Frau Burmester, die Vorstellung der Ergebnisse der Studie "Sichtbarkeit und Vielfalt" zur audiovisuellen Diversität von Elizabeth Prommer hat den Eindruck gemacht, dass das Fernsehen in Sachen Altersverteilung zuletzt einen guten Schritt voran gemacht hat. Sie sind damit trotzdem nicht einverstanden, wieso?
Silke Burmester: Ich kann das in Bezug auf "Alter" nicht erkennen. Ich sehe das beim Anteil von Frauen im Fernsehen, hier hat sich seit der ersten Studie 2017 einiges getan. Das ist auch spürbar, wenn man Fernsehen schaut. Beim Thema Alter aber gibt es diese Entwicklung nicht, ein anderes Fazit geben die Zahlen nicht her. Frauen ab 50 sind im Fernsehen noch immer deutlich weniger präsent als Männer im gleichen Alter.
Vielleicht ist der Eindruck deshalb entstanden, weil es bei der Vorstellung der Ergebnisse vor allem um die Altersverteilung in der Fiktion ging, wo sich die Situation ja tatsächlich verbessert hat. Die anderen Bereiche, in denen es teils deutlich schlechter aussieht, wurden nicht erwähnt.
Ich weiß auch nicht, weshalb man sich in der Vorstellung der Ergebnisse nur auf die fiktionalen Produktionen konzentriert hat. Aber auch da sieht man, dass der Anteil an Frauen ab 60 Jahren im Vergleich zur letzten Studie gesunken ist. 2017 waren es 37 Prozent, jetzt sind es noch 29 Prozent. Von 100 Personen im Fernsehen, die über 60 Jahre alt sind, sind also 71 Männer und nur 29 Frauen. In anderen Bereichen ist es ähnlich: In der Information liegt der Anteil der Frauen ab 48 Jahren bei 27 Prozent, in der non-fiktionalen Unterhaltung sind es gerade mal 23 Prozent. Da wird das Missverhältnis sehr deutlich, das ist erschreckend.
Werden ältere Frauen in der Branche, speziell im Journalismus, diskriminiert?
Die Presselandschaft hat sich komplett verändert. Es gibt kaum noch gesellschaftspolitischen Printmagazine und dann auch nur noch sehr wenige, die freie Journalist*innen beschäftigen. Journalistinnen sind viele Auftraggeber weggebrochen. Was bleibt ist der Bereich der Frauenzeitschriften. Die richten sich im Gros aber an eine jüngere Zielgruppe. Das Problem ist: Als Journalistin mit Mitte 50 gilt man für viele Geschichten als zu alt.
"Nur weil ich 55 bin, heißt es doch nicht, dass ich ein ZDF-Leben führe."
Kann man für Geschichten zu alt sein?
Nehmen wir den Lifestyle-Bereich. Da soll die Berichterstattung am Puls der Zeit sein. Hipness repräsentieren. Beides schreibt man jüngeren Journalistinnen zu. Das ist auch in Ordnung. Als ich Mitte 30 war, habe ich auch mitbekommen, dass ich Kolleginnen, mit denen die Zeitschrift seit Jahren zusammengearbeitet hatte, vorgezogen wurde, weil sie Mitte 40 waren und damit angeblich zu alt. Das war wahrscheinlich schon immer so. Es wäre auch nicht so schlimm, wenn es denn noch Entwicklungsmöglichkeiten für ältere Frauen in Verlagen gäbe. Karrieremöglichkeiten, Aufstieg, Prestige. Aber die Posten, die das mit sich bringen, sind rar und ob dann die Frau aufsteigt, oder wieder ein Mann, ist auch so ein Thema. Für mich, die ich immer als freie Journalistin unterwegs war und eine solche Karriere nicht interessiert hat, wären es die gesellschaftspolitischen Themen und Recherchen gewesen, die mich noch gereizt hätten. Aber die bekommt man nur noch bei Tageszeitungen oder online unter. Und davon kann keiner leben. Jedenfalls niemand, der mehr als 1200€ verdienen muss. Womit wir wieder beim Altersthema sind.
Nämlich?
Verlage arbeiten lieber mit jungen Menschen, weil sie billiger sind. Eine Frau wie ich will eine andere Bezahlung und kann das aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung auch verlangen. Aber verlangen kann ich viel. Vor etwa zehn Jahren konnte man beobachten, wie Alt gegen Jung ausgetauscht wurde. Das war ein ökonomischer Schritt. Junge sind billiger und meckern weniger. Aufzubegehren haben sie ja auch nicht mehr gelernt. Sonst wäre eine Entwicklung wie zum Beispiel Gruner & Jahr sie vollzogen hat und wo mitunter Ökonomen statt Journalisten die inhaltliche Verantwortung haben, kaum möglich.
