Manchmal passiert Folgendes: Man steigt aus einer Serie aus und stellt irgendwann fest "Oh, die neue Staffel sieht interessant aus/wurde gut besprochen/hört sich interessant an". Und dann überlegt man, vielleicht doch wieder einzusteigen, steht aber vor dem Problem, ob man erst die verpassten Staffeln nachholen muss oder einfach in die neue, vielversprechende Staffel einsteigt. Es gibt Serien, bei denen das einfacher ist als bei anderen. Bei Procedurals zum Beispiel ist es kein Problem, also bei Serien, die ein abgeschlossenes Ereignis pro Folge haben und bei denen nur die weniger wichtigen Handlungsstränge über mehrere Folgen gezogen werden. Genauso bei klassischen Sitcoms, wo die Figuren oft unverändert aus Situationen wieder herauskommen und sich innerhalb einer Staffel nur wenige Gegebenheiten verändern, die man dann leicht nachvollziehen kann. Schwieriger wird es natürlich, wenn es sich um eine Serie handelt, in der die Handlungsbögen und die Charakterentwicklung über mehrere Folgen, ja sogar über die Staffeln hinweggezogen werden. 

Bei mir ist Letzteres gerade passiert: Ich bin nach Staffel 1 aus der Science-Fiction-Serie "Westworld" ausgestiegen. Das war eine halb-bewusste Entscheidung, die ungefähr so verlief: Die erste Staffel hatte mich enttäuscht (Quest statt Betrachtung philosophischer Fragen, Westernopitik, wenig überraschende Auflösung), weshalb ich beim Start der zweiten Staffel keine große Lust hatte und das Einsteigen erstmal verschob. Ich hatte zwar vor, die Staffel irgendwann nachzuholen. Aber immer wieder kam etwas dazwischen - neue Serien oder neue Staffeln oder oder oder. Und immer dachte ich mir: Ach, ich habe ja noch Zeit. Hatte ich eigentlich auch, denn die Staffelpause war fast zwei Jahre lang, also länger als bei vielen anderen Serien. Doch plötzlich waren diese fast zwei Jahre vorbei, überall wurde schon Staffel 3 beworben. Und ich war mit dem Gucken noch kein Stück weiter. Okay, dachte ich mir, dann war es das mit "Westworld" und mir. Ich hatte mich vor zwei Sachen gleichzeitig gedrückt: vor der Entscheidung auszusteigen und davor weiterzugucken. Und damit hatte ich doch irgendwie eine Entscheidung gefällt. Denn bei einer Serie wie "Westworld", die mit mehreren Zeitebenen und Verwechslungen arbeitet, und in der Zukunftstechnologien die Basis der Erzählung sind, stellte ich es mir unmöglich vor, einfach eine Staffel zu überspringen.

Doch dann sah ich einen Trailer für Staffel 3 und dachte mir: "Wow. Das sieht gut aus." Offenbar sollte die Geschichte nicht mehr in einem Vergnügungspark im Western-Look spielen, sondern in der Zukunftswelt außerhalb des Vergnügungsparks. Und die Bilder, die mir der Trailer zeigte, waren der Hammer - und entsprachen genau dem, was ich mir von einer solchen Serie eigentlich erhoffen würde. Sollte die Staffel 3 vielleicht das einlösen können, was ich von Staffel 1 erwartet hatte? Eine Serie, die in einer Zukunftswelt spielt, die auch wie eine Zukunftswelt aussieht, und in der die wichtigen Themen "Künstliche Intelligenz, freier Wille und was macht Menschlichkeit aus?" spannend verpackt behandelt werden? Doch mir war klar: Ich würde keine Zeit haben, Staffel 2 in Ruhe nachzuholen. Dann sah ich ein Interview mit Schauspielerin Tessa Thompson - die auch in S3 eine wichtige Rolle spielt -, in dem sie andeutete, dass diese Staffel auch für Leute zugänglich sein dürfte, die mit den ersten beiden nicht viel anfangen konnten. Hallo? Die meint mich! 

Bestärkt von Tessa Thompson habe ich es also versucht: Ich habe mir die erste Folge der neuen Staffel angeschaut, ohne auch nur ein Fitzelchen von Staffel 2 zu kennen. Ja, es wäre natürlich ungünstig, wenn sich mir aus Unverständnis die Geschichte und die Qualität der neuen Folgen nicht erschließen würde. Das war mir bewusst, aber ich dachte mir: "Ich kann ja jederzeit unterbrechen und die Recaps von Staffel 2 nachlesen." Und: Neben mir saß mein Mann, der Staffel 2 gesehen hatte. Wie sich aber herausstellte, war es für ihn auch nicht immer ganz einfach, die Zusammenhänge zu rekonstruieren. Fast zwei Jahre zwischen zwei Staffeln sind eben eine lange Zeit, um sich an eine komplexe Geschichte zu erinnern. Mich bestärkte das, denn ich dachte mir: "Okay, die von HBO wären ja schön blöd, wenn sie nicht darauf achten würden, dass die Serie so erzählt wird, dass das Publikum nach zwei Jahren wieder gut abgeholt wird. Dann wird das auch für mich irgendwie passen." 

Die erste Folge war großartig. Die Serie sieht spektakulär aus (die Locations! die Einstellungen!), die Geschichte verspricht Spannung. Und ich hatte nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Auch wenn ich meinen Mann hin und wieder etwas zu den einzelnen Figuren gefragt habe. An ein paar Figuren konnte ich mich zwar ganz gut erinnern, allerdings hatte ich auch im Kopf: Hier kann man sich auf nichts verlassen, schließlich können alle Figuren unerkannt Androiden sein und/oder Androiden, denen andere Persönlichkeiten hochgeladen wurden. Sicherheitshalber haben wir nach Folge 1 einen Clip geschaut, der die Ereignisse in Staffel 1 und Staffel 2 auf ein paar Minuten zusammenfasst. Um für Folge 2 vorbereitet zu sein. 

Folge 2 - ja, hier war die Vorbereitung per Clip ganz hilfreich. Doch auch hier gilt: Ich bin begeistert. Die neuen Figuren gefallen mir, zum Beispiel der Ex-Soldat und nun Teilzeit-Gauner Caleb Nichols (Aaron Paul) oder der rätselhafte Engerraund Serac (Vincent Cassel). Aber vor allem die bekannten Figuren finde ich sehr reizvoll: Dolores Abernathy (Evan Rachel Wood) auf dem Rachepfad, Maeve Millay (Thandie Newton) auf der Suche und Bernard Lowe (Jeffrey Wright).   

Ich bin mir jetzt, nach Folge 2, zwar noch immer nicht ganz sicher, ob ich nicht doch irgendwann an einen Punkt komme, an dem ich etwas aus Staffel 2 im Detail nachlesen oder sogar einzelne Folgen nachschauen muss. Doch bisher fühlt es sich gut an. Und ich bin froh, der neuen Staffel eine Chance gegeben zu haben. Denn es sieht ganz danach aus, als wäre diese Staffel tatsächlich endlich das, was ich mir von der Serie insgesamt erwartet habe. Aber: Man soll eine Staffel nicht vor dem Staffefinale loben. In diesem Sinne: Ich bin gespannt auf die nächsten sechs Folgen.

Die neuen Folgen der dritten Staffel von "Westworld" sind montags um 20.15 Uhr im Bezahlsender Sky Atlantic HD zu sehen. Sie sind außerdem ab Ausstrahlung bei den Sky-Streamingdiensten verfügbar.