eingeschaltet, weil mich das Szenario - Nordsee-Insel wird Hot Spot in einer Virus-Epidemie - gereizt hätte. Vor einem Jahr steckte ich auch noch nicht selbst in einer Pandemie, die mein Leben seit einem halben Jahr und wer weiß wie lange noch grundlegend verändert. Auch wenn viele Kritikerinnen und Kritiker "Sløborn" als die passende Serie zu unserer Zeit bezeichnen - für mich kommt sie zur falschen Zeit. Aber klar, als die Serie entwickelt und gedreht wurde, war Covid-19 noch unbekannt.
Ein Virus, das mein Leben gerade verändert und mir und meiner Familie viele Probleme beschert, ist mein Alltag. Und meinen Alltag will ich jetzt nicht auch noch sehen, wenn ich eine Serie einschalte. Normalerweise wage ich keine Virus-Prognosen, schließlich bin ich keine Virologin. Aber hier wage ich eine Prognose: Auch in ein- bis eineinhalb Jahren werden mich keine Virus-Serien interessieren. Selbst das Tönnies-Corona-Skandal-Projekt, das gerade für TNT Serie entwickelt wird, wird es bei mir schwer haben - wenn es sich tatsächlich nur um das Virus und dessen Ausbreitung drehen sollte. Wenn das Virus aber nur der Anlass ist, einen Thriller über Ausbeutung von Mensch und Tier in der Fleischindustrie zu schreiben, sieht das natürlich schon wieder anders aus. Dann wäre mein Interesse wieder geweckt und ich würde den Virus-Teil der Geschichte hinnehmen. Als notwendiges Übel sozusagen. Oder besser gesagt: als Teil eines veränderten Alltags.
Und das ist genau der Punkt: das Corona-Virus an sich ist für mich keine interessante Geschichte. Wenn bei neuen Serienprojekten der Mittelpunkt der Handlung ein sich unter Menschen ausbreitendes Virus ist, finde ich das einfallslos. Am Anfang der Corona-Krise ging mir das anders - weswegen ich die Liebesgeschichten-Sammlung "Liebe. Jetzt!" gerne geschaut habe (kam Anfang Juni in meiner Kolumne vor). Die Ideen der Drehbuchautorinnen und -autoren zur Frage: "Wie verändern sich Beziehungen in Deutschland durch die Pandemie?" haben mich interessiert. Hier spielte für mich allerdings noch ein wichtiger Aspekt hinein: Wie kann man diese als Serie unter strengen Hygiene-Auflagen umsetzen? Dieses Serienprojekt war eine Bestandsaufnahme der Liebesbedingungen einerseits und der Produktsbedingungen andererseits.
Bestandsaufnahmen brauche ich jetzt nicht mehr, deswegen würde ich auch gar nicht auf die Idee kommen, in die ZDFneo-Comedy "Lehrerin auf Entzug" reinzuschauen. Aber: Ablenkungen, die brauche ich dringend! Ablenkungen müssen nicht notwendigerweise lustig sein. Ablenkungen können spannend, traurig, witzig, absurd, verrückt, unerwartet, anstrengend, gruselig und noch viel mehr sein. Die Hauptsache: Sie schaffen es, meine Gedanken vom Thema Corona wegzulenken. Dafür müssen sie meine Aufmerksamkeit erregen, mir Figuren bieten, die Identifikationspotenzial oder Empathie-Potenzial haben - und dann meine Aufmerksamkeit halten, mich fesseln. Es ist schwieriger als noch vor sechs Monaten, meine Aufmerksamkeit zu halten. Zu schnell landen meine Gedanken doch wieder bei Covid-19 und den vielen großen und kleinen Herausforderungen, die damit zusammenhängen. Die Fantasyserie "Warrior Nun" konnte meine Aufmerksamkeit halten (siehe Kolumne von voriger Woche), das Historiendrama "The Last Kingdom" ebenfalls, das Beziehungsdrama "Normal People" schafft das auch. Aber viele andere scheitern daran, einige von denen schiebe ich auf und gebe ihnen zu einem anderen Zeitpunkt eine neue Chance.
Es gibt Ausnahmen von der Corona-Geschichten-interessieren-mich-nicht-Regel. Als ich diese Woche in einem Interview des "Hollywood Reporter"-Podcasts "TV's Top5" mit der Showrunnerin von "Grey's Anatomy", Krista Vernoff, gehört habe, dass die Autorinnen und -autoren für Staffel 17 an Corona-Handlungssträngen arbeiten, habe ich überlegt, dann wieder in die Serie einzusteigen. Nach vielen Jahren begeisterten "Grey's Anatomy"-Guckens bin ich vor knapp fünf Jahren ausgestiegen, weil ich das Gefühl hatte, dass immer wieder dieselben Geschichten in immer absurderen Varianten erzählt werden. Aber jetzt? Ich mag die Serie an sich, einige Figuren finde ich noch immer interessant - und diese Figuren nun unter diesen besonderen Bedingungen zu erleben, könnte reizvoll sein. Und wohin passen Corona-Geschichten, wenn nicht in eine Krankenhausserie? Genauso logisch ist es, dass Daily Soaps wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" das Thema ebenfalls verarbeiten. Aus zwei Gründen: Weil sie unter Corona-Bedingungen aktuell gedreht werden. Und weil sie den Alltag reflektieren - und Corona derzeit Alltag ist.
Ich wage eine weitere Prognose: Es wird einen Zeitpunkt geben, ab dem mich Corona-Serien wieder interessieren werden. Wenn das Virus nicht mehr mein tägliches Leben bestimmt und die Serien erst entwickelt wurden, nachdem die Pandemie beendet ist. Denn dann sind die Geschichten, die per Serie erzählt werden, keine Bestandsaufnahmen mehr, sondern sie reflektieren einen prägenden Abschnitt unserer jüngsten Vergangenheit, der uns und unsere Gesellschaft in jedem Fall verändert hat. Gedankenspiele, Szenarien, wie anders alles hätte verlaufen können, wie anders sich unsere Gesellschaft hätte entwickeln können, angestoßen durch die Pandemie. Egal, ob düster oder optimistisch - diese Auseinandersetzung interessiert mich, genau das will ich dann sehen und dadurch lasse ich mich gerne zum Nachdenken anstoßen. Doch bis dahin gilt: Bitte verschont mich mit Corona-Serien!
Zum Schluss noch ein Tweet, den ich eigentlich elegant thematisch passend in meinen Text einfließen lassen wollte. Weil das aber nicht geklappt hat, hier jetzt einfach ganz unelegant als Rausschmeißer:
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