Der klassische Dokumentarfilm hat es in den vergangenen Jahren im deutschen Fernsehen nicht einfach gehabt: Bei den Privaten findet er ohnehin so gut wie nicht statt, aber zuletzt haben auch die Öffentlich-Rechtlichen die Sendeplätze zusammengestrichen und Budgets gekürzt. Die Ansprüche an die Produzenten steigen freilich weiter, der Druck auf die gesamte Branche nimmt zu. Einer, der davon ein Lied singen kann, ist Christian Beetz, Geschäftsführer der Gebrüder Beetz Filmproduktion und einer der renommiertesten Doku-Produzenten des Landes. "Die Sparrunden der Öffentlich-Rechtlichen in Bezug auf das Programm sind verheerend und führen dazu, dass Deutschland auf dem internationalen Markt kaum noch eine Rolle spielt", sagt er im Gespräch mit DWDL.de.

ARD und ZDF hätten sich vom klassischen Dokumentarfilm nahezu verabschiedet, kritisiert Beetz. Doch nicht nur dort gibt es Nachholbedarf: Auch bei Arte finde der Kinodokumentarfilm inzwischen nur noch auf Sendeplätzen in der Sommerpause statt. Das öffne nun die Türen für andere Anbieter. SVoD-Anbieter wie Netflix würden Dokumentarfilmer "geradezu hofieren", sagt Beetz. "Während es für die Öffentlich-Rechtlichen undenkbar ist, in der Primetime einen Dokumentarfilm zu senden, da sie ganze Generationen als Nutzer aus den Augen verloren haben, gehen die neuen Player wie Netflix, Hulu oder Amazon einen komplett anderen Weg. Sie schließen die aufgetane Lücke."


Beim Sundance Filmfestival haben sowohl Netflix als auch Amazon zuletzt viele neue Produktionen gekauft. "Dies müsste doch bei den hiesigen Sendermanagern mal die Alarmglocken läuten lassen oder zumindest die Frage aufwerfen, warum es den SVoD Anbietern dies wert ist", sagt Beetz. Es gebe beim jungen Publikum eine "große Sehnsucht nach unterhaltsam erzählten, authentischen Geschichten" - daher gebe es international immer mehr vollfinanzierte Dokufilme. "Selbst traditionelle Sender wie Nat-Geo oder CNN haben wieder Sendeplätze für den großen Dokumentarfilm aufgesetzt, wo ihnen kein Film unter ein, zwei Million Dollar in der Herstellung wert ist." In Deutschland glaube man in den Sendern aber immer noch, dass man all das zu einem Zehntel des Preises haben könne. Deshalb würden deutsche Produktionen auch in den Wettbewerben großer Filmfestivals keine Rolle mehr spielen. "Leider verliert Deutschland hier gerade den Anschluss", resümiert Beetz.

Wolfram Giese, Geschäftsführer von k22 Film, spricht von "mageren Zeiten" und blickt mit etwas Neid in andere Länder. "Die Gelder werden immer weiter gekürzt - bei gleichbleibendem oder sogar immer höher werdendem Anspruch. Natürlich blicken wir ab und an neidisch auf internationale Produktionen wie beispielsweise der BBC, wo die finanziellen Mittel endlos erscheinen." Vergleichbare Möglichkeiten gebe es in Deutschland nicht. Aber auch das sei eben eine Herausforderung des Marktes: Mit kleinen Budgets hochwertige Filme produzieren - "und das funktioniert am Besten mit kleinen Teams, die aus Allroundern bestehen".

Alexander Hesse© ZDF/Rico Rossival
Alexander Hesse, Geschäftsführer bei der Gruppe 5 Film, geht verständlicherweise nicht ganz so kritisch mit den Öffentlich-Rechtlichen ins Gericht. Das Unternehmen gehört schließlich zu knapp drei Viertel dem ZDF. Dennoch sagt auch er, dass man sich mit vielen Produktionen "wirtschaftlich am Limit" befinde. Auch er beobachtet eine grundsätzliche Veränderung: Die Ansprüche der Auftraggeber sind gestiegen und die Produktionszeiträume haben sich verkürzt. Autoren und Regisseuren werde heute viel mehr abverlangt: "Die zweite oder dritte selbst geführte Kamera im Anschlag, das Laptop für Blogs, Posts und Vorschau-Clips im Dauerbetrieb, das Zeitmanagement zwischen Time-Lapses und Drohnenflüge im Nacken und die verschiedenen Versionen und Ausspielwege im Sinn." Neben den klassischen Beiträgen und Filmen müsse man inzwischen auch Fünfminüter für Youtube und Einminüter für Instagram produzieren.

Hesse kritisiert im Gespräch mit DWDL.de vor allem viele Doku-Formate, die gescriptet sind. Er spricht dabei von "unlauteren Konkurrenten". Hesse: "Viele Kollegen tauchen über Monate in Milieus und holen das wahre Leben mit journalistischem Anspruch vor die Kamera, während andere im Minutentakt hochdramatische Lebensmomente in ihre Drehbücher schreiben, um es dann wie Doku und Reportage aussehen zu lassen. Ein Stück Fernseh-Fake!" Gegen Dokutainment-Formate hat Hesse nichts. Er sagt, das beschreibe lediglich eine zeitgemäße und unterhaltsame Vermittlung dokumentarischer Inhalte. Scripted Reality aber sei "Etikettenschwindel". Das dürfe die journalistischen Formate nicht kontaminieren.

