Rassismus als Thema in einer Serienkolumne? Längst überfällig! Denn der alltägliche Rassismus in Deutschland findet sich auch in fiktionalen Fernsehproduktionen. Und verstärkt so wiederum den alltäglichen Rassismus in Deutschland. Hört sich übertrieben an? Ist es aber nicht. Wann haben Sie zuletzt eine komplex geschriebene Figur mit Migrationshintergrund in einer deutschen Fernsehproduktion gesehen, die nicht in einem kriminellen oder negativen Kontext gezeigt wurde? Wenn Sie dafür etwas länger nachdenken müssen, geht's Ihnen wie mir. Und das zeigt: Wir haben ein Problem.
Etwa 25 Prozent der Menschen, die in Deutschland leben, haben einen Migrationshintergrund. Das ist jeder vierte. Wenn man jetzt mal davon ausgeht, dass das fiktionale Fernsehen ein Spiegel unserer Gesellschaft sein sollte, kann man nur zu dem Schluss kommen: Dieser Spiegel ist verdammt verzerrt. Denn weiße Menschen mit deutschen Namen und deutschen Geschichten dominieren die Serien und Filme im deutschen Fernsehen.
Ich habe in dieser Kolumne immer mal wieder darauf hingewiesen, wie wichtig Sichtbarkeit ist. Und zwar für beide Seiten: die Minderheit und die Mehrheit. Die Medienforschung zeigt: Menschen, die in einer Gesellschaft in der Minderheit sind, hilft es für ihre Identitätsbildung und ihrer Alltagsbewältigung, Figuren zu sehen, die ihnen ähnlich sind - "Die oder der sieht ja aus wie ich!" ist ein enorm wichtiger Satz. Und genauso wichtig ist nach dem ersten dann der folgende Satz: "Die oder der hat ja die gleichen Probleme wie ich."
Menschen, die in einer Gesellschaft in der Mehrheit sind, nehmen Menschen in der Minderheit oft nicht wahr, weil sie im Alltag nicht oder nur selten mit ihnen zu tun haben. Das Nicht-Wahrnehmen findet meist unbewusst statt. Und mit dem Nicht-Wahrnehmen eines Teils der Gesellschaft geht oft einher: das Nicht-Wahrnehmen oder Nicht-Ernstnehmen der Probleme dieses Teils der Gesellschaft. Wenn diese Menschen durchs deutsche Fernsehprogramm zappen, fällt ihnen nicht auf, dass sie in ihrem Alltag Scheuklappen aufhaben - weil diese Minderheit auch im Fernsehen nicht sichtbar ist. Ist sie aber sichtbar, gibt es also nicht nur ausnahmsweise Figuren mit brauner Haut/türkischen Eltern/dicken schwarzen Haaren/Rassismuserfahrungen und entsprechenden Geschichten dazu, sondern regelmäßig, dann wird den Menschen in der Mehrheit wortwörtlich vor Augen geführt, dass Deutschland mehr ausmacht als das, was sie in ihrem Alltag sehen und wahrnehmen. Die Menschen in der Minderheit werden plötzlich sichtbar - und damit ihre Geschichten und ihre Probleme. Die Menschen in der Mehrheit erhalten Einblicke, die ihnen in ihrem Alltag nicht möglich sind.
Das Entscheidende ist: dass die Geschichten vielfältig sind. Und nicht vorrangig im problembehafteten, negativen Kontext erzählt werden. Die Darstellung junger Männer mit türkischem oder arabischem Hintergrund in deutschen Filmen und Serien? Alles Kriminelle! Nichts spricht dagegen, Geschichten aus dem Clanumfeld zu erzählen - "4 Blocks" war eine wichtige, herausragende Serie. Aber wenn auch außerhalb von "4 Blocks" Figuren mit türkischem oder arabischem Hintergrund immer nur in einem solchen Umfeld vorkommen, läuft etwas falsch. Denn der kriminelle Kontext bleibt hängen - dadurch entstehen Vorurteile bei all den Menschen, die in ihrem Alltag keinen Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund haben.
Im deutschen Journalismus hat sich nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau vor eineinhalb Wochen etwas getan: Einige Journalistinnen und Journalisten diskutieren darüber, ob der deutsche Journalismus (unbewusste) rassistische Tendenzen hat und wie man das ändern kann. Doch das nur für journalistische Angebote zu diskutieren, reicht nicht aus. Diese Diskussion muss viel weiter gefasst werden, denn Meinungsbildung und Weltbildung findet für viele Menschen auch über nicht-journalistische Massenmedien statt. Filme und Serien haben da einen großen Anteil.
Deswegen hier jetzt mein Appell: Deutsche Film- und Serienproduzierende, werdet euch endlich eurer Verantwortung bewusst. Denn ihr könnt entscheidend dazu beitragen, dass derzeit gängige rassistische Stereotype nicht weiter verbreitet werden. Natürlich gibt's rühmliche Ausnahmen wie die Comedy-Serie "Türkisch für Anfänger". Oder auch die Daily-Soap "GZSZ", die seit Jahren immer wieder unterschiedliche Geschichten mit Figuren mit Migrationshintergrund erzählt (mehr dazu im Text von Yasmina Banaszczuk bei "Vice"), genau wie übrigens die "Lindenstraße", die im März eingestellt wird. Aber wie Studien (Link zu pdf, Seite 1 unten) zeigen, gelingt es selbst beim sozialkritisch aufgestellten Format "Tatort" - das sich der Themen Migration und Rassismus immer mal wieder annimmt - oft nicht, Figuren mit Migrationshintergrund zu erzählen, bei denen nichts Negatives hängenbleibt (ausgenommen sind hier die Ermittlerfiguren mit Migrationshintergrund).
