Manchen Serien merkt man an, dass eine bestimmte Entscheidung nicht gefällt wurde. Wenn ich das beim Anschauen feststelle, ärgere ich mich - und schalte die Serie meistens ab. Und dann frage ich mich, was das soll. Ob es in bestimmten Fällen vielleicht am mangelnden Mut lag? Oder ob man sich erhofft, durch das Nicht-Entscheiden mehr Zuschauer und Zuschauerinnen anzusprechen, weil für jeden und jede etwas dabei ist? Was ich auf jeden Fall immer feststelle: Die Qualität der betroffenen Serie leidet unter dieser fehlenden Entscheidung. Ein gutes Beispiel für dieses Problem ist die deutsche Serie "Dead End", die am Dienstag bei ZDFneo gestartet ist.
Ich wollte die Serie mögen. Ich habe sie ausgewählt, weil ich dachte, das könnte etwas sein, das mir gefällt. Und: Ich wollte nach Jahren der Abstinenz von deutschen Krimiserien mal reinschauen, was sich so tut. Die Story ist zwar nicht außergewöhnlich - erfolgreiche Forensikerin kommt in das Örtchen zurück, in dem sie aufgewachsen ist und in dem ihr in die Jahre gekommener Vater noch als Forensiker arbeitet -, aber der Trailer war vielversprechend, ebenso die Besetzung. Und ich hatte gehofft: Na, wenn sie sich so eine Backstory für die weibliche Hauptfigur ausdenken, werden sie damit noch etwas vorhaben. Wenn jemand aus der großen weiten Welt (USA) zurückkehrt ins Kaff der Kindheit (Mittenwalde), dann gibt's einiges zu erzählen. Und zwar mindestens: veränderte Dynamik in der Beziehung zum Vater - Kontakt mit Menschen/Freunden/Feinden aus der Schulzeit - Gründe für die Rückkehr. Ich deutete das folgendermaßen: Dass ich eine deutsche Krimiserie einschalten würde, in der die Handlung horizontal, also mehrere Folgen übergreifend, erzählt würde.
Leider lag ich falsch. Oder besser gesagt: halb falsch. Was schlimmer ist, als richtig falsch zu liegen. Denn erst war "Dead End" ganz ähnlich den vielen, vielen, vielen deutschen Krimiserien, die ARD und ZDF seit Jahrzehnten ausstrahlen: Jemand stirbt und innerhalb einer Folge wird der Todesfall (meist ein verzwickter Mordfall) lückenlos aufgeklärt. Doch ab Folge 4 ändert sich das - die Handlung wird horizontal erzählt, der aufzuklärende Todesfall rückt an den Rand, Verstrickungen um einen anderen Todesfall sind zentral. Und ja, hier ist es dann die Vorgeschichte der weiblichen Hauptfigur, die plötzlich wichtig wird.
Durch diese Fokusverlagerung ändert sich der Charakter der Serie fundamental. Was ein Problem ist. Denn: Die Zuschauer und Zuschauerinnen, die keine Lust auf Krimiserie nach dem Schema ein Fall pro Folge haben, steigen nach Folge 1 aus. Diejenigen aber, die genau wegen dieses Schemas weiterschauen, müssen sich nach nur 3 Folgen auf etwas Neues einstellen. Und obwohl ich es mag, wenn mich eine Serie überrascht und ich mich gerne darauf einlasse - bei einer neuen Krimiserie, die nach diesem seit Jahrzehnten eingeübten Schema erzählt wird, wollen die meisten nicht überrascht werden. Würde ich auch nicht. Wer in der Laune ist, sich von einer Serie überraschen zu lassen, schaltet dafür keine Ein-Fall-pro-Folge-Krimiserie aus Deutschland ein. Ja, nach vielen Folgen kann man das gerne machen, damit die Serie sich entwickeln und verändern kann. Aber doch bitte nicht, wenn das Publikum noch nicht einmal eine Handvoll Episoden davon sehen konnte.
Ist "Dead End" also eine Krimiserie mit einem Schwerpunkt auf vertikalem oder horizontalem Erzählen? Auf mich wirkt es, als hätte man sich weder für das eine noch für das andere entschieden. Und das hat nicht nur Konsequenzen für die Erwartungshaltung des Publikums, sondern offensichtlich auch für die Figuren. Für eine Serie, die pro Folge einen Mordfall inklusive Aufklärung erzählt, ist es nicht unbedingt nötig, die Hauptfiguren von Serienstart an gut auszuarbeiten und ihnen entsprechend Raum zu geben. Klar, man braucht Figuren, die Identifikationspotenzial bieten und die Möglichkeiten zur Entwicklung, aber eine große Rolle spielt auch der Mordfall der Woche, der präsentiert, ermittelt und gelöst werden muss. Da verzeiht das Publikum gegebenfalls auch mal oberflächliche Figuren oder Anflüge von Klischees, solange der immer neue Mordfall interessant und unterhaltsam ist. Im Fall von "Dead End" wurde viel Wert auf möglichst verzwickte Fälle gelegt. Was leider zur Folge hat, dass sich die Hauptfiguren dann schwertun, wenn ihre Geschichten in den Fokus rücken. Sie sind nicht ausreichend ausgeformt, ihre Beziehungen zueinander sind nicht ausreichend geklärt, als dass sie die Serie tragen könnten. Vorhersehbare Handlungen, Schablonen-Sätze und inkonsistente Entscheidungen der Figuren sind die Konsequenz. Schade, die Figuren Emma Kugel (Antje Traue) und ihr Vater Peter Kugel (Michael Gwisdek) hatten durchaus Potenzial.
"Dead End" läuft seit 25. Februar dienstags bei ZDFNeo, in der ZDF-Mediathek sind alle sechs Folgen verfügbar.