Anfang vergangenen Jahres war ziemlich überraschend diese kleine, feine, britische Serie in Deutschland verfügbar: "The End of the F***ing World". Ich schaute die Serie über einen 17-Jährigen und eine 17-Jährige, die aus ihrem Teenager-Alltag ausbrechen und auf einen Roadtrip gehen, anfangs mit Staunen, dann mit Freuden und schließlich mit riesiger Begeisterung. Diese Figuren, diese Geschichte, diese Bildsprache! Und dachte mir nach dem Ende: "Das war perfekt. Wie schade, dass das die letzte Folge war." Aber gleichzeitig wollte ich auf keinen Fall, dass es davon eine zweite Staffel geben sollte, denn: Nicht nur die erste Staffel war perfekt, sondern auch das Ende.
Doch leider war die Serie zu erfolgreich. Nicht nur ich, sondern viele, viele andere Menschen schauten die Erlebnisse von James (Alex Lawther) und Alyssa (Jessica Barden) ebenfalls. Die Folge des internationalen Erfolgs: Im Sommer vergangenen Jahres wurde bekanntgegeben, dass es eine zweite Staffel geben soll. Dieses Mal mit Beteiligung von Netflix. Och nö, dachte ich. Ich befürchtete, dass "The End of the F***ing World", das in der ersten Staffel noch diese schräge, nischige Produktion für den britischen Sender Channel 4 war, nun in der zweiten Staffel diesen experimentellen Charakter verlieren könnte, dass man zu groß, zu international denken könnte (was mir bei der Fortsetzung von "Deutschland 83" negativ aufgefallen ist). Hinzu kam: Die erste Staffel basiert auf der gleichnamigen Graphic Novel von Charles Forsman, die Geschichte der Vorlage ist mit dem Staffelfinale auserzählt. Meine zweite Befürchtung lautete also: Die Geschichte der zweiten Staffel wird nie an die der ersten heranreichen können, weil von der Vorlage nichts mehr übrig ist.
Ich lag sooo falsch! Glücklicherweise. Die zweite Staffel ist großartig. Diese Figuren, diese Geschichte, diese Bildsprache - man könnte meinen, die erste Staffel sei gleich mit Staffel zwei im Kopf entstanden und in einem Fluss geschrieben worden. Und das, obwohl sich die erste Folge um eine völlig fremde Figur dreht, die viel Raum einnimmt. Doch mich hat das nicht verschreckt, sondern neugierig gemacht. Schließlich wusste ich nicht, wo die zweite Staffel anknüpfen würde. Würde sie nach den Ereignissen in Staffel 1 spielen und immer mal wieder darauf zurückblicken? Was eine ziemlich konventionelle Entscheidung gewesen wäre. Würde sie vor den Ereignissen in Staffel 1 spielen? Was verwirrend gewesen wäre, was ich der Drehbuchautorin aber durchaus zugetraut hätte. Würde sie parallel zu Staffel 1 spielen und immer mal wieder mit der Handlung verflochten sein? Was möglich gewesen wäre, aber ein echtes Risiko, weil einige Zuschauerinnen und Zuschauer wahrscheinlich Staffel 1 darauf abgeklopft hätten, ob die neue, parallele Geschichte dort schon entsprechend gesät worden war. Also: Ich wusste es nicht. Und ich werde es hier auch nicht verraten, denn für mich war das ein wichtiger Teil der Faszination zu Beginn der zweiten Staffel - weshalb ich niemandem das Guckvergnügen verderben möchte.
Was ich ohne Gefahr verraten kann: Dass ich auch nach dem Gucken aller Folge nicht weiß, ob Staffel 2 nun anders ist als Staffel 1. Klar, ich fand beide großartig, wie ich oben bereits erwähnte. Es gibt weitere Gemeinsamkeiten: Die Art, wie Figuren geschrieben wurden (schräg, befremdlich und sympathisch zugleich), die Bildsprache, der Einsatz von fürs Genre ungewöhnlicher Musik (den ich in anderen Produktionen zu aufdringlich finden würde, aber der hier perfekt passt). Und auch die Verzweiflung, die Trostlosigkeit, die ausnahmslos alle Figuren umtreibt oder irgendwann erfasst, ist die, die ich schon aus Staffel 1 kenne. Das alles zusammen macht Staffel 2 zu einer adäquaten Fortsetzung, die es schafft, das hohe Niveau der ersten Staffel zu halten. Und doch haben die acht neuen Folgen etwas, was diese Staffel noch ein bisschen besser macht als die erste. Es schwingt Hoffnung mit. Hoffnung, dass das Leben doch nicht immer so verdammt scheiße und ungerecht ist. Hoffnung, dass es irgendwann besser werden kann. Allerdings ist es nur ein Hauch Hoffnung, der sich durch die Folgen zieht, mal ist er winzig, mal etwas größer. Aber er bleibt: ein Hauch. "Da ist Hoffnung? Dann ist es doch eindeutig, dass die zweite Staffel anders ist als die erste" - könnte man sagen. Aber ich bin mir unschlüssig, ob das die zweite Staffel anders macht als die erste. Oder ob ich den Hauch in Staffel 1 übersehen habe, nicht gespürt habe. Weil alles so neu und aufregend war: die Figuren, die Bildsprache, die Geschichte, die Staffel als Ganzes. (Um dem auf den Grund zu gehen, werde ich mir die erste Staffel noch einmal anschauen.)
Ich hoffe inständigst, dass diesen zwei außergewöhnlichen Staffeln keine weitere hinzugefügt wird. (Ja, wer den Anfang meines Textes noch im Kopf hat, könnte meinen, ich wäre nicht lernfähig.) Denn: Charlie Covell, die Autorin, der wir die erste Staffel als Adaption und die zweite Staffel ohne Adaption zu verdanken haben, hat in Interviews zum Start von Staffel 2 verkündet, dass sie für eine dritte Staffel nicht in Frage kommt. "Ach, das ist doch nur eine Frage des Geldes", könnte man einwenden. In diesem Fall scheint es mir nicht so, denn in denselben Interviews hat Covell auch gesagt, dass sie sehr enttäuscht gewesen wäre, wenn sie keine zweite Staffel hätte machen können. Wenn sie nun also der britischen Programmzeitschrift "Radio Times" sagt: "And I think I like where we end it [in season two], and yeah, it feels right for the story", kann ich ihr nur zustimmen. Es passt. Es ist genau richtig so. Und ich freue mich darüber, dass "The End of the F***ing World" mit diesen zwei perfekten und ineinandergreifenden Staffeln beendet ist und damit eine kleine, feine Serie bleibt, von der sich hoffentlich noch viele Serienfans viele Jahre lang mit Begeisterung erzählen werden.
Beide Staffeln von "The End of the F***ing World" sind bei Netflix verfügbar.