So. Nachdem mich jahrelang immer irgendwas davon abgehalten hat, "The Wire" zu gucken, habe ich mich nun ENDLICH rangewagt. Und ich musste mich überwinden: Während ich es eigentlich im Urlaub genieße, Serien nachzuholen, zu denen ich im Alltag nicht komme oder gar Serien noch einmal zu schauen, fühlte es sich dieses Mal an, als hätte ich mir Arbeit mitgenommen. Ist ja im Grunde auch so. Ich habe nicht aus dem Bauch heraus entschieden, sondern mir gesagt: Komm, jetzt muss ich das aber auch endlich mal schauen.
Ich hatte die Befürchtung, dass sich "The Wire" für mich - Jahre nachdem es etwas Neues und Spektakuläres für die Serienwelt war - irgendwie alt anfühlen könnte, anstrengend, sperrig. Wie etwas, das man in groben Ansätzen kennt, weil viele andere Serien Techniken und Erzählweisen davon übernommen und weiter entwickelt haben. Aber schon nach zehn Minuten war diese Befürchtung vorbei. Die Serie hatte mich umflutet, und ich schwamm in ihr, als sei es das Natürlichste der Welt, als habe David Simon extra für mich dieses riesige Aquarium errichtet, in dem ich mit dem Strom schwimmen und den Charakteren zugucken konnte. Ein schiefes Bild? Vielleicht. Aber genauso hat es sich angefühlt.
Natürlich bin ich längst nicht durch, ein bisschen mehr als die Hälfte der ersten Staffel habe ich hinter mir. Doch eine Szene möchte ich jetzt schon herausgreifen, weil in ihr so viel steckt: der legendäre "Fuckity Fuck"-Dialog in Folge vier. McNulty und sein Partner The Bunk gehen in eine Küche, in der vor mehreren Monaten eine junge Frau erschossen wurde, um den Tathergang zu klären. Der Hausmeister schließt ihnen die Tür zu der leeren Wohnung auf und von da an hört man 4 Minuten und 3 Sekunden lang nur "Fuck" oder Variationen davon.
Wer die Szene noch nicht kennt oder nicht mehr vor Augen hat, kann sie hier anschauen: "Fuckity fuck fuck fuck" (leider nur verlinkt, ich habe keine Version gefunden, die sich einbetten ließ).
Ich habe mir mal die Mühe gemacht und die Wörter gezählt:
fuck (inklusive "fuck me" oder "oh, fuck"): 31 Mal
motherfucker/motherfuck: 4 Mal
fuckity: 2 Mal
fucker: 1 Mal
fuckin' A: 1 Mal
Nach 4 Minuten und 3 Sekunden fällt dann das Wort "Pow". Und dann ist die Szene vorbei. Unglaublich großartig auf mehreren Ebenen: auf den Punkt geschrieben, auf den Punkt inszeniert; sie macht die enge Verbindung zwischen den beiden Polizisten deutlich, die sich wortwörtlich fast wortlos verstehen; sie macht die hohe Professionalität der beiden deutlich (der Zuschauer hat kurz zuvor vom Täter bereits den Tathergang erfahren); sie zeigt, was man mit einem Wort alles ausdrücken kann. Und gleichzeitig kann man sie noch als Parodie auf die ganzen Ermittlungsserien auffassen.
Wenn schon David Simon, dann aber richtig! Ich habe noch mehr von ihm gesehen in den vergngenen Tagen. Hat sich so ergeben. Denn während ich endlich "The Wire" angefangen habe, ist in den USA (und auch in Deutschland, mehr Infos am Ende) das neueste Projekt des "The Wire"-Schöpfers gestartet: "Show Me A Hero" heißt es.
Kurz nach dem Wahlerfolg hat Nick Wasicsko (Oscar Isaac, stehend erster von links) noch Unterstützer, doch kurz darauf bricht ein erbitterter Kampf um die Wohnungsbaupolitik aus.
