Vorurteil der Woche: Auf zwei weitere Krankenhausserien im deutschen Fernsehen kommt's jetzt auch nicht mehr an.
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Die Zukunft der deutschen Serie ist – sagen wir: schon länger recht verheißungsvoll. Aber bis die vielen in der Theorie schon mal gut klingenden Projekte, mit denen die Sender uns demnächst beglücken, reif für die Ausstrahlung sind, muss sich das Publikum zunächst einmal weiter mit Gegenwart gewordener Vergangenheit auseinandersetzen.
Und die passiert, natürlich, im Krankenhaus.
Erster Patient (freitags, 18.50 Uhr, Das Erste): Um ein für allemal zu beweisen, dass Insellösungen fürs junge Publikum im Programm nichts bringen (und deshalb künftig weggelassen werden oder in noch zu gründende Alternativkanäle ausgelagert werden können) hat sich die ARD dazu entschieden, auf dem formidablen Sendeplatz am Freitag um kurz vor Büroschluss eine kleine Jugendinitiative zu starten, angeführt von der eigenproduzierten "Berliner Dramedy" mit dem Titel "Dating Daisy".
In der spielt Tina Amon Amonsen eine frech-freundliche Krankenschwester Anfang 30, die gerade ihre Ehe beendet hat, weil der Gatte fremdliebt, und die auf dem Weg zum neuen Liebesglück von einem Gefühlschaos ins nächste stolpert. Oder wie's unter Fernsehkolumnisten heißt: Tina Amon Amonsen spielt Diana Amft, die Gretchen Haase aus "Doctor's Diary" und die alte Christine aus "Christine – Perfekt war gestern" spielt, die Julia Louis-Dreyfuss in der Vorlage "The New Adventures of Old Christine" spielt (Vorschau bei daserste.de ansehen).
Das ist, sagen wir's ganz offen: ein Highlight für alle Freunde von Bauchwegstrumpfhosenwitzen; von Dialogen zwischen sehr guten Freundinnen, die so gehen: "Ich bin dein Fels in der Brandung!" – "Sei mal felsiger!"; und von plötzlichen Wendungen, in denen knackfrische Superhandwerker bei einem harmlosen Auffahrunfall als Dating-Hoffnung am Horizont erscheinen, bis sie sich kurz darauf als Eigentum der neuen Oberärztin herausstellen. (Ups, ganz vergessen: Spoiler! Aber Sie hätten das auch alleine vorhergesehen.)
Alle anderen könnten beim zufälligen Einschalten irritiert einen Blick in den Kalender ihrer neuen Smartwatch werfen, um sich zu fragen: Häh, ist schon wieder 2006? Also ungefähr die Zeit, zu der das Erste damals nach "Zwei Engel für Amor" (und dem Wechsel von Autor David Safier auf die noch dunklere Seite der Macht, in die Buch-Bestsellerbranche) aufhörte, am Vorabend Programm für jüngere Zuschauer zu produzieren.
Abgesehen davon, dass im Hintergrund jetzt Marteria läuft, knüpft "Dating Daisy" da nahtlos an, und das ist definitiv die gute Nachricht, weil sich die Reihe ganz gut nebenbei wegsehen lässt, wenn man so kurz vorm Wochenende nicht unnötig von neuen Erzählmustern überrascht werden will.
Zweiter Patient (freitags, 19.25 Uhr, ZDF): Das Zweite schickt auf dem Sendeplatz, den Wayne Carpendale als "Landarzt" weggenommen bekommen hat, um endlich was Vernünftiges zu machen (Gameshow-Moderator bei Sat.1 werden), ChrisTine Urspruch in die Klinik. Anstatt wie im "Tatort" die Toten aufzuschneiden, müht sie sich als "Dr. Klein" fortan im Vorabend, den Kreis der Lebenden nicht zu schmälern – nämlich als Leitende Oberärztin der Stuttgarter Kinderklinik Rosenstein, die auf attraktive Handwerker verzichten muss, dafür aber ein Bilderbuchekel vorweisen kann, das sich schon durch seinen Namen ("Dr. Lang") unübersehbar als Widersacher qualifiziert, der daheim bei der Mama wohnt, aber im Job den großen Macker gibt.
Die penetrante Aneinanderreihung von Anspielungen auf Urspruchs Körpergröße, die sich abwechselnd als Witz und Konflikt materialisieren, möchte der Sender als fortschrittlich-lockere Aufgeschlossenheit verstanden wissen. Dabei ist sie bloß peinlich.
Der Vorspann läuft über vor Referenzen wie dem kleinen roten Flitzer der Frau Doktorin, der zwischen den riesigen SUVs der Kollegen heraussticht, und dem Schloss, das viel tiefer am Schließfach hängt als überall sonst. "Ich gehe davon aus, dass wir unseren Patienten auf Augenhöhe begegnen – und geb zu: Ich hab da einen kleinen Vorteil", muss die "Exotin mit Durchsetzungskraft" sagen. Dr. Lang schimpft derweil über "den laufenden Meter", und die Teenie-Tochter hat erst Angst, von den neuen Freunden ausgelacht zu werden, wenn die rauskriegen, dass ihre Mutter 1,32 Meter groß ist. Bis es kurz vor dem Abspann Zeit wird, alles familienserienadäquat zum Positiven zu wenden.
Außer vielleicht der Einsicht beim Zuschauen, dass es eher kontraproduktiv ist, gesellschaftlichen Vorurteilen damit entgegenwirken zu wollen, dass man Kleinwüchsigkeit selbst ständig als nichtnormalen Sonderfall inszeniert.
Auch wenn das angesichts der Vorabend-tauglichen Umsetzung unwahrscheinlich ist: Falls das mit der Zweitserienkarriere doch nichts wird, kann ChrisTine Urspruch immer noch groß ins Business mit Geschirrtüchern und Topflappen einsteigen, auf die ihre Off-Monologe als Sinnsprüche draufgestickt werden:
"Erstens kommt es anders, und zweitens als sie denkt"; "Wir glauben, alles im Griff zu haben, und sind überrascht, wenn uns das Leben einen Strich durch die Rechnung macht"; "Leben kann Drama oder Komödie sein – im besten Fall wohl beides"; "Schein und Sein – mehr Schein als Sein? Das lässt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennen, man muss schon genau hinsehen, um die ganzen Rollen zu erkennen, die man als Erwachsener spielt" (hierfür vielleicht ein Badetuch verwenden); "Ein Schicksalsschlag kann auch eine Herausforderung sein"; "Wir müssen die Herausforderung als Chance begreifen"; "Denn was auch kommen soll, eins ist sicher: es kommt!"
Außer den tollen deutschen Serien. Die kommen erst, wenn keiner mehr damit rechnet.
Das Vorurteil: stimmt nicht.