Frau Ataman, die Medienbranche gilt als tolerant und offen. Wie ist der Status Quo in Bezug auf Kollegen mit Migrationshintergrund? Werden diese auch in den Redaktionen adäquat repräsentiert?
Ferda Ataman: Es gibt leider so gut wie keine Untersuchungen dazu, punktuell führen einige Medienhäuser Umfragen durch. Unsere Beobachtung ist, dass zuletzt mehr Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt wurden. Das hören wir von unseren Mitgliedern und Leuten in unserem Netzwerk. Die Ausbildungsprogramme sind auch vielfältiger geworden, da wird inzwischen ganz bewusst darauf geachtet, auch Leute aus Einwandererfamilien mit aufzunehmen.
Laut dem Statistischen Bundesamt lag der Anteil der Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund 2016 bei rund 22,5 Prozent. Zuletzt habe ich oft gelesen, dass in den Medien allgemein der Anteil nur bei maximal fünf Prozent liegt.
Der Wissenschaftler Horst Pöttker schaut da regelmäßig drauf und hat zuletzt auch wieder ein Buch zu dem Thema veröffentlicht. Er kommt zu dem Schluss, dass der Anteil bei ungefähr fünf Prozent liegt, das ist eine Schätzung. Da ist dann zu unterscheiden: Im Print-Bereich sind es deutlich weniger, beim Fernsehen und beim Radio etwas mehr. Aber auch wenn wir einen Anstieg festgestellt haben: Nimmt man den Anteil an der Gesamtbevölkerung, muss man ganz klar sagen, dass noch längst nicht so viele Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien arbeiten.
Warum kommt der klassische Print-Bereich vergleichsweise schlecht weg und der Rundfunk besser?
Sat.1, ProSieben und RTL waren, bevor es Satellitenschüsseln gab, die Sender, die in vielen türkischen Haushalten liefen. Die privaten Sender haben sehr früh erkannt, dass sich die Zielgruppen ändern, deshalb haben sie Sichtbarkeit hergestellt. RTL etwa hatte schon vor mehr als 20 Jahren seinen ersten türkeistämmigen Krimi-Kommissar. Das war zu einer Zeit, wo noch gar nicht über das Thema geredet wurde. Die öffentlich-rechtlichen Sender kamen etwas später zu dieser Einsicht, aber auch hier merkt man inzwischen deutlich Veränderungen.
Was können die Medien-Unternehmen in Zukunft besser machen? Wo kann man gezielt ansetzen?
Wenn man neue Zielgruppen erreichen will, muss man im gesamten Unternehmen, also auch vor und hinter der Kamera, die gesamte Bevölkerung abbilden und mitdenken. Beim Fernsehen ist das, wie gesagt,schon viel besser geworden. Wenn man durch das Programm zappt, sieht man viel mehr Menschen mit nicht typisch deutsch klingenden Namen als früher. Das ist gut und wichtig. Und was die Medienhäuser noch tun können? Es gibt nach wie vor die Haltung zu sagen: "Wir schreiben Stellen aus, aber es bewerben sich keine Menschen mit Migrationshintergrund." Außerdem denken noch immer viele, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln nicht so gut deutsch können. Beides ist natürlich Quatsch.
Was können die Unternehmen da anders machen?
Es gibt eine große Anzahl an Leuten, die perfekt deutsch sprechen, die muss man für den Beruf gewinnen. Zum Beispiel, in dem man Stellenausschreibungen breiter streut, als bisher. Durch unser Mentoring-Programm merken wir, dass es großes Interesse am Journalismus und Medienberufen gibt. Viele hatten bislang nur keine Kontakte und wussten nicht, wo sie andocken sollten. Das berühmte Vitamin D hat gefehlt. Das wollen wir ändern. Und das wird hervorragend angenommen, übrigens auch von den Medienhäusern. Der Wille, etwas zu verändern, ist da. Gleichzeitig gibt es noch immer viele Stereotype. Die müssen wir überwinden.
Braucht es eine Quote für Mitarbeiter mit Migrationshintergrund? Und wie kann man diese überprüfen? Viele Unternehmen, auch im Medienbereich, erfassen ja gar nicht, woher ihre Mitarbeiter kommen.
Die Neuen Deutschen Medienmacher sind ein breites Netzwerk mit rund mehr als 2.000 Mitgliedern. Wir sind uns nicht einig, ob eine Quote sinnvoll ist. Dass die ethnische Herkunft von Menschen nicht systematisch erfasst wird, hat historische Gründe. Das wollen wir auch nicht ändern. Trotzdem ist es so, dass die Benachteiligung ohne Zahlen nicht sichtbar gemacht werden kann. Das ist ein Problem. Natürlich sind deutsche Medien grundsätzlich eher offen und weitestgehend liberal. Es gibt kaum Redaktionen, die ausdrücklich nur nach herkunftsdeutschen Journalisten suchen. Fakt ist aber, dass sie über die Jahrzehnte sehr "weiß" geblieben sind. Die Unternehmen müssen sich also überlegen, wie sie auch andere potenzielle Bewerber erreichen. Da muss sich die Grundeinstellung ändern.
