Die Science-Fiction-Serien und -Filme, mit denen ich groß geworden bin, waren von männlichen Figuren dominiert: Luke Skywalker und Darth Vader in "Star Wars"; Captain Kirk, Dr. McCoy und Commander Spock in "Raumschiff Enterprise"; Captain Picard, Commander Riker und Lt. Commander Data in "Star Trek: Das nächste Jahrhundert". Klar gab es auch wichtige weibliche Figuren: von Prinzessin Leia über Uhura bis Dr. Crusher und Deanna Troi. Doch diese weiblichen Figuren waren nicht die Heldinnen. Prinzessin Leia war zwar tough und konnte sich behaupten, aber auch sie musste gerettet werden - wie die Prinzessinnen in ungefähr allen Prinzessinnen-Geschichten, die ich damals kannte. Uhura hatte nicht wirklich viel zu tun. Und Dr. Crusher und Deanna Troi waren eine Ärztin und eine Empathin, kümmerten sich um das Wohlergehen der männlichen Helden.
Mich hat das nicht gestört. Ich habe die Geschichten geliebt und damals nicht in Frage gestellt, warum es selbst in der fernen Zukunft nur die Männer sind, die das Sagen haben und die Welt retten. Warum ich das nicht in Frage gestellt habe, weiß ich nicht - im Grunde seltsam, denn ich habe spätestens ab 15 sehr viel in Frage gestellt und bin damit meiner Umgebung ziemlich auf die Nerven gegangen. Aber mir war der Protest gegen Kriege für Öl und gegen Umweltverschmutzung wichtiger als die Beschäftigung mit den Geschlechterdarstellungen in Fernsehen und Kino. Vermutlich, weil ich damals noch dachte, dass die Geschlechter längst gleiche Chancen haben.
Mehr als 20 Jahre und unzählige Serien und Filme später ist mein Blick auf TV- und Kinoproduktionen deutlich reflektierter und differenzierter. Ich bin einerseits ernüchtert und gleichzeitig entsetzt, was Frauenfiguren und die Darstellung von Frauen auf dem Bildschirm in den vergangenen 30 Jahren angeht. Andererseits freue ich mich, dass sich gerade in den letzten Jahren einiges getan hat. Diese Fortschritte sind oft klein, und erst mit einigem Abstand sieht man, dass die vielen kleinen Schritte zusammengenommen einen großen Sprung ergeben.
"Star Trek: Discovery" hat mich von Anfang an erfreut, weil die Hauptfigur mit Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) eine Frau ist - auch wenn sie einen männlichen Vornamen trägt -, sie ist keine Ärztin oder Empathin, sondern Commander/Wissenschaftsoffizierin bei der Sternenflotte, deren Job es nicht ist, sich um das Wohlergehen der Besatzung zu kümmern. Und das Raumschiff, auf dem sie zu Beginn der Serie als First Officer eingesetzt ist, wird von einer Frau befehligt, Captain Philippa Georgiou (Michelle Yeoh). Ich fühlte mich gut unterhalten, bedauerte zwar sehr, dass Georgiou schon früh getötet wurde und der nächste Captain, unter dem Burnham diente, wieder ein Mann war. Aber: Es gab weitere interessante Frauenfiguren. Und als eine Georgiou-Doppelgängerin im Mirrorverse auftaucht - als unbarmherzige Herrscherin eines großes Reiches - und mit ganz anderen Charakterzügen wieder in die eigentliche Erzählung integriert wird, war ich sehr erfreut. Vielversprechende Voraussetzungen für die zweite Staffel.
ACHTUNG, SPOILERWARNUNG - wer noch nicht alle veröffentlichten Folgen der zweiten Staffel gesehen hat und nicht gespoilert werden möchte, sollte die nächsten Absätze überspringen.
Doch es dauerte zehn Folgen, bis das, was in Staffel 1 gesät wurde, aufging und zu blühen begann - und noch ein bisschen länger, bis mir klar wurde, was da gerade passiert war. Am Ende der zehnten Folge wird enthüllt, wer der "rote Engel" ist - die Figur, die einen wichtigen Teil des Handlungsbogens in der zweiten Staffel trägt, deren Geheimnis auf die Spur gekommen werden muss, die in der Staffel immer mal wieder erscheint und die möglicherweise aus der Zukunft heraus auf einer Rettungsmission ist. Es ist, anders als gedacht, nicht Michael Burnham selbst aus der Zukunft. Sondern ihre totgeglaubte Mutter Gabrielle Burnham (Sonja Sohn), die damals nicht etwa beim Angriff der Klingonen auf ihre Forschungsstation umgekommen ist. Sondern die beim Klingonen-Angriff mit ihrer eigenen Erfindung - einem besonderen Raumanzug - in die Vergangenheit reisen wollte, um den Angriff zu verhindern. Doch diese Erfindung war nicht ausgereift, und so hängt sie seitdem in der Zukunft fest, nur kurze Besuche in verschiedenen Zeiten sind für sie möglich. Die damals zehnjährige Michael und der Rest der Welt dachte, beide Elternteile seien gestorben - weshalb sie von Spocks Eltern adoptiert wurde und als Spocks Schwester aufwuchs.
