Das Kammerspiel wurde nicht erst während Corona erfunden. Schon "Die zwölf Geschworenen" von Sidney Lumet, entstanden vor über 60 Jahren, beweist mit seinen zeitlosen 96 Minuten bis heute, dass ein grandioser Film nicht durch das teuerste CGI oder aufwendige Drohnenfahrten, entsteht. Natürlich, schön anzuschauen ist das schon und jeder von uns hat Tage, an denen man am liebsten beeindruckende Bilder aufsaugen will. Das Kammerspiel beweist aber, dass etwas zwischen Blockbuster und Podcast existiert. Eine Kunstform, die in den vergangenen Monaten wieder vermehrt genutzt wurde. Und genutzt werden musste, wenn man als Produktionshaus Geld verdienen wollte. Eine Kunstform, die jetzt noch deutlich verschärfter zum Einsatz kam, durfte die Kammer plötzlich nur mit einer Person gefüllt werden.
Drei Wochen nach Beginn der öffentlichen Einschränkungen durch Corona hat ZDFneo bewiesen, dass das äußerst ansehnlich sein kann. "Drinnen – Im Internet sind alle gleich" wurde veröffentlicht und damit eine Comedy, die den kreativen Köpfen dahinter in kürzester Zeit einiges abverlangt hat. Die btf und Regisseur Lutz Heineking Jr. haben in 15 Episoden dennoch bewiesen, dass es möglich ist, selbst eine einzige Darstellerin mit ihrer Frontkamera verweilen zu lassen und dabei unterhaltsam rüber zu kommen. Was Stand-up-Comedy bereits seit Jahren beweist, funktioniert also auch im Rahmen einer ambitionierten, fiktionalen Geschichte.
Das deutsche Fernsehen hat noch ein paar weitere Paradebeispiele hervorgebracht, die den Eindruck festigen, dass die Hoffnung selbst in der allergrößten (Kreativ)Krise nicht verloren gehen muss. Die TNT-Serie "Ausgebremst" etwa, wo sich die Schwergewichte der Branche versammelt haben, um Geld für Künstler in Not zu sammeln. Dank Annette Hess, Sebastian Colley und Ralf Husmann entstand ein Drehbuch voller Witz und Charme. In "Liebe. Jetzt!" konnte das Kammerspiel sogar auf zwei Personen in einem Raum ausgeweitet werden, indem man Paare vor die Kamera ließ, die ohnehin privat zusammen wohnten. Pola Beck und Tom Lass, die hier als Showrunner fungierten, bewegten sich zwar im gleichen Story-Dunstkreis wie die anderen genannten Produktionen. Doch haben auch sie es geschafft, mit gezielten Pointen ins Schwarze zu treffen.
Die neueste und vermutlich (vorerst) letzte Corona-Serie dieser Machart kommt, ebenso wie "Liebe. Jetzt!" und "Drinnen", aus dem Hause ZDFneo. Senderchefin Nadine Bilke hat hier in den letzten Monaten etliche mutige und kreativ wichtige Entscheidungen getroffen. Und dabei kann man ja auch mal daneben liegen. Mit "Lehrerin auf Entzug" steht nun jedenfallseine Web-Comedy zur Verfügung, die eher ein Beispiel dafür liefert, wie man es nicht machen sollte.
Christine Eixenberger spielt darin eine Grundschullehrerin, die sich eigentlich darauf freut, nach etlichen Wochen im digitalen Klassenzimmer in ihre gerade frisch wiedereröffnete Schule zurückzukehren, um wieder am sozialen Alltag teilnehmen zu können. "Mit Erholung hat es wenig zu tun, wenn man monatelang zu Hause sitzt", fasst sie ihre Einstellung zusammen. Doch ausgerechnet sie soll nun im Homeoffice bleiben, um einer Musterklasse in Pionierarbeit digital Lernstoff zu vermitteln.
Ein witziges Konzept, das mit Sinan Akkus ("3 Türken & ein Baby") auch einen spannenden Regisseur an Bord hatte. Drehbuchautor Tobias Öller legt allerdings leider einen ziemlich klamaukigen Humor an den Tag. Klamauk, der noch deutlicher zum Tragen kommt, wenn er dem Zuschauer in einem Kammerspiel permanent ins Gesicht gedrückt wird. Der bayerische Kabarettist und Sinan Akkus machen es einem nicht leicht, zu verstehen, ob sie den Cringe in ihren Gags verstehen und bewusst inszenieren, oder ob "Die Lehrerin auf Entzug" schlicht ungewollt unangenehme Comedy ist.
Die passendere Antwort dürfte sein, dass Öller und Akkus eine extrem junge Zielgruppe ansprechen wollten, die bei ZDFneo in diesem Maße aber wohl gar nicht zu finden ist. Anders sind Szenen, in denen Eixenberger beispielsweise mit voll geschäumten Mund und Zahnbürste zwischen den Beißern schon mal fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn in die Zoom-Konferenz startet und dann von einer Schülerin überrascht wird, kaum zu erklären. Das sind Momente, in denen man fünf Minuten hinterfragen muss, warum sie nicht einfach ihre Zähne putzt und dann der Konferenz beitritt. Witzig ist in jedem Fall anders.
Vermeintliche Schenkelklopfer wie diese gibt es en masse. Leider sind sie weniger verzeihbar, da eine Corona-Serie wie diese nun mal kaum andere Stilmittel zur Verfügung hat, mit denen Defizite des Drehbuchs ausgebügelt werden können. Die MadeFor-Produktion ist damit nicht per se schlecht, aber wirkt bei ZDFneo eher deplatziert. Vielleicht hätte man sie eher einem Kindersender verkaufen sollen als ZDFneo, wo nur wenige Wochen vorher gezeigt wurde, dass es deutlich besser geht.
Und dennoch rundet "Lehrerin auf Entzug" das Thema Kammerspiele in Corona-Zeiten auch gut ab. Denn es zeigt auch, dass sich Drehbuchautoren nun noch mehr von gekünstelten Dialogen und Storyverknüpfungen entfernen müssen, damit der Zuschauer die Fassade der mittelmäßigen Unterhaltung nicht durchblickt. Er ist in Zeiten wie diesen noch gnadenloser als ohnehin schon.