Hat die Zusammensetzung der Redaktionen Auswirkungen auf die Berichterstattung? Und wie hat sich das verändert?
Es wirkt sich natürlich aus. Das fängt schon damit an, dass bestimmte Themen als weniger wichtig empfunden werden, obwohl sie gewisse Gruppen sehr interessieren. Die Themenvielfalt sollte größer sein. Ein Beispiel ist, dass Terrorismus in Deutschland stark als islamistisch motiviert betrachtet wird. Fast allen Migrantengruppen steckt aber noch viel stärker der NSU-Terror in den Knochen, das ist in der kollektiven deutschen Wahrnehmung vergessen worden.
Haben Sie noch ein weiteres Beispiel?
Ich bin immer noch sauer, dass beim TV-Duell vor der Bundestagswahl vier deutsche, weiße Journalisten die Kanzlerkandidaten interviewt haben und dabei Fragen gestellt haben, die die vielfältigen Meinungen in Deutschland gar nicht abgebildet haben und die so auch von der AfD hätten kommen können. Das war eine sehr einseitige Sicht der Dinge. Darüber wurde ja auch diskutiert: Die Fragen haben dem Rechtspopulismus viel Raum gegeben. Es ging fast eine Stunde lang um Einwanderung, Flüchtlinge und Muslime.
Auslöser für diese lange Debatte im TV-Duell war vermutlich die Flüchtlingskrise 2015, bei der die Medien anfangs im kollektiven Jubelrausch waren. Später haben einige eingestanden, hier zu wenig distanziert gewesen zu sein. Wie haben Sie das erlebt?
Extrem schwierig fand ich den Kurswechsel. Grundsätzlich gibt es ja eine Tendenz in den Medien zu schauen, was die anderen berichten und sich dann dort ein wenig einzureihen. Wenn dann aber alle gleichzeitig über Gefahren und Probleme berichten, dann entsteht bei den Leuten auch ein akutes Gefühl von Bedrohung, obwohl sich ja eigentlich nichts verändert hat. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn von Anfang an journalistisch ausgewogen berichtet worden wäre.
Die Neuen Deutschen Medienmacher betreiben, neben dem bereits erwähnten Mentoring-Programm, noch zahlreiche andere Projekte, unter anderem auch eine Datenbank mit Experten, die einen Migrationshintergrund haben. Wie wird das von den Medien angenommen?
Das klappt ziemlich gut. Die Datenbank wird von Medien genutzt, aber auch von Stiftungen und Unternehmen, die Panels besetzen wollen. Das ist das, was wir uns wünschen. Wir wollen nicht, dass Migranten nur zu Migrantenthemen sprechen. Gleichzeitig wollen wir, dass fachlich korrekt berichtet wird. Dafür haben wir ein Glossar erstellt, in dem wir zum Beispiel die Unterschiede zwischen Flüchtlingen, Asylbewerbern und Asylsuchenden erklären. Welche Synonyme gibt es da und welche werden in der Berichterstattung immer wieder falsch genutzt?
Außerdem ist Ihr Verein auch Träger der "No Hate Speech"-Kampagne. Was hat es damit auf sich?
Das ist der Versuch, eine zivile Debattenkultur in Deutschland zu etablieren und der Hassrede im Internet etwas entgegenzusetzen. 2018 werden wir uns erstmals auch mit Hate Speech gegen Journalisten befassen und ihnen helfen, damit umzugehen. Wir haben gemerkt, dass Journalisten da inzwischen viel stärkeren Anfeindungen ausgesetzt sind und oftmals alleine gelassen werden.
Ist Journalismus eigentlich gefährlicher geworden? Für Journalisten generell, nicht nur für solche mit Migrationshintergrund.
Die Arbeit ist gefährlicher geworden und das betrifft alle Journalisten. Bei den Pegida-Demonstrationen wurden Journalisten körperlich angegriffen und auch der ganze Hass auf die "Lügenpresse" ist eine neue Dimension. Für Journalisten mit Migrationshintergrund ist die Arbeit zusätzlich härter geworden: Da kommen Briefe direkt an die Chefredaktion, in denen gefragt wird, warum die Journalisten überhaupt eingestellt wurden. Sie könnten ja gar nicht ausgewogen berichten, weil sie nicht aus Deutschland kämen und das Land entsprechend nicht kennen würden. Sowas muss man sich heute wirklich anhören.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Ataman.