Natürlich ist es eine Binsenweisheit, dass gute Schauspieler ein Drehbuch besser machen können. Und doch war ich fasziniert, als ich diese Binse endlich einmal in aller Reinheit am lebenden Objekt beobachten konnte - bei der HBO-Serie "Big Little Lies", deren erste und einzige Staffel am 2. April in den USA endet. Die Besetzung ist ein Knaller: Reese Witherspoon, Nicole Kidman, Shailene Woodley, Laura Dern, Adam Scott und Alexander Skarsgård. Sehr oscarlastig, also. Das Drehbuch von David E. Kelley (von ihm stammen Serien wie "Ally McBeal" oder "Boston Legal") dagegen - naja. Manche Dialoge beziehungsweise inneren Monologe sind hanebüchen, einige Rahmenhandlungen wirken aufgesetzt. Insgesamt gesehen ist es nicht schlecht - aber auch nicht richtig gut. Das Wort "mittelmäßig" trifft es wohl am besten.
Also: Hier treffen hervorragende Schauspieler auf ein mittelmäßiges Drehbuch. Und es ist ein großes Vergnügen, diese Schauspielkunst zu verfolgen, ja, in ihren Bann gezogen werden. Reese Witherspoon und Nicole Kidman geben ihren Figuren eine unerwartete Tiefe, eine Ambivalenz, die das Drehbuch allein so nicht hergegeben hätte. Es sind komplexe Studien von zwei Frauen, die vermeintlich alles haben: Sie sehen sehr gut aus, leben an der kalifornischen Küste in Wahnsinnshäusern mit unglaublichen Blicken aufs Meer, haben Mann und Kinder, eine Karriere, dazu offensichtlich viel Geld. Und doch haben sie Probleme, die viele Frauen zu gut kennen.
Es ist spannend zu beobachten, wie Witherspoon es schafft, ihre Figur Madeline Martha Mackenzie so zu spielen, dass man als Zuschauer sowohl die Fremdwahrnehmung als auch die Selbstwahrnehmung des Charakters nachvollziehen kann und beides zusammen ein zwar ambivalentes, aber stimmiges Bild ergibt. Nicole Kidman dagegen spielt ihre Figur Celeste Wright anfangs überraschend zurückhaltend (was man entweder als Schüchternheit oder als In-sich-selbst-ruhend auslegen kann), und doch kann man allein durch ihr Spiel die ganze Zeit erahnen, dass mehr dahinter steckt. Und als das einige Folgen später zu Tage tritt, läuft Kidman zur Höchstform auf.
Besonders bemerkenswert: Die Szenen in den Folgen 4 und 5, als Celeste Wright - erst mit Ehemann und später ohne - mit ihrer Therapeutin (großartig gespielt von Robin Weigert) redet. Die Szenen gehen unter die Haut, weil Kidmans Figur wirkt, als könnte sie jederzeit zerbrechen, und die Wahrheiten wehtun, die sie zum ersten Mal in ihrem Leben auszusprechen scheint. Es ist ein unfreiwilliger, brutaler Tanz auf einem sehr schmalen Grat, jederzeit besteht die Gefahr, auf der einen oder der anderen Seite abzurutschen. Großartig in Szene gesetzt von Regisseur Jean-Marc Vallée ("Der große Trip - Wild" und "Dallas Buyers Club"), übrigens. Wie alle Episoden der Serie.
Die Serie hat sieben Folgen, sechs davon hat HBO vorab für Rezensionen zur Verfügung gestellt. Eigentlich wollte ich nur kurz reinschauen, doch dann habe ich alle sechs nacheinander geschaut, so gefesselt war ich von den Figuren. Die Geschichte beginnt mit einem Mordfall, doch man erfährt nicht, wer zu Tode gekommen ist - der größte Teil der Geschichte spielt in der Vergangenheit, kurz vor dem Mord. Man sollte meinen, dass ich nun dringend auch die siebte Folge schauen will, die mir also vermutlich verrät, wer ermordet wurde und wer der Mörder oder die Mörderin ist. Doch, nein, das ist mir relativ egal. Klar hätte ich der Vollständigkeit halber nichts dagegen, das zu erfahren (notfalls könnte ich das auch googeln, die Vorlage zu "Big Little Lies" war schließlich das gleichnamige Buch von Liane Moriarty). Was mich stattdessen an der letzten Folge interessiert: Noch einmal Witherspoon, Kidman, Woodley, Dern, Skarsgård und Scott in Aktion zu sehen.
Es war übrigens die Idee von Nicole Kidman, aus dem Buch eine Serie zu machen. Nachdem sie Reese Witherspoon ebenfalls davon überzeugt hatte, kaufte sie mit ihrer Produktionsfirma die Filmrechte am Buch. Die Mission ihrer Produktionsfirma: Geschichten von komplexen Frauenfiguren zu erzählen (ein lesenswerter Text über ihre Mission und die Entstehungsgeschichte von "Big Little Lies" ist bei der "New York Times" erschienen). Das ist ihr auf jeden Fall gelungen.
Und zum Schluss noch drei Gucktipps:
Schrecken zum Lachen: Die Horror-Comedy "Scream Queens" startet am 30. März bei Sixx. Sie ist übrigens vom selben Hirn erdacht wie das gruselige Gegenstück "American Horror Story": Ryan Murphy hat beides erfunden.
Selbstzerstörung made in Britan: Die vierte Staffel von "Luther" ist ab 31. März bei Netflix verfügbar. Sie hat leider nur zwei Folgen, aber die sollten Luther-Fans auf keinen Fall verpassen. Wer mehr zu "Luther" und die außergewöhnliche Hauptfigur erfahren will: In meinem DWDL-Podcast "Seriendialoge" habe ich mit Daniel Schröckert von den Rocket Beans über die Faszination der Serie geredet. "Selbstzerstörung hat einen Namen: Luther"
Vater-Sohn-Gemeinschaftswerk: Tom Hardy und sein Vater stecken hinter der britischen Dramaserie "Taboo". Die Hauptrolle - ein Mann, der nach zwölf Jahren fern der Heimat im Jahr 1840 zurück nach England kehrt, um seinen Vater zu beerdigen - spielt natürlich Tom Hardy selbst. In Großbritannien und in den USA ist die Serie Anfang des Jahres schon gelaufen, ab 31. März ist sie bei Amazon Video (Prime) auch in Deutschland verfügbar.
Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?
"Big Little Lies": Die in den USA bisher gelaufenen Folgen gibt's bei Sky Ticket und bei Sky Go, das Finale läuft in den USA am 2. April. Und ab 6. April wird die Serie bei Sky Atlantic gezeigt.
Wer mir auf Twitter folgen möchte, kann das hier tun: @FrauClodette.