Aber jetzt gibt es ja nicht nur Gesellschaftspolitik und Lifestyle. In Bereichen wie Politik und Wirtschaft zählt doch durchaus noch Erfahrung, die dann eben auch mit dem Alter kommt. Oder?
Darüber hat Wolfgang Schäuble bei seinem Abschiedsrede im Bundestag gesprochen, vor dem Hintergrund, dass jetzt so viele junge Menschen ins Parlament einziehen. Er sagte, dass man nicht vergessen sollte, dass Erfahrung wertvoll sei. Klingt wie Opa, ist wie Opa, aber es stimmt. Und es ist ein Problem im Journalismus: Erfahrung fällt hinten rüber. Erfahrung ist kein Wert mehr. Jung ist eine Währung für sich geworden, da gibt es die kuriosesten Geschichten: Der "Spiegel" hat vor einigen Jahren großen Schreiberinnen und Schreibern unglaubliche Summen gezahlt, nur damit sie nicht mehr schreiben und Platz für den Nachwuchs ist. Gleichzeitig ist das sprachliche Niveau mitunter auf eine Ebene gerauscht, die hätte der "Spiegel" nicht mal einer Schülerzeitung durchgehen lassen. Genauso bei "Zeit Online". Dort ist ein qualitatives Paralleluniversum entstanden. Das mag seine Berechtigung haben, hat aber mit der Qualität, die wir der Marke zusprechen, mitunter wenig zu tun. Und es geht ja nicht nur um Sprache, sondern um das, was im Journalismus so nötig ist: die Möglichkeit zur Einordnung und zu wissen, was der Warschauer Pakt war, um die jetzige Situation in Osteuropa zu verstehen.
"Die Menschen sollen alle möglichen Vorder- und Hintergründe haben, nur älter zu sein, ist aktuell nicht so gefragt."
Sie haben mit Palais Fluxx eine Plattform für Frauen ab 47 gegründet. Wieso ab 47? Das wirkt etwas willkürlich.
Im Gegenteil! Die 47 ist das Ergebnis der Feststellung, dass sich "ab 50" scheiße anhört (lacht). Das ist unsexy und klingt nach "Apotheken Umschau". Das Eintrittsalter ist die Phase des Umbruchs, der uns Frauen so umhaut. Der kann an die Wechseljahre gekoppelt sein, muss aber nicht. In jedem Fall beginnt mit Ende 40 eine Phase voller Veränderungen.
Wie finanziert sich Palais Fluxx?
Da stecken bislang 2.000 Euro Neustartprämie der Stadt Hamburg drin. Dann haben wir ein freiwilliges Bezahlmodell über Steady und jetzt geht es darum, Werbepartner zu finden für eine langfristige Finanzierung. Mein Lieblingswerbepartner wäre ein Baumarkt, darum werde ich mich sehr bemühen. Die Plattform heißt Palais Fluxx und mir war es sehr wichtig, schon im Namen einen Ort zu haben. Denn ich möchte einen Ort für Frauen schaffen. Auch im Newsletter, der das Startup begleitet, geht es viel um Auf- und Ausbau. Deswegen und wegen der tollen Inhalte, die man rund um einen Baumarkt realisieren könnte, wäre ein Baumarkt perfekt. Aber natürlich gibt es auch noch sehr interessante andere Unternehmen.
Wollen Sie mit der Plattform auch Aktivismus betreiben und zum Beispiel Produktionsfirmen, Sender oder Verlagshäuser auf das Problem der Altersdiskriminierung aufmerksam machen?
Das ergibt sich automatisch aus dem, was wir machen. Worum es mir geht: Die Gesellschaft beschreibt ältere Frauen oft mit Attributen des Mangels. Wir werden zum Mangelwesen erklärt. Das wird deutlich, wenn man sich die Pharmaseiten anschaut. Ältere Frauen werden darüber definiert, was weniger wird. Das geht los bei dünnem Haar, schlafferer Haut und der Energie, die angeblich nachlässt. Mein Erleben ist: Ja, es gibt eine Veränderung und die ist oft alles andere als lustig. Aber es entsteht ganz viel Neues. Deshalb ist die Phase des Umbruchs so interessant. Das wollen wir bei Palais Fluxx abbilden. Ich will nicht in der Passivität verharren. Ich will Frauen zusammenführen in einem Gefühl von Aufbruch und Neugestaltung.
Die Frau als Mangelwesen - auch im Fernsehen?