Und es geht um ein sehr sperriges Thema: Sozialen Wohnungsbau in den 80-ern. Die Stadt Yonkers im US-Bundesstaat New York bekommt die gerichtliche Auflage, die Wohnungsbaupolitik zu ändern und soll nun Sozialwohnungen - für Schwarze und Latinos - auch in wohlhabenderen - weißen - Vierteln errichten. Die weißen Wähler gehen auf die Barrikaden. Ich habe reingeschaut und es ging mir ähnlich wie bei "The Wire": Ich wurde hineingesogen. Trotz der vielen Lokalpolitiker in Anzügen, des unspektakulären Themas, der vielen Sitzungs- und Bürgerversammlungsszenen hat mich die Serie gefesselt. Auch weil der typische amerikanische Pathos fehlt, genauso wie die typische amerikanische Heldenkürung. Niemand ist ein Held oder gar ein weißer Heilsbringer in dieser gesellschaftspolitischen Erzählung, weil es keine Helden gibt. Auch nicht Bürgermeister Nick Wasicsko (großartig ambivalent: Oscar Isaac), der im Mittelpunkt der sechsteiligen Mini-Serie steht. Große Serienkunst!
Die ARD bemüht sich gerade, die Serienkunst, die sie zu bieten hat, möglichst gut zu verstecken. Anders kann ich mir nicht erklären, warum die am Donnerstag angelaufene Perle "Sedwitz" spätabends gezeigt wird. Eine kleine feine - na, Comedy ist es nicht - amüsante Mini-Serie über ein geteiltes Dorf in der Mitte Deutschlands Ende der 80-er.
Torsten Merten (fünfter von rechts) spielt den Grenzsoldaten Ralf Pietzsch, der durch einen Zufall an einen Schlüssel zu einem geheimen Tunnel in den Westen gerät.
Mit allerlei liebenswerten Charakteren und Torsten Merten als Hauptdarsteller, dem es gelingt, seiner Figur eine überraschende Tiefe und Ernsthaftigkeit zu geben. Warum ich das so betone? Als ich von den Plänen einer Comedy über ein paar Grenzer und einem geteilten Dorf gehört habe, dachte ich: "Oh nein, bitte keinen Brachialhumor!" Und als ich den Vorspann sah, dachte ich: "Oh nein, da kommt ja wirklich Brachialhumor, ich schalt besser gleich wieder aus." Aber ich habe der Serie noch ein, zwei Minuten gegeben. Und es hat sich gelohnt - zumindest die ersten zwei Folgen, die ich gesehen habe (sie wurden der Presse vorab zur Verfügung gestellt). Diese Geschichte aus dem Leben des DDR-Grenzsoldaten Ralf Pietzsch (Merten) ist herrlich skurril, manchmal ein bisschen verrückt, hin und wieder gibt es auch Brachialhumor, der dann aber im nächsten Moment aufgelöst wird. Sehr schade nur, dass das kaum jemand mitbekommen wird.
Was ich schon seit drei Wochen machen will: Bernd Krannich danken! Er hat es tatsächlich geschafft, mit den wenigen Beschreibungen, die ich geliefert habe (und die sich auch noch teilweise als falsch herausstellten), die Frauen-Comedy zu finden, nach der ich seit Monaten auf der Suche war (Ende Juli hatte ich darüber geschrieben). Es ist "Playing House" - und damit keine ältere Serie, wie ich in Erinnerung hatte, sondern eine ziemlich neue. Sie steht jetzt natürlich auf meiner "to watch"-Liste weit oben. Ich freue mich schon darauf. Tausend Dank!
Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das alles gucken, über das ich schreibe?
"The Wire": Läuft derzeit fast täglich bei Sky Atlantic HD. Gibt es bei folgenden Streamingdiensten komplett: Amazon Instant Video, Maxdome, iTunes, Wuaki, Snap by Sky. Und in meinem DVD-Regal.
"Show Me A Hero": Das Finale lief am 30. August in den USA bei HBO. Seitdem sind auch alle Folgen bei Sky Online und Sky Go verfügbar, in deutscher Synchronisation soll die Serie dann Anfang 2016 bei Sky laufen.
"Sedwitz": Die ARD hat die diese Woche angelaufene Serie gut versteckt: Donnerstagabends gegen 23.30 Uhr sind die Folgen im Ersten zu sehen und werden dann in den folgenden Tagen beim BR und beim MDR wiederholt. Glücklicherweise gibt es die Serie online bei www.daserste.de/sedwitz, dort ist nicht nur die alte Folge, sondern auch die jeweils neueste Folge vor der Ausstrahlung zu sehen.
"Playing House": Läuft in Deutschland nicht. Seit Anfang August läuft in den USA die zweite Staffel. Alle bisher gezeigten Folgen der ersten und zweiten Staffel gibt es bei iTunes, die erste Staffel außerdem bei Amazon Instant Video und Xbox Video.
Wer mir auf Twitter folgen möchte, kann das hier tun: @FrauClodette.