Diese Telegeschichte beginnt am 22. November 1992. An diesem Abend zeigt der Sender Sat.1 den Spielfilm "Mit dem Herzen einer Mutter". Es ist der erste eigenproduzierte Fernsehfilm eines kommerziellen TV-Anbieters in Deutschland. Er handelt von einer Frau, die ihren Mann bei einem Autounfall verliert. Hilflos und in einer emotionalen Krise gibt sie den gemeinsamen Sohn in die Obhut ihrer Schwiegermutter. Das Oberhaupt einer reichen und einflussreichen italienischen Adelsfamilie, die den Nachwuchs dann nicht wieder herausgeben will.
Die Zeitschrift "Filmdienst" bezeichnet den Film als "kalkuliertes Rührstück", dessen "Inszenierung mehr als dürftig" sei. Zudem wirft sie ihm vor, sich inhaltlich allzu stark am Vorbild "Nicht ohne meine Tochter" bedient zu haben. Der "Spiegel" frotzelt, der Streifen vermittle drei Botschaften: "Frauen können doch nicht Auto fahren; Schwiegermütter sind böse; unverdorbene Kinder sorgen mit ihrem reinen Herzen dafür, daß am Ende dann alles, aber auch wirklich alles, alles wieder gut wird." Die Redaktion der Fernsehzeitschrift "TV Spielfilm" zeigt sich ebenso wenig angetan und bewertet den Film mit einem "Daumen runter". "Mutti kämpft um ihren Sohn-Schnulze" lautet die zugehörige Kurzbewertung.
Viele Zuschauende gehen offenbar nicht so hart mit dem Werk ins Gericht. Sie belohnen es mit einer sensationellen Sehbeteiligung von rund sieben Millionen Menschen. Zugleich wählen sie es in einer Telefonumfrage der Fernsehzeitschrift "Bildfunk" zur drittbesten Sendung der zurückliegenden Zeit. Laut Pressetext ist dies der bislang größte Erfolg eines Privatsenders in der seit Jahren durchgeführten Umfrage.
Anspruchsvoll, niveauvoll, kinoähnlich
Nicht zuletzt durch den Zuspruch des Sat.1-Movies ermutigt, kündigte bald der Konkurrent RTL an, ebenfalls eigene Filme produzieren zu wollen. Allein für das Jahr 1993 hatte man sechs Produktionen in Auftrag gegeben, zwei davon nach den damals sehr populären Romanen von Marie Louise Fischer. Sie alle sollten eine "anspruchsvolle" und "niveauvolle" Umsetzung aufweisen und "kinoähnlich" inszeniert sein, sodass sie im Einzelfall eine Auswertung auf der großen Leinwand zuließen. Dafür war man bereit, für jeden Titel ein Budget zwischen 1,2 und 1,8 Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Sie waren ein wichtiger Baustein im angestrebten Imagewechsel vom "Titten-Sender" zum familienorientierten Programm.
Ein RTL-Sprecher erläuterte ihren inhaltlichen Kern: "Im wöchentlichen Turnus rücken dramatische Schicksale, verhängnisvolle Leidenschaften und packende Geschehnisse in den Mittelpunkt. Bewegende Stoffe, die nur Nuancen vom wirklichen Leben entfernt sind; in jedem Fall aber erbauliche Geschichten." Da der hohe Bedarf, um eine wöchentliche Ausstrahlung füllen zu können, nicht direkt mit eigener Ware bedient werden konnte, erwarb man zusätzlich aktuelle Fernsehfilme aus den USA. Diese wurden dann mit den deutschen gemischt.
So war es auch ein amerikanischer Film, der die Reihe am 9. September 1993 eröffnete. In "Lauras Schatten" verkörperte Brooke Shields die Softwarespezialistin Laura Black, die direkt nach ihrem Studium eine Anstellung bei einer renommierten Computerfirma im Silicon Valley erhielt, wo sie das Interesse ihres Kollegen Richard Farley weckte. Doch je mehr sie seine Annäherungsversuche zurückwies, desto energischer wurde er. Seine Besessenheit gipfelte letztlich in einem Amoklauf in der gemeinsamen Firma. Die Handlung lehnte sich eng an einen realen Vorfall an, der im Jahr 1988 ähnlich tragisch endete und in den USA zur Verabschiedung eines Anti-Stalking-Gesetzes führte.