Wie das Vermeiden rassistischer Stereotype konkret gelingen kann? Das, was im Folgenden kommt, ist längst bekannt und kein Hexenwerk - aber ich schreibe es in aller Klarheit und im Detail noch einmal auf. Zuerst muss man sich des Problems bewusst werden. Sich seine eigenen Unzulänglichkeiten einzugestehen und dann festzustellen, welchen Schaden man damit angerichtet hat - ja, das tut weh. Denn der latente Rassismus in Deutschland wurde uns anerzogen (durchs Elternhaus, durch die Schule, durch die Massenmedien) und zugleich wurde so getan, als gäbe es Rassismus in Deutschland gar nicht. (Auch ich setze mich derzeit schmerzlich damit auseinander, hilfreich ist das Buch "exit RACISM" von Tupoka Ogette.)
Das Bewusstmachen und Reflektieren ist entscheidend. Einfach nur einen Diversity-Manager oder eine Diversity-Managerin einzustellen, deren Aufgabe es ist, nach vorne zu schauen, reicht nicht aus. Die Aufgabe muss zuerst sein, die bisherigen (auch informellen) Strukturen und Entscheidungen aufzuarbeiten. Als nächstes kommt die Aufklärungsarbeit in den einzelnen Abteilungen - zum Beispiel mit Hilfe einer Anti-Rassismus-Beratung von außen.
Dann erst kann der Blick nach vorne gerichtet werden: Einerseits die eigenen Stoffe prüfen, gegebenenfalls überarbeiten. Neue Stoffe entwickeln, die authentische, interessante Figuren mit Migrationsgeschichte enthalten. Gleichzeitig sicherstellen, dass diejenigen, die diese Stoffe entwickeln und umsetzen, nicht in der Mehrheit weiß und männlich sind - sondern so divers wie die Figuren und Geschichten, die man erzählen möchte. Und wenn sich niemand Passendes finden sollte, mal Gedanken machen, woran das liegt: nämlich daran, dass Menschen mit Migrationshintergrund bisher nur wenige Vorbilder in der Branche und noch weniger Chancen hatten. Sie also nicht davon ausgehen können, einen Job in der Fernsehbranche zu finden. Hier muss ebenfalls angesetzt werden: Vorbilder aufbauen, Ausbildungsmöglichkeiten und -förderungen anbieten.
Dann sind die Auftraggeber gefragt: Es gibt jetzt schon Auftraggeber - wenn auch nur vereinzelt -, die fiktionale Stoffe nur noch dann annehmen, wenn sie eine ernstzunehmende Frauenrolle enthalten. Denn ja, die Auftraggeber sitzen am längeren Hebel: Da können noch so gute Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren großartige Geschichten voller spannender Frauenfiguren pitchen, wenn die Auftraggeber Nein sagen, kommen die Autorinnen und Autoren damit nicht weiter. Und wenn die Auftraggeber ihre Verantwortung nicht erkennen und annehmen, wird es auch in den nächsten Jahren keine vernünftigen Frauenfiguren im deutschen Fernsehen geben. Genauso funktioniert es, wenn es um Rassismus geht: Die Auftraggeber - Sender oder Streaminganbieter - müssen erkennen, dass sie eine entscheidende Rolle spielen. Sie müssen Stoffe einfordern, die authentische, interessante, nichtstereotype Figuren mit Migrationshintergrund enthalten. Sie müssen das zur Voraussetzung machen.
Das Gleiche gilt für die Filmförderung: Hier müssen Bedingungen gestellt werden. Warum nicht einfach festlegen: Wer keine diversen Figuren schreibt, nicht divers besetzt und auch nicht divers produziert, bekommt kein Geld mehr?
Ja, das schreibt sich alles so leicht. Doch der Prozess ist aufwändig, und er wird sich über Jahre hinziehen. Aber er ist dringend nötig - nicht erst seit dem rassistischen Terroranschlag von Hanau, sondern mindestens schon seit dem Bekanntwerden der rassistischen Morde des NSU vor knapp zehn Jahren. Dass es am 23. März zum ersten Mal einen "Diversity Gipfel" der TV-Branche gibt - unter anderem initiiert von DWDL.de -, ist ein guter Anfang. Aber danach muss es weitergehen, der Diskussion müssen schnell Taten folgen. Da gibt es noch viel zu tun, wenn wir alle gemeinsam den Rassismus in unserer Gesellschaft bekämpfen wollen.
Tipps zum Weiterlesen, -gucken, -hören:
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Buchtipp zum Bewusstwerden und Bekämpfen des eigenen alltäglichen Rassismus: "exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen" von Tupoka Ogette, Unrast Verlag, ISBN-10: 389771230X, ISBN-13: 978-3897712300
Ein Kolumnentext von mir darüber, dass die Serie "Lindenstraße" nach ihrem Ende mit einer ähnlich diversen Produktion ersetzt werden muss: "Warum die ARD die "Lindenstraßen"-Lücke füllen muss"
Ein Interview von "RosaMag" über Rassismus in der Schule: "Warum gibt es so viele Rassismen in deutschen Schulbüchern?"
Ein Kommentar von ZDF-Journalistin Nicole Diekmann bei "T-Online": "Nach Anschlag in Hanau: Das ist das Gegengift"
In der "Süddeutschen Zeitung" ist Mitte Februar eine ausführlichere Besprechung des Dokumentarfilms "Kino Kanak: Warum der deutsche Film Migranten braucht" erschienen. Der Dokumentarfilm ist bei 3sat online abrufbar.
In der aktuellen Folge des Serien-Podcasts "Skip Intro" spricht Vanessa Schneider mit Esra Karakaya (von der Youtube-Show "Karakaya Talk") über die Darstellung von muslimischen Frauen in Serien. Spotify - iTunes