"Patriot" führe die guten Aspekte von "Mr. Robot", "Fargo" und "The Americans" in einer Comedy zusammen, stand im Februar in der "New York Times". Obwohl ich es häufig etwas seltsam finde, Serien zu beschreiben, indem man andere Serien anführt - diese Beschreibung passt wirklich gut. Und wenn ich diesen Satz vor dem Gucken gelesen hätte, hätte ich die Serie sofort eingeschaltet.
"Patriot" gehört aber zu jenen wenigen Serien, über die ich vor dem Einschalten nichts gelesen hatte. Ich hatte nur wahrgenommen, dass Amazon eine neue Serie veröffentlicht - irgendwas mit einem Spion. Erst Monate nach der Veröffentlichung hatte ich Zeit, ein bisschen in Amazon Prime und Netflix herumzustöbern, weil ich gerade nichts Dringendes auf meiner professionellen Guckliste hatte. Und es war - überraschenderweise - tatsächlich das Teaserbild in Amazon Prime, das mich ansprach, in Kombination mit dem Teaser. Hier ein Screenshot und der Link:
Was mich daran genau ansprach: Dieser etwas ratlos auf einem Bett sitzende Mann mit melancholischem Blick, zu seinen Füßen ein anderer Mann, mit Duct-Tape gefesselt - in Kombination mit dem hellen Raum, in dem sich die beiden befinden. Ein ungewöhnliches Teaserbild für eine Spionage-Serie. Dazu folgende Textteile aus der Beschreibung: "undercover in eine Rohr-Firma im mittleren Westen einschleusen" und "posttraumatisches Stresssyndrom, die Inkompetenz der Regierung". Das alles zusammen ließ mich darauf hoffen, dass es sich bei "Patriot" um eine unkonventionelle Spionage-Geschichte handeln würde. Und mein erster Eindruck täuschte nicht: "Patriot" ist eine wirklich ungewöhnliche Serie, die die Grenzen des Genres auslotet. Sie ist in so vielen Punkten unkonventionell, dass ich die Punkte hier gar nicht alle aufzählen kann. Ich werde mich auf ein paar wenige Aspekte beschränken, um klar zu machen, warum diese Serie etwas Besonderes ist. Und daran wird vermutlich auch deutlich, dass sie nicht unbedingt für jeden geeignet ist.
Die männliche Hauptfigur ist ungewöhnlich - und sehr interessant. John Tavner ist ein Spion, der durch seinen Job ein Trauma nach dem anderen erlebt, einen riesigen Berg an Schuldgefühlen aufgehäuft hat, den er dadurch abzubauen versucht, dass er Folksongs über seinen Job schreibt, mit denen er öffentlich auftritt. Und in denen er im Detail seine Aufträge beschreibt. Der nachts im Dunkeln mit dem Rad einfach so lange geradeaus fährt, bis er keine Lust mehr hat - oder einen Unfall. Den eine melancholische Stimmung umweht, egal was er gerade tut. Bei dem eine Sache nach der nächsten schiefgeht - und zwar nicht, weil er inkompetent ist, sondern weil es einfach nicht zu vermeiden ist. Der aber trotzdem seinen Auftrag weiterverfolgt, weil er sich verpflichtet fühlt - seiner Familie gegenüber. Ja, es ist kompliziert und wird noch viel komplizierter. Michael Dorman spielt diese Figur wirklich großartig. Ihm gelingt das Kunststück, dass ich schon in den ersten Minuten mit diesem gebrochenen Mann mitfühle. Dass mir also dieser Spion, den ich dabei beobachte, wie er Menschen umbringt, leidtut.
Die weibliche Hauptfigur ist wunderbar - und ebenfalls sehr interessant. Agathe Albans ist eine Polizistin in Luxemburg, die sich in ihrer Dienststelle sexistischen Anfeindungen ausgesetzt sieht, ihr wird Stein um Stein in den Weg gelegt, damit sie die Ermittlungen einstellt. Doch sie versucht unbeirrt und standhaft, einen Mehrfachmord in ihrer beschaulichen Heimatstadt aufzuklaren. Aliette Opheim spielt die Ermittlerin mit einer Überzeugung und Entschlossenheit, die beeindruckt. Und ich fühle, dass ich im Laufe der Folgen hin- und hergerissen bin: Dass ich mir einerseits wünsche, dass John Tavner ungeschoren davonkommt, dass ich mir andererseits wünsche, dass Agathe den Mörder überführt und es damit allen Männern in ihrer Dienststelle, die sie belästigen und sich über sie lustig machen, zeigen kann.
Die Serie spielt hauptsächlich in einer Industrie-Anlage im Mittleren Westen der USA und in Luxemburg. Eigentlich Orte, wo nix passiert, sollte man meinen. Nach "Patriot" weiß man: Selbst die langweiligsten und beschaulichsten Orte können eine Schlüsselrolle in einer hochkomplexen Spionage-Geschichte spielen, in der es darum geht, den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern. Faszinierend.
So. Wenn Sie sich nun von diesen drei Punkten angesprochen fühlen, sollten Sie die Serie einschalten.
Wenn Sie nun aber mit den Achseln zucken, dann bringt es vermutlich auch nichts, wenn ich Ihnen davon vorschwärme,
- dass die Serie in toll komponierten Bildern erzählt wird, in einem gelungenen Wechselspiel zwischen Close-ups und Totalen;
- dass die Actionszenen sehr sehenswert und teilweise wie unwirkliche Sequenzen inszeniert sind;
- dass herrlich schräge Nebenfiguren auftauchen, von denen viele eine eigene Serie tragen könnten;
- dass die Serie zwar eigentlich als Comedy deklariert ist, sich aber nicht einordnen lässt, weil sie gleichzeitig auch ein Drama und ein Thriller ist.
Ich für meinen Teil freue mich, dass an der zweiten Staffel bereits gearbeitet wird. Leider hat Amazon Video noch keinen Veröffentlichungszeitraum bekanntgegeben - ich hoffe natürlich, dass es noch 2018 so weit sein wird. Und bis dahin höre ich einfach ab und an den Soundtrack - und gucke hin und wieder bei meinem Mann mit, wenn er die Serie schaut, weil ich ihm so viel davon vorgeschwärmt habe.
Und zum Schluss noch ein Hörtipp und ein Gucktipp:
Im DWDL.de-Podcast "Seriendialoge" geht's dieses Mal um eine Politikserie aus dem Norden: "Borgen". Meine Gesprächspartnerin ist Eva Stadler, Professorin für TV-Management und Serien-Produzentin. Ihr Anliegen: Dass jeder und jede in der Branche diese Serie sehen sollte. Weil man von "Borgen" sehr viel lernen kann.
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Noch eine Spionage-Serie: Die zweite Staffel von "Berlin Station" startet am 15. Oktober in den USA - und die neuen Folgen sind wöchentlich ab 16. Oktober bei Netflix zu sehen.
Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?
"Patriot": Nur bei Amazon Video (Prime).