Rund 4,25 Millionen Menschen sahen den Auftakt zur neuen Spielfilm-Serie. Ein Wert, der auf dem Niveau der parallel laufenden Fußballübertragung in Sat.1 lag. Das Urteil in der Presse klang wenig begeistert. In Anspielung auf das Etikett "TV-Roman" urteilte beispielsweise die Nordwest-Zeitung, der Stoff sei "keine Weltliteratur", er reiche "gerade mal für ein Groschenheft".
Das erste große Drama
Eine Woche später, am 16. September 1993, stand unter dem Titel "Tödliche Lüge" endlich die Premiere des ersten von RTL in Auftrag gegebenen Fernsehfilms an. Mit Barbara Auer und Hannes Jaenicke war er prominent besetzt. Im Mittelpunkt stand die Moderatorin Claudia Fischer, die in ihrer TV-Show mit skrupelloser Hartnäckigkeit die Kandidat:innen zu intimen Offenbarungen nötigte. Privat verheimlichte sie jedoch die Vaterschaft ihrer Tochter vor der Öffentlichkeit - bis ein pathologischer Mörder diese entführte, um das dunkle Geheimnis vor laufenden Kameras zu lüften.
Man konnte RTL zugutehalten, dass der Sender angesichts seiner vielen umstrittenen Talkshows und Reality-Formaten eine gewisse Selbstironie bei der Wahl des Settings fürs erste erstes Drehbuch bewiesen. Von dieser Ironie war im Film allerdings nichts zu spüren. Nach der Ausstrahlung fielen die Bewertungen in der Presse uneinheitlich aus. Norbert Hummelt stellte etwa in der "Mitteldeutschen Zeitung" fest, dass es "unterm Strich ein sehenswerter Film" war. Die "Stuttgarter Zeitung" lobte einerseits "die durchaus spannende und originelle Handlungsidee und natürlich das brillante Spiel der Hauptakteure". Andererseits bemängelte sie die "schleppende Inszenierung" sowie die "überkonstruierte und an den Haaren herbeigezogene" Story. Weniger gnädig drückte sich die Zeitschrift "Filmdienst" aus. Dort lautete das Fazit: "Stereotype Fernsehproduktion, steril und ohne Atmosphäre, die die vorzüglichen Darsteller nie richtig einzusetzen versteht". Mit 4,27 Millionen Menschen erreichte der eigene Titel eine ähnliche Sehbeteiligung wie der US-Import in der Vorwoche.
In der darauffolgenden Woche legte RTL mit "Das Schicksal der Lilan H." den zweiten eigenen Film nach, der tatsächlich auf einer Buchvorlage basierte und dem Titel der Reihe gerecht wurde. Der Krimi, in dem ein Anwalt die Unschuld einer irrtümlich verdächtigten Mörderin beweisen wollte, schnitt mit einer durchschnittlichen Reichweite von 4,94 Millionen sogar etwas besser ab als seine beiden Vorgänger. Den ersten Zyklus der TV-Romane komplettierte am 30. September der US-Film "Schrei nach Liebe" (4,59 Mio. Zusehende).
Mit den ersten vier Ausgaben ist es RTL direkt gelungen, die Marke "Der große TV-Roman" zu etablieren. Das war und ist ein gängiges Vorgehen in der Branche. Wie der Medienwissenschaftler Günter Giesenfeld feststellt, zeigt das Fernsehen mit seinem "grundsätzlich auf regelmäßige Wiederkehr angelegten Programm" stetig die Tendenz, selbst ein "einzelnes, in sich abgeschlossenes Werk" wie einen Spielfilm "zum Teil einer Reihe" zu erheben. Zu diesem Zweck erhalten die eigentlich eigenständigen Inhalte eine gemeinsame thematische Klammer, eine einheitliche audiovisuelle Gestaltung (Vorspann, Trailergestaltung etc.) sowie einen festen Sendeplatz. Ziel einer solchen künstlichen Serialisierung ist es, Einzelelemente, die thematisch, inszenatorisch oder qualitativ wenig gemein haben, unter einem kollektiven Label zu vermarkten. Auf diese Weise werden inhaltliche oder gestalterische Versprechen an das Publikum formuliert, die im Idealfall so verlässlich erscheinen, dass es bereit ist, sich wöchentlich mit ihnen zu verabreden. Schaffung von "Appointment Television" nannte Sam Davis dieses Ziel einst in seinem Buch "Quotenfieber". Es galt schon früher für Reihen wie "Der phantastische Film" im ZDF oder den "FilmFilm" in Sat.1. Es gilt noch heute für den "ProSieben Megablockbuster" oder das "Herzkino" im ZDF. Und es galt eben auch für "Der Große TV-Roman" bei RTL.
