Ich komme ohne Umschweife zur Sache: Dass mich die italienische Serie "Meine geniale Freundin" so kalt lassen würde, hatte ich absolut nicht erwartet. Was nicht bedeutet, dass es eine schlechte Serie ist. Nein, sie ist hochwertig produziert, die Figuren sind passend besetzt, die Geschichte ist spannend und sehr gut geschrieben, die Autorin der Buchvorlage war an den Drehbüchern beteiligt. Und ja, es gibt sicher viele Leute, die von dieser HBO/RAI-Serie gefesselt sind - wie mein DWDL.de-Kollege Torsten Zarges, der eine begeisterte Kritik geschrieben hat.

Aber: Ich habe die gleichnamige Buchvorlage von Elena Ferrante gelesen. Oder eher: Ich habe das Buch mit Begeisterung verschlungen, war gefesselt von der Geschichte, von den Figuren. Ich wurde reingezogen in den armen Stadtteil Neapels nach dem Zweiten Weltkrieg, in den harten, herausfordernden, oft trostlosen Alltag der beiden Mädchen Elena und Lila, die im Mittelpunkt stehen. Mehr noch: Beim Lesen schlüpfte ich in den Körper der Ich-Erzählerin. Ich spürte ihren Herzschlag, hörte ihre Gedanken, fühlte mit ihr.   

An dieses besondere Gefühl, daran, dass ich eins werde mit der Hauptfigur, kann die Serien-Umsetzung nicht heranreichen. Und ich denke, dass es in diesem Fall nicht an Unzulänglichkeiten dieser einen Serie liegt, sondern am Medium Serie an sich im Unterschied zum Medium Buch. Ich habe hier in dieser Kolumne immer mal wieder über Serien geschrieben, die auf der Basis von Büchern entstanden sind, die ich gelesen hatte - "American Gods", die "Strike"-Krimis oder auch "The Handmaid's Tale" -, doch bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass diese Serien in der Umsetzung an die Grenzen des Mediums stoßen. Im Gegenteil: In allen Fällen haben die Serien den Geschichten etwas hinzufügt, das das Gucken für mich als Bereits-das-Buch-gelesen-Habende reizvoll gemacht hat. Durch die Umsetzung als Serie wurde die Erzählung bereichert.

Im Buch "Meine geniale Freundin" wird die Geschichte aus Sicht der Hauptfigur Elena erzählt. Das an sich ist kein Problem für eine TV-Umsetzung - entsprechend arbeitet die Serie ebenfalls mit einer Ich-Erzählerin. Doch wenn man sich das genauer anschaut, werden hier schnell die Grenzen des Mediums deutlich: Die Ich-Erzählerin im Buch erzählt nicht nur einfach die Geschichte aus ihrer Sicht, sondern sie lässt uns Leser und Leserinnen sehr stark an ihren Gefühlen teilhaben, an ihrer Bewertung, zu der sie gelangt ist, weil sie die Geschichte als Rückblick erzählt. Und das ist für das Buch essenziell: Denn hier steht nicht eine spannende Geschichte im Mittelpunkt, die sich einfach von A nach B erzählen lassen würde und bei der etwas über die Situation von Frauen im Italien der Nachkriegszeit mitschwingt. Sondern hier steht die vielschichtige Beziehung zwischen zwei Frauen im Mittelpunkt, die über die Geschichte und die gemeinsamen Erlebnisse transportiert werden soll. Diese subjektive Art, wie Elena die Erlebnisse schildert, macht es mir als Leserin möglich, tatsächlich in ihren Kopf und in ihr Herz zu kriechen. Denn, egal was in der Geschichte gerade passiert, ich nehme alles als ein Teil von Elena wahr. 

Das ist in einer Serie nur begrenzt möglich. Natürlich kann man die gealterte Elena aus dem Off sprechen lassen. Doch würde das ununterbrochen passieren, bestünde die Gefahr, dass das die Handlungen der Figuren, die wir auf dem Bildschirm sehen, überdecken und abschwächen würde. Dementsprechend wird in "Meine geniale Freundin" die Stimme der gealterten Elena aus dem Off nur dosiert eingesetzt. Und zwar dann, wenn es darum geht, eine subjektive Bewertung besonders deutlich zu machen. In den langen Strecken dazwischen bin ich als Zuschauerin mit den Figuren allein, habe zwar im Hinterkopf, dass das Elenas Geschichte ist, doch ich bin nicht ununterbrochen bei ihr und kann so kein Teil von ihr werden. Und das sind genau diese besonderen Gefühle, die mir bei der Serie fehlen. Ich sitze vor dem Fernseher, nehme wahr, aus wessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, identifiziere mich mit der einen oder der anderen Figur, vielleicht mit mehreren - so wie ich das bei vielen anderen Serien tue, die mir gefallen. Doch das reicht mir im Fall von "Meine geniale Freundin" nicht. Weil ich noch näher dran sein will, weil ich die Geschichte nicht erzählt bekommen will, sondern weil ich sie durch Elenas Augen selbst erleben will. Genau, wie ich sie im Buch durch Elenas Augen und mit Elenas Herzen erleben konnte. 

Ich habe weiter oben zwar geschrieben, dass das Buch die Grenzen des Mediums Serie sprenge. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto unsicherer werde ich mir. Vielleicht ist es tatsächlich möglich, auch in einer Serie dieses Gefühl zu erzeugen, das ich bei der Adaption von "Meine geniale Freundin" vermisse. Ich kenne allerdings keine Serie, die je ein solches Gefühl bei mir hervorgerufen hat. Vielleicht gibt es Stilmittel oder Erzählweisen, mit denen das möglich ist. Vielleicht müssen die aber erst noch gefunden und erprobt werden - um so die Grenzen des Mediums Serie zu verschieben. Und um künftig auch Büchern wie denen von Elena Ferrante gerecht werden zu können.

Die erste Staffel von "Meine geniale Freundin" ist bei Magenta TV verfügbar. Im Original sprechen die Figuren einen neapolitanische Dialekt, der bei HBO Englisch, bei den italienischen Anbietern Italienisch untertitelt wird. Bei Magenta TV ist zwar zusätzlich zur deutschen Synchronisation die Originalversion verfügbar, allerdings funktionieren die Untertitel (weder die deutschen noch die andersprachigen) derzeit nicht. Laut Pressestelle der Telekom hat das technische Gründe, an der Lösung des Problems werde gearbeitet.

Das Buch "Meine geniale Freundin" von Elena Ferrante ist der erste Teil einer vierteiligen Reihe, die das Leben der Hauptfigur Elena erzählen. Die Bücher sind beim Suhrkamp-Verlag erschienen.