Die nächste vielversprechende Serie lauert schon, während man sich an einer neuen versucht. Sowohl im Hinterkopf als auch auf der Streamingplattform, auf der man schaut. Die Auswahl an richtig guten Serien unterschiedlichster Genres ist einfach riesig, vielleicht hat sich sogar eine lange Liste von Serien angesammelt, die man dringend gucken will. Kein Wunder, dass die allererste Folge einer Serie ungemein wichtig geworden ist. Und ich kann jede und jeden gut verstehen, die oder der sich nach einer nicht durchgehend großartigen Pilotfolge von einer Serie abwendet. Doch nach dem Gucken einer Pilotfolge auf die Qualität der folgenden Episoden oder gar einer ganzen Staffel zu schließen, ist nicht immer einfach: Man kann ziemlich daneben liegen und die beste Serie aller Zeiten verpassen, weil einem in der ersten Folge etwas nicht gefallen hat.
Drei Beispiele aus meiner Serienwoche, bei denen ich zweimal auf unterschiedliche Art daneben lag und einmal genau richtig:
"The Politician": Ein amerikanisches Comedy-Drama von Ryan Murphy, Brad Falchuk und Ian Brennan über einen jungen Mann, der US-Präsident werden will. Die erste Staffel spielt an der Highschool, als er zum Schülersprecher gewählt werden will.
Ich war hin und weg von der Pilotfolge. Mich hat die Überdrehtheit begeistert - sowohl die Überdrehtheit der Handlung als auch der Figuren. So viel Handlung, wie hier nur in dieser einen Folge steckte, haben manche Serien noch nicht einmal in einer ganzen Staffel. Die Einstellungen waren groß, überbordend, die Farbgebung herrlich. Ich hatte großen Spaß an dieser ersten Folgen und erwartete viel von den restlichen sieben Episoden. Doch schon die zweite war eine große Enttäuschung - einfach nur langweilig und gekünstelt. Die Staffel wurde dann zwar wieder besser und es waren tolle Folgen dabei. Ein Highlight war die letzte Folge, in der ich den Eindruck hatte, dass die Serie wieder ein Ziel hat, was sich auch auf die Figuren ausgewirkt hat. (Und ja, Bette Midler und Judith Light sind großartig - schade, dass ihre Figuren erst im Staffelfinale eingeführt werden.) Aber insgesamt: unausgegoren, überfrachtet, mehr Schein als Sein, mit einigen Höhepunkten und mindestens ebenso vielen Tiefpunkten. Hätte ich das in der ersten Folge ablesen können, hätte ich länger darüber nachgedacht, ob ich weitergucken will. Hm.
Eine einzige Sache hat mich in allen Episoden nicht enttäuscht: Das Intro zu "The Politician" ist und bleibt der Hammer. Und ich habe es jedes Mal wieder fasziniert geschaut und immer wieder Neues darin entdeckt.
"Skylines": Eine deutsche Drama-Serie, die in Frankfurt am Main spielt und die sich um einen jungen Hip-Hop-Produzenten und DJ dreht, der groß rauskommen will.
Ja, die erste Folge fand ich ganz gut. Weil mir zwei der Hauptfiguren gefallen haben (der junge DJ Jinn, gespielt von Edin Hasanovic, und die Polizistin Sara, gespielt von Peri Baumeister) und ich den Handlungsstrang, in dem es um das Hip-Hop-Geschäft und den Aufstieg des jungen DJs geht, interessant fand. Aber ich hatte Befürchtungen, dass die Serie sich verzetteln könnte, dass die Geschichte des interessanten Musik-Nerds an den Rand rücken könnte, weil in der ersten Folge mit dem Organisierten Verbrechen sowie Finanz- und Immobilienspekulationen zwei weitere Fässer aufgemacht wurden. Genauso war es in den restlichen fünf Folgen: Ich fand die Serie immer dann großartig und spannend, wenn sie nah an Jinn und seinem Vorbild Kalifa (gespielt von Murathan Muslu) war. Doch die anderen Handlungssträngen waren mir teilweise zu viel, manche Entwicklungen fand ich sogar völlig unwichtig. Am Ende habe ich zwar verstanden, worauf es hinausläuft - doch diese Auflösung wäre meiner Meinung nach auch möglich gewesen, ohne derart ins Detail zu gehen. Dieser Eindruck des Verzettelns wird an einer Figur besonders deutlich: Zilan (Carol Schuler), mit der Jinn ein Lied produzieren soll, wird etabliert, darf sich entwickeln, zeigt Potenzial, eine Figur zu werden, für die ich auf jeden Fall weiterschauen würde - doch dann gibt es eine sehr unbefriedigende Wendung. Offenbar war Zilan nur dazu da, Charaktereigenschaften der Figur Jinn zu zeigen. Verschenkt!
"Brooklyn Nine-Nine": Eine amerikanische Polizei-Comedy von Michael Schur und Dan Goor über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Polizei-Reviers in New York.
Die erste Folge? Entsetzlich! Ich konnte weder mit den Figuren noch mit dem Humor irgendetwas anfangen. Obwohl ich ein großer Fan von Michael Schurs Comedy "Parks and Recreation" bin, die ebenfalls in einer Behörde spielt. Ich habe nach der ersten Folge ausgeschaltet, mich schnell anderen Serien zugewendet und immer mal wieder gewundert, wenn mir Leute, deren Seriengeschmack meinem sehr ähnlich ist, davon vorschwärmten. Vier Jahre später habe ich der Serie erneut eine Chance gegeben. Weil es mich irgendwie wurmte, dass ich mit ihr nicht warm geworden bin. Mittlerweile hatte sich zu Michael Schurs Werk nämlich noch "The Good Place" dazu gesellt, von der ich sehr schnell ebenfalls Fan geworden bin. Warum also hat mich die erste Folge von "Brooklyn Nine-Nine" so überhaupt nicht gepackt, wunderte ich mich. Weshalb ich sie einfach noch einmal geschaut habe. Ich fand sie noch immer schwierig, aber ich habe tapfer weitergeschaut. Und zack, ab der zweiten Folge war ich drin. Und mittlerweile, zehn Episoden später, bin ich begeistert. Die Figuren - warmherzig! Der Humor - wirklich witzig! Die Geschichten - einfallsreich! All das hatte ich beim ersten Gucken an der Pilotfolge nicht abgelesen.
Was aus meinen Beobachtungen folgt? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich einerseits darin bestätigt, wie schwer es ist, nach einer Folge über eine Serie zu urteilen. Andererseits weiß ich aber, dass es im Guck-Alltag vieler Serienfans gar nicht anders geht, als schnell ein Urteil zu fällen. Schließlich ist die Gefahr groß, Zeit an eine Serie zu verschwenden, die man gut für eine viel bessere hätte nutzen können.
"The Politician" und "Skylines" sind nur bei Netflix verfügbar.
Mehrere Staffeln von "Brooklyn Nine-Nine" sind zum Beispiel bei Amazon, iTunes, Maxdome oder Netflix verfügbar.