Licht und Schatten liegen dicht beieinander
Kurz darauf folgte mit "Stich ins Herz" (28. Oktober 1993) ein weiterer eigener Titel, in dem diesmal eine gedemütigte Ehefrau die Geliebte ihres Mannes ermordete. Mit einer Sehbeteiligung von 6,50 Mio. Menschen geriet er zum bis dahin größten Hit und ebnete endgültig den Weg zu einer seriellen Herstellung von TV-Movies. "Wir wollten vier, fünf Filme machen, sorgfältig, konzentriert. Und sind gleich zur Fabrik geworden", erinnerte sich Sam Davis in einem Interview von 1997 im "Tagesspiegel". Bald hatten er und sein dreiköpfiges Team bis zu 30 Aufträge pro Jahr zu betreuen.
Einen besonderen Meilenstein bildete der Film "Mutter, ich will nicht sterben" am 20. April 1994. Zum einen, weil er mit rund acht Millionen Zuschauenden eine Rekordreichweite erzielte. Vor allem aber erzählte er eine für die Serie typische überladene und abstruse Geschichte. Sie handelte von der jungen Frau Ella (Muriel Baumeister), die kurz vor ihrer Hochzeit an Leukämie erkrankte, dies ihrem Verlobten (Jochen Horst) aber aus Stolz verschwieg. Danach der nächste Schock. Sie wurde als Baby adoptiert. Dadurch kam kein Familienmitglied für die rettende Knochenmarkspende infrage. Also machte sie sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter. Damit nicht genug. Während sich Ella auf der Suche nach ihrer Heilung begab, versuchte auch noch eine Nebenbuhlerin, ihr den ahnungslosen Verlobten auszuspannen. Hui, da war was los. Im großen Finale wendete sich wie durch ein Wunder alles zum Happy-End, über das sich Ella freuen konnte. Und zwar gesund und verheiratet.
"Eine Komposition aus platten Dialogen und Bildern, abgeschmackten Spannungseffekten und schmachtender Musik, die im Ganzen abwegig und im Detail geradezu albern war", resümierte Norbert Hummelt das Machwerk in der "Mitteldeutschen Zeitung". Und Arnold Hohmann monierte in der "Süddeutschen Zeitung", dass "jeder Schritt in der Entwicklung dieser Synthetik-Story" aus zahllosen Roman-Heftchen vertraut sei.
Ganz anders verhielt es sich mit dem Film "Tag der Abrechnung" (26. Oktober 1994). Er griff die wahre Geschichte eines Amokläufers im Amtsgericht Euskirchen auf, der sechs Menschen erschoss und anschließend sich selbst in die Luft sprengte. Neben einem starken Drehbuch, das die (mutmaßlichen) Beweggründe des Verbrechens schilderte, überzeugte vor allem der Hauptdarsteller in der Rolle des Täters: der spätere zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz. Dass die Verfilmung kaum ein halbes Jahr nach der Tat ausgestrahlt werden konnte, lag daran, dass sich die geschäftstüchtige Produktionsfirma creatv bereits eine Woche nach dem Amoklauf die Rechte an der Story von der trauernden Familie gesichert hatte.
Von Mamis und Huren
Trotz einiger Ausnahmen prägten vor allem hochdramatisierte Thriller und rührselige Schnulzen das Bild der Reihe. Filme, die mit Kitsch, Klischees und Pathos oder Sex und Gewalt überladen waren und die manchmal handwerklich, manchmal schauspielerisch oder manchmal in beidem nicht überzeugen konnten.