Christian Beetz sagt, dass sich gerade die ARD-Dritten auf lokale Themen in Form von Reportagen und günstigen Doku-Formaten fokussieren. Ein Beispiel ist hier mit Sicherheit auch "Terra Xpress", das mit nachgestellten Szenen und aufgeregten Wutbürgern versucht, Realität zu simulieren - wobei man beim Sender das Format nicht als Scripted Reality bezeichnen will. Die Geschichten sind echt, nur eben nachgestellt. Bei großen Dokumentationen und Dokumentarfilmen sei Scripted Reality eher die Ausnahme, zeigt sich Beetz erleichtert. "In dieser Sehnsucht nach Orientierung mittels wahrer Geschichten und Erzählungen liegt jedoch die große Herausforderung. Sie sind sehr aufwendig in der Herstellung, viel komplexer in der Produktion und mit einem hohen Rechercheaufwand verbunden, der sich auch in den Produktionskosten niederschlägt." Hier habe man noch eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Es fehle an Entwicklungsgeldern bei den Sendern. "Gerade bei investigativen Stoffen muss dringend ein Umdenken stattfinden und der Rechercheaufwand ernst genommen werden. Sonst verbleibt alles an der Oberfläche und führt dazu, dass die öffentlich-rechtlichen Medien weiter in eine Art Legitimationsfalle geraten", so Beetz.

Gerade bei investigativen Stoffen muss dringend ein Umdenken stattfinden und der Rechercheaufwand ernst genommen werden. Sonst verbleibt alles an der Oberfläche und führt dazu, dass die öffentlich-rechtlichen Medien weiter in eine Art Legitimationsfalle geraten.

Christian Beetz

Doch wie steht es bei allen Problemen und Herausforderungen um den Nachwuchs in der Doku-Branche? Wolfram Giese von k22 Film sagt, der Job des Dokumentarfilmers sei nach wie vor sehr attraktiv für junge Menschen. So sei man oft auf Drehreise, könne sich in viele verschiedene Richtungen entwickeln und habe eine unbegrenzte Auswahl an Möglicheiten und Themen. "Der Beruf erfordert Wissbegierde, vor allem in Hinblick auf neue technische Möglichkeiten und das aktuelle Weltgeschehen. Organisations- und Improvisationstalent können nicht schaden." Doch die Konkurrenz ist natürlich groß, eine feste Anstellung oft nicht die Regel. "Man sollte sich auch über unregelmäßige Arbeitszeiten und Drucksituationen bewusst sein", sagt Giese.

Christian Beetz© Gebrüder Beetz Filmproduktion
"Leider wird in Deutschland noch komplett am Markt vorbei ausgebildet", ist Christian Beetz überzeugt. Er wirft den Filmhochschulen vor, irgendwo in den 80er Jahren stehengeblieben zu sein. "Als erstes müssten sich die Ausbildungsstätten mal der Realität des Marktes anpassen und differenzierter an die Ausbildung ran gehen. Es gibt ein riesiges Potential für gut ausgebildete Dokumentarfilmer auf dem internationalen Markt, jedoch müsste entsprechend das Berufsbild des Dokumentarfilmes komplett überdacht werden." Es fehle am Berufsbild des kreativen Produzenten und daher bilde man die jungen Menschen auf diesem Gebiet inzwischen selbst aus.

Für Alexander Hesse sind Filmschulen eine Grundlage, die allerdings keine Garantie für erste Engagements bieten. Es gebe keinen klassischen, glücklich machenden Weg und nur die Triebfedern Neugier, Praxis und Scheitern. "Einsteiger brauchen einen Paten, der hinter ihrem Debut steht. Das versuchen wir: Fördern und Fordern." Generell rät er jungen Menschen, die in die Branche wollen, reisefreudig zu sein und nicht reich werden zu wollen. Das Gehalt sei "vergleichsweise überschaubar". Trotz der schwierigen Bedingungen hofft er auf eine Art Comeback des klassischen Dokumentarfilms: "Je politischer die Zeiten, umso wichtiger werden Nachrichten, Talks und eben auch Dokumentationen und Dokumentarfilme."

Dass die Filmförderung vom Bund zuletzt deutlich aufgestockt wurde (DWDL.de berichtete), freut Christian Beetz. Doch wie viele andere Produzenten kritisiert auch er das starre Festhalten der Politik am Kino. Das heißt: Falls ein Film mal so geworden ist, dass das Kino vielleicht doch nicht der richtige Ort für die Auswertung ist, muss er dennoch dort zu sehen sein. Die Förderrichtlinien wollen es so. Das nimmt den Produzenten die Chance auf bessere Auswertungsketten. Dass inzwischen viele Doku-Formate aus dem Ausland nach Deutschland kommen und Innovationen vor allem eingekauft werden, könne man wohl nur mit einer gewissen "Quote für Programmmittel für unabhängige Produzenten nach Genres" bekämpfen. Freiwillig werden sich die Öffentlich-Rechtlichen darauf aber wohl nicht einlassen: Sie müssen schließlich sparen.