Die Enthüllung fand zum Ende der zehnten Episode statt. Doch erst im Laufe der elften Epsiode wurde mir klar, was das bedeutet: Nicht etwa der Vater springt im Angesicht der Todesgefahr für die Familie in den Raumanzug, um alle zu retten. Sondern die Mutter. Und während es am Anfang für die Mutter nur darum ging, ihre Tochter zu erreichen und zu retten, hat sie in der Zukunft gesehen, wie desaströs sich das Universum entwickeln wird. Weshalb ihre Mission nun lautet: alles Leben im Universum retten. Eine Frau als Retterin des Universums. Im die gesamte Staffel umfassenden Handlungsbogen einer der popkulturell wichtigsten Science-Fiction-Serien der westlichen Welt.
Allerdings: Obwohl sie es die ganze Staffel über versucht hat, wird sie die Apokalypse nicht abwenden können. Nein, sie scheint gescheitert. Und nun ist es an ihrer Tochter, die Mission der Mutter zu vollenden. Natürlich hat sie Hilfe von einigen Männerfiguren um sie herum - allen voran Captain Pike (Anson Mount) und ihr Adoptivbruder Spock (Ethan Peck) - aber eine entscheidende Rolle spielt nun auch die Georgiou-Doppelgängerin, deren Motive interessanterweise unklar sind. Es ist übrigens eine weitere Frauenfigur, dank derer Michael Burnham im Laufe der Staffel dem roten Engel überhaupt auf die Spur kommen konnte: Spocks Mutter Amanda Grayson (Mia Kirshner), Burnhams Adoptivmutter. Unter anderem, weil sie ihrem Sohn bei der Flucht geholfen hat und ihn so vor den bösen Kräften dieser Staffel beschützt hat.
Das Mutter-Tochter-Motiv ist stark hier und höchst interessant. Michael ist den drei anderen Frauen jeweils als eine Art Tochter verbunden:
- Gabrielle Burnham ist Michaels leibliche Mutter, die sie im Kindesalter verloren hat und deren Tod sie jahrelang verarbeiten musste; von der Michael nun erfahren musste, dass sie erstens lebt, zweitens jahrelang verzweifelt versucht hat, sie zu erreichen und nun drittens alles daran setzt, heldinnenhaft das Universum zu retten.
- Amanda Grayson ist Michaels Adoptivmutter, die sie liebt und von der sie geliebt wird.
- Bei der Georgiou-Doppelgängerin ist die Lage etwas verzwickter: Sternenflotten-Kapitänin Philippa Georgiou war Michaels Vorbild und Mentorin in der Sternenflotte, ihr Tod hat sie hart getroffen, sie gibt sich - genau wie beim Tod ihrer leiblichen Mutter - die Schuld daran. Ihre Beziehung zur Doppelgängerin ist kompliziert, weil es ihr schwerfällt, die Gefühle für die frühere Georgiou abzuschalten - obwohl die Doppelgängerin für all die Charaktereigenschaften steht, die Michael verachtet. Umgekehrt liegt der Fall ähnlich: Die Georgiou-Doppelgängerin sieht immer wieder die Michael Burnham aus dem Mirrorverse vor sich, die sie wie eine Tochter geliebt hat, die jedoch so ganz anders war als die Sternenflotten-Burnham.
Vier sehr unterschiedliche Frauenfiguren mit gegensätzlichen Charakterzügen als Schlüsselfiguren in einer neuen großen Science-Fiction-Erzählung. Hach! Wenn das mein 15-jähriges Ich hätte sehen können.
(Zwölf Episoden sind bereits veröffentlicht, zwei stehen also noch aus. Ich erwarte sie voller Spannung.)
Die zweite Staffel von "Star Trek: Discovery" wird wöchentlich auf Netflix veröffentlicht. Dort ist auch Staffel 1 verfügbar.