In der Regel stand passend zur anvisierten Zielgruppe eine weibliche Hauptfigur im Zentrum des Geschehens, die entweder unerwartet in eine gefährliche Situation geriet (Woman in Jeopardy) oder mit einer existenziellen Krankheit zu kämpfen hatte (Disease of the Week). Die Thriller folgten oft den wiederkehrenden Motiven von gepeinigten Ehefrauen, leidenschaftlichen Seitensprüngen, eifersüchtigen Morden oder inszenierten Selbstmorden. Manchmal bewegten sie sich dabei mit ihren sexuellen Darstellungen oder blutrünstigen Morden knapp an der Grenze des Erlaubten. Manchmal jenseits davon. So kritisierten die Landesmedienanstalten an dem Film "Die heilige Hure" (11. Februar 1998), dass die gewählte Darstellung sadomasochistischer Sexualpraktiken Kindern und Jugendlichen suggerieren könne, Schmerzerfahrungen, Gewalt und Erniedrigung gehörten selbstverständlich zu einer Beziehung. Wie der Titel vermuten ließ, schlüpfte darin eine angehende Professorin der katholischen Theologie nach vielen Demütigungen in die Rolle einer Prostituierten und Domina. Wie das manchmal eben so ist.
"TV-Movies müssen sich sofort verkaufen", lautete Davis‘ Devise, die er 1997 im "Focus" formulierte. Und "ein guter Titel bringt eine Million mehr Zuschauer vor den Bildschirm", zeigte er sich m gleichen Jahr in der "SZ" Jahr überzeugt. Daher trugen die meisten Thriller drastische Namen, die von ihm und seinem Team sorgsam gewählt wurden, um bestimmte Stimmungen und Erwartungen zu wecken. Darunter waren Perlen wie "Das ist dein Ende" (11. Mai 1994), "Tödliches Leben" (4. Oktober 1995), "Mörderische Zwillinge" (25. Oktober 1995), "Die Stimme des Mörders" (18. Dezember 1996), "Klassenziel: Mord" (12. März 1997), "Die Babysitterin - Schrei aus dem Kinderzimmer" (15. Oktober 1997), "Appartement für einen Selbstmörder" (21. Januar 1998) oder "Die Singlefalle - Liebesspiele bis in den Tod" (13. Oktober 1999). Jeder dieser Filme war auf seine eigene Weise ein Highlight. Jeder dieser Filme ist eigentlich eine eigene Telegeschichte wert.
Die Schnulzen gingen hingegen ganz anders vor und drückten massiv auf die Tränendrüsen des Publikums. Besonders gut gelang dies den sogenannten "Mami"-Filmen. Das waren herzzerreißende Dramen über schwere Schicksalsschläge von Kindern, die oft sogar eine direkte Anrede im Namen trugen. Filme wie "Mami, ich will bei dir bleiben" (8. November 1995) oder "Schlag weiter, kleines Kinderherz!" (12. April 1995) liefen eine Zeitlang derart inflationär, dass Sam Davis im Herbst 1997 in der "SZ" gestand: "Der Bedarf an ‚Mami‘-Filmen ist jetzt gedeckt."
Angesichts der plakativen Inhalte und absurden Namen fasste "taz"-Autor Felix Göpel die Filmreihe einst folgendermaßen zusammen: "RTL hat sich im Laufe der Jahre einen Namen mit Fernsehfilmen gemacht, deren Titel und Plots jedem Verleger von Groschenromanen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. ‚Der große TV-Roman‘ kümmert sich um den Herzschmerz der Familie, den Babystrich und den Pfarrer, der liebt, aber nicht lieben darf." Treffender kann man das kaum formulieren.
Als RTL ab der Saison 1999/2000 überraschend die Übertragungsrechte für die Champions League an tm3 verlor, investierte man noch einmal kräftig in die Marke "TV-Roman". Für insgesamt 100 Millionen DM bestellte man weitere 40 Produktionen. Sie sollten die frei gewordenen Plätze am Mittwochabend füllen. Nach der Jahrtausendwende lief die Serie dann nach und nach aus. Fortan konzentrierte man sich eher auf Event-Movies und preiswerte Reality-Adaptionen.
Drama im Gerichtssaal
Interessanterweise fanden sich in den frühen Kritiken immer wieder Beschwerden über die hohe und störende Anzahl von vier Werbeunterbrechungen. Hierin aber lag eine weitere zentrale Motivation für die Erschaffung der Reihe. Der damalige Rundfunkstaatsvertrag schrieb nämlich vor, dass Kino- und Fernsehfilme mit einer Länge von 90 Minuten höchstens zweimal durch einen Werbeblock unterbrochen werden durften. Diese Vorschrift beabsichtigte, die Spielfilmkultur zu wahren und zu verhindern, dass die Kunstwerke durch eine zu große Anzahl an Unterbrechungen entstellt werden.
Durch die Anordnung der Melodramen unter einer Marke glaubte man, ein juristisches Schlupfloch für die ungeliebte Regel gefunden zu haben. Man erklärte die einzelnen Filme einfach zum Bestandteil einer Reihe oder Serie, die laut Staatsvertrag alle 20 Minuten durch Werbespots gestört werden konnten. Hierbei sicherte man sich doppelt ab und baute in den „großen TV-Roman“ weitere Unter-Reihen ein. Die ersten vier Movies waren beispielsweise zusätzlich unter dem Label „Gefährliche Leidenschaften“ miteinander verknüpft. Danach liefen viele Filme unter dem Untertitel „Schicksalhafte Begegnungen“. Es waren so beliebige Titel, dass ihnen nahezu jede Story zugeordnet werden konnte.
Diesen juristischen Taschenspielertrick wollte die zuständige Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) den Verantwortlichen bei RTL nicht durchgehen lassen und erließ eine entsprechende Unterlassungsverfügung. Sie stützte sich auf die Begründung, dass man Filme nicht nach eigenem Ermessen beliebig als Reihe definieren könne. Der Sender kam dieser Aufforderung nicht nach und platzierte weiterhin vier Werbeblöcke in seinen TV-Romanen. Dieses Vorgehen änderte er auch nicht, als das Verwaltungsgericht Hannover die Anordnung der NLM bestätigte.
In seinem Urteil machte das Gericht deutlich, dass "die Allgemeinheit, die Unverbindlichkeit, die Trivialität des behaupteten Konzepts indiziert, daß es als Vehikel verdichteter Werbung dienen soll". Eine echte Reihe sei demnach dadurch gekennzeichnet, dass "die einzelnen Sendungen durch ein bestimmtes inhaltliches Konzept verbunden sind, das sich als ‚roter Faden‘ dem unbefangenen Fernsehzuschauer zwanglos von selbst erschließt." Dazu könne ebenso eine "Kontinuität des Einsatzes von Darstellern" beitragen. Beide Voraussetzungen wären bei den beanstandeten Streifen nicht erfüllt gewesen, weshalb sie als eigenständige Filme jeweils nur zwei Unterbrechungen enthalten hätten dürfen.
RTL zeigte sich nach dem Urteil derart uneinsichtig, dass ein zehnjähriger Rechtsstreit begann, der mehrfach durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof führte. Jede Entscheidung ergab das gleiche Bild. Die Richter:innen bestätigten jedes Mal die Einschätzung der Landesmedienanstalt. Jedes Mal bescheinigten sie dem Sender, dass die Aneinanderreihung eigenständiger Filme durch einen "hinreichend umfassenden Obertitel" lediglich ein Trick sei, um die Regelung zu umgehen. Und jedes Mal zog RTL in die nächste Instanz.
Neben einer Grundsatzentscheidung ging es um Geld. Viel Geld. Denn erst Mitte 1994, nach der zweiten Verurteilung, hatte man begonnen, die Anzahl der Werbebreaks entsprechend den Vorgaben zu reduzieren. Durch die späte Reaktion hatten sich inzwischen 50 unerlaubte Werbeblöcke in 32 Filmen angesammelt. Deren Gesamtwert addierte die NLM auf eine Summe von 20