Durch die Coronakrise ist der Fachkräftemangel in der Branche in den vergangenen eineinhalb Jahren ein Stück weit in den Hintergrund gerückt. 2017 erklärte die Produzentenallianz diesen Fachkräftemangel erstmals zu einem der größten Probleme in der TV-Industrie. Es herrschte Vollbeschäftigung - und nach einer kurzen Neusortierung durch Corona ist die Situation jetzt keine andere als 2019. Sowohl in der Fiction als auch in der Unterhaltung herrscht ein reger Wettbewerb zwischen Produktionsfirmen um Talente - dadurch sind zuletzt auch die Preise spürbar gestiegen.
"Arbeit gibt es genug, es muss nur intensiver nach qualifiziertem Personal gesucht werden."
Michael Lehmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg Production Group
Gesucht werden Menschen in der Produktionsleitung, der Aufnahmeleitung oder auch im Bereich der Filmgeschäftsführung und bei der Regieassistenz. Das bestätigen auch andere Personalverantwortliche in den Produktionsunternehmen. Bei Constantin Film ruft man nun deshalb ein duales Studium sowie ein Nachwuchsförderungsprogramm ins Leben. Auch andere Produktionsfirmen treibt das Thema um. "Natürlich fragen wir uns, was wir als Produzenten tun können. Deshalb sind wir mit anderen Produktionsfirmen im Gespräch, um eine Ausbildungsinitiative zu starten", sagt Sarah Fischer, Head of HR bei Leonine Studios, gegenüber DWDL.de. Diese Initiative soll 2022 starten.
Als "eines der großen Themen, mit denen wir uns mehr denn je beschäftigen müssen" bezeichnet auch Michael Lehmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Studio Hamburg Production Group, den Fachkräftemangel. Dieser ziehe sich durch alle Gewerke beim Film ist sei nach wie vor ein "riesengroßes Problem". Lehmann: "Arbeit gibt es genug, es muss nur intensiver nach qualifiziertem Personal gesucht werden."
"Jedes Unternehmen kann das nur selbst lösen"
Dass der Mangel an gut ausgebildeten Menschen in der Branche schnell zu Ende gehen wird, ist eher nicht zu erwarten. Hier geht es der TV-Wirtschaft so wie vielen anderen Branchen in Deutschland. Katharina Weber, Head of Recruiting & HR Development Endemol Shine Germany, verweist auf das Statistische Bundesamt, nach dessen Angaben die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2035 voraussichtlich um 4 bis 6 Millionen sinken wird. "Das heißt der Fachkräftemangel wird uns auch zukünftig noch weiter begleiten und wir müssen dem entgegenwirken, indem wir Fachkräfte verstärkt selbst ausbilden und weiterbilden", sagt Weber. Bei Endemol Shine Germany habe man ein neues Trainee-Programm eingeführt.
Keine schnelle Besserung in Sicht
Oliver Fuchs sieht das Problem weniger in der Ausbildung, sondern eher bei sinkenden Produktionsbudgets und "noch rigoroseren Margenkontrollvorgaben" der Kundinnen und Kunden. Dadurch habe man kaum Zeit und Mittel zur Verfügung, um Personal stetig aufbauen zu können. Für Fuchs ist das ein großes Problem. "Ich bin der festen Überzeugung, dass gerade in unserer Branche ein Großteil des Know-how Transfers über die Arbeit im Job geschieht."
Juliane Müller von der Produzentenallianz sagt, die Lage auf dem Markt sei so dramatisch, dass es inzwischen zu Fällen komme, in denen Produktionen verschoben werden müssen, weil die Verantwortlichen kein Personal finden. Für die kommenden Monate ist Müller pessimistisch. Einerseits sei da die demografische Entwicklung, andererseits die nach wie vor hohe Nachfrage nach Content. "Meine Prognose ist, dass sich die Lage immer weiter zuspitzen wird, wenn wir als Branche nicht aktives Nachwuchsmarketing betreiben, so wie es andere Branchen längst tun."
Fachkräftemangel nicht nur in Deutschland
Auch die sich veränderten Arbeitsweisen helfen in Sachen Fachkräftemangel nur bedingt. Home Office und flexibles Arbeiten schön und gut - wenn es ans Set geht, müssen die meisten Personen aber eben doch vor Ort sein. "Das war vor Corona so und wird auch so bleiben", sagt Juliane Müller. Katharina Weber von Endemol Shine Germany betont, dass man anders überzeugen müsse als mit Home Office & Co. "Eine offene und wertschätzende Unternehmenskultur und Führung machen den Unterschied." Und Constantin-Personalchef Markus Thürstein sagt, er glaube nicht, dass sich Home-Office-Lösungen voll durchsetzen werden. Er verweist auf eine Forsa-Umfrage zu Beginn des Jahres. "Hier wurden insbesondere im gesundheitlichen und kommunikativem Bereich Problemfelder aufgedeckt." Bei Constantin sei das mobile Arbeiten eine "ergänzende Arbeitsform". Thürstein: "Eine völlige Abkoppelung vom Präsenzbetrieb im Büro halten wir strategisch für falsch."
Deutschland ist übrigens nicht das einzige Land, in denen vor allem die gestiegene Nachfrage zu einem Fachkräftemangel in der Branche geführt hat. In Großbritannien ist die Situation ähnlich. Durch den Durst der Streamingdienste nach neuen Inhalten werde sich die Kreativwirtschaft auf der Insel verändert, erklärte zuletzt die Organisation ScreenSkills, einer von der Branche finanzierten Einrichtung von Schulungen und Ausbildungen. So wird erwartet, dass 30.000 neue Jobs in Film und Fernsehen entstehen (DWDL.de berichtete). Die Produktionsfirmen investieren derzeit massiv in diesen Ausbau - bis man die Früchte dieser Investitionen ernten kann, wird es aber wohl noch ein bisschen dauern. Inzwischen gibt es Geschichten aus Großbritannien, die zeigen, wie hart der Wettbewerb ist: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen teilweise TV-Sets und laufende Dreharbeiten, um für mehr Geld an einer anderen Produktion zu arbeiten. Es ist eine ganz besonders extreme Form des Wettbewerbs. Oder anders ausgedrückt: The struggle is real.