„Doubt thou the stars are fire;
Doubt that the sun doth move;
Doubt truth to be a liar;
But never doubt I love.“

Diese Worte stammen aus William Shakespeares „Hamlet“ und stellen gleichzeitig das Schlussbild für die letzte Szene von „Sons of Anarchy“ dar. Die Bedeutung dahinter ist simpel: Du kannst alles hinterfragen, jedoch nicht, dass ich liebe. Das ist durch und durch die Geschichte von Jax Teller, die von 2008 bis 2014 in 92 Folgen erzählt wurde. Generell ist sein gesamtes Leben an das des lyrischen Hamlet angelehnt und so könnte man als Unwissender doch etwas stutzig werden, wenn man hört, dass dieses einstige, klassische Theaterstück in Form eines US-amerikanischen Dramas, das sich um eine Biker-Gang dreht, in sehr vielen Facetten neu aufgegossen wurde. 

In sieben Staffeln bewies Showrunner Kurt Sutter in einer der unterbewertesten Serie aller Zeiten jedoch, wie grandios diese moderne Aufbereitung funktioniert. Umso schöner ist es nun, dass Sutter, mehr als vier Jahre nach Ende der Serie, neben dem bereits angekündigten Anarchy-Spin-Off „Mayans MC“, anscheinend noch mehr geplant hat. Im Januar wurde nämlich bekannt, dass er mit Fox einen größeren Deal geschlossen hat. Konkret geht es darum, dass er in Prequel- und Sequel-Serien noch von der Gründung Samcros (Sons of Anarchy Motorcycle Club Redwood Original) erzählen möchte, sowie von Jax’ Söhnen und Jax’ Vater. Doch bevor es soweit ist, gebührt der Originalserie noch ein bisschen mehr Scheinwerferlicht.

Im gleichen Erscheinungsjahr und nur kurz vor den Sons startete nämlich eine Serie, die den Großteil der damaligen Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Rede ist vom Phänomen „Breaking Bad“. Mit solch einer gehypten Serie zu konkurrieren ist nie dankbar, trotz der eigenen Qualitäten. Und so ging die Geschichte des krebskranken Chemielehrers steil, während Jax Tellers Tragödie eher zum Geheimtipp wurde. Als guter Anhaltspunkt dafür kann die Präsenz beider Serien bei IMDb genommen werden: Während beide Produktionen außerordentlich gut bewertet wurden, sind es bei „Breaking Bad“ über eine Million Menschen, die ihre Meinung geäußert haben. Bei „Sons of Anarchy“ lediglich um die 200 000. 

Dabei ist die Erzählung um Jax Teller (Charlie Hunnam in der Rolle seines Lebens) und seinem Motorradclub Samcro, mit dem er der Kriminalität abschwören möchte, dramaturgisch so vielschichtig aufgebaut, dass sie eigentlich genauso viele Emmys verdient hätte wie der 16-fache Preisträger Walter White. Tatsächlich sind es aber null Auszeichnungen. „Ich verstehe das nicht“, meinte Sutter mal in einem Interview. „Aber ich bin von diesem bescheuerten Emmy-Gelaber sowieso total gelangweilt.“

Auch Hunnam sagte, dass er nichts darauf gibt, nie berücksichtigt worden zu sein: „Es ist mir wirklich scheiß egal. Nicht alle Leute schätzen die Arbeit. Du kannst sie nicht alle gewinnen.“ Genau diese „I don’t give a fuck“-Einstellung, die jeder einzelne Darsteller in sich trägt, durchzieht „Sons of Anarchy“ und sorgt dafür, dass diese Außenseiterserie nicht nur machohaft und extrem hart wirken kann, was sie in gewissen Hinsichten auf jeden Fall tut, sondern auch bis ins Mark sympathisch ist.

Sutters totenkopftragender Club beschäftigt sich nämlich nicht damit, was andere von ihm halten. Die Mitglieder bleiben sich selbst stets treu und hören nur auf die Worte derjenigen, die ihnen wirklich etwas bedeuten. Das ist auch der Realismus, den echte Biker so an der Serie schätzen. Zwar ist die Action und das Blutvergießen laut Umfragen nicht so extrem wie in echt. Doch wurden die sozialen Umstände und die Wichtigkeit der Loyalität richtiger Gangs ins Detail analysiert und übernommen.

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Das liegt auch daran, dass Sutter sich mehrere Hells Angels-Mitglieder als Berater ins Boot holte, die sich mit ihren Chaptern bzw. Chartern, also lokalen Biker-Gruppen, jahrzehntelang die Brötchen verdient haben. Dazu gehört unter anderem David Labrava, der frühzeitig auch mal nach einer eigenen Rolle gefragt hat - und sie bekam. Als Auftragskiller „Happy“ stellt nicht nur er eine bemerkenswerte Nebenrolle dar. Prinzipiell hat beinahe jedermann eine derart tiefgehende Persönlichkeit, die nicht selten an die von Jax Teller reicht. Dazu gehört Ron Perlman und seine Figur des Clay Morrow, eine der ekelhaftesten Seriencharaktere aller Zeiten, Katey Sagal aka Gemma Morrow, die nach „Eine schrecklich nette Familie“ zeigt, was für eine wandelbare Darstellerin sie ist und auch ein Kim Coates als Tig Trager, der einem nie die Entscheidung abnimmt, ob man ihn nun lieben oder hassen soll.

Es ist wirklich unverhältnismäßig, für wie viele Figuren man als Zuschauer Gefühle entwickelt. Umso gemeiner ist es, dass das Phänomen, vollkommen überraschend wichtige Charaktere sterben zu lassen, nicht erst bei „Game of Thrones“ zum Vorschein kam, sondern hier bei „Sons of Anarchy“. In wunderbarster Shakespeare-Manier wird hier mit den Emotionen des Zuschauers gespielt. Nicht selten wird dabei etwas fallen gelassen. 

Doch genau das ist das Heroin, das einem „Sons of Anarchy“ gibt. Es ist eine Geschichte voller Hingabe, von gebrochenen Menschen und einem ehrwürdigen Ziel. Auf dem Weg zu diesem wird die Serie von Staffel zu Staffel immer besser - was auch bei guten Produktionen freilich keine Selbstverständlichkeit ist - und zeigt zwischen Glauben und Sinnstiftung, dass ein fulminantes Drama keine Superlative braucht, um zu überzeugen. Neben all der Brutalität ist „Sons of Anarchy“ nämlich bestechend poetisch und ruhig. „Have more than you show, speak less than you know“, hätte Shakespeare wohl dazu gesagt. 

Die kompletten sieben Staffel von "Sons of Anarchy" sind derzeit auf Netflix streambar

Unsere Kolumnistin Ulrike Klode pausiert derzeit. Während dieser Zeit wird sie von Kevin Hennings vertreten.