Wenn man sich Vorabendserien anschaut oder auch romantische Filme, dann werden Frauen in unserem Alter gezeigt, ja. Aber die Frage ist eben wie. Da dominieren klassische, konservative Stereotype. Frauen werden nach wie vor oft in familiären Kontexten gezeigt oder auch in ihrer Rolle als Mutter oder, wenn sie älter sind, als Oma. Es geht oft darum, dass wir uns um jemanden kümmern und das Haus schön ist. Aber wir werden nicht gezeigt in einer Aktivität von Aufbruch und Veränderung oder auch politischem Engagement. Wenn es eine Kommissarin gibt, hat sie kein Sexualleben. Hat sie eines, muss der Mann sterben. Als dürfe das nicht sein, ältere Frau und Sex. Mein Erleben von Frauen ist ein ganz anderes, das ist viel progressiver als das, was in Film und Fernsehen zu sehen ist.
"Verlage arbeiten lieber mit jungen Menschen, weil sie billiger sind."
Die Studie von Elizabeth Prommer zeigte auch, dass Frauen bis 30 überproportional oft im Fernsehen auftauchen. Wie erklären Sie sich das? Ist das die Vorstellung der männlichen Macher von einer attraktiven jungen Frau, die unbedingt noch mit ins Bild muss?
Ja, ich glaube schon. Es geht um Fuckability. Das ist die Währung im Fernsehen. Und nicht nur dort. Es scheint bei Männern den Wunsch zu geben, eine junge Frau an der Seite zu haben, auch wenn sie selbst dafür eigentlich schon zu alt sind. Es gab vor 20 Jahren eine interessante Entwicklung: Bis dahin wurde Geschlechtsverkehr meist so gezeigt, dass die Frau unten lag und der Mann hat oben rumgerammelt. Das hat sich dann geändert, auf einmal saß die Frau auf ihm. Das ist auch heute noch so. Warum? Damit man die Busen der Frauen sieht. Wenn Sex gezeigt wird, geht es oft um dieses Momentum.
Was wünschen Sie sich von den Programmverantwortlichen?
Wir reden in der Diversity-Debatte über alles, nur nicht über das Alter. Die Unternehmen versuchen diverser zu sein, aber ich habe das Gefühl, dass es zu Lasten der älteren Kolleginnen und Kollegen geht. Die Menschen sollen alle möglichen Vorder- und Hintergründe haben, nur älter zu sein, ist aktuell nicht so gefragt. Das irre ist ja, dass fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung über 50 ist. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen sich immer verjüngen und ich frage mich, wieso eigentlich? Deren Zuschauer sind im Schnitt um 60 Jahre alt. Warum machen sie nicht tolles Programm für diese Menschen? Sie machen kein Fernsehen für Frauen wie mich, ich finde dort nichts.
Gar nichts? Die Sender wollen sich ja auch verjüngen, weil sie diese Menschen lange vernachlässigt haben.
Wie Frauen in meinem Alter im Fernsehen wiedergegeben werden, entspricht einfach nicht der Lebenswirklichkeit von vielen Menschen. Wir leben nicht alle auf irgendwelchen Almhütten, ziehen die Gardinen auf und dann steht da eine Kuh (lacht). Wir gehen auch tanzen und sind manchmal nachts sehr betrunken unterwegs. Nur weil ich 55 bin, heißt es doch nicht, dass ich ein ZDF-Leben führe. Ein absolutes Glanzstück ist für mich aktuell "Tina mobil". Dort ist es gelungen, das Leben einer ganz normalen Frau zu zeigen, wie es ist.
Auf Ihrer Webseite schreiben Sie: "Über 20 Jahre habe ich als Journalistin gearbeitet, getrieben davon zu verstehen, warum unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist." Haben Sie eine Antwort darauf gefunden?
Die Gesellschaft ist im Wandel und da muss man immer wieder eine neue Antwort suchen. Das war für mich das Tolle am Journalismus: Die Möglichkeit, sich ein Thema anzusehen, Menschen zu fragen und zu verstehen - und das dann zu anderen Personen zu transportieren.
Vermissen Sie die journalistische Arbeit nicht?
Mit Palais Fluxx habe ich gut zu tun, das ist sehr arbeitsintensiv und es macht mir wahnsinnig viel Spaß. Ich möchte nicht mehr journalistisch schreiben, weil es für mich nicht mehr ok ist, nicht adäquat bezahlt zu werden. Und ich will jetzt nicht mehr verstehen, wie etwas funktioniert. Sondern das, was ich verstanden habe, zu anderen Menschen bringen. Und zwar durch ein buntes Magazin, das zeigt, wie toll ältere Frauen sind. Denn die sind super und das sollen nun alle merken.
Frau Burmester, vielen Dank für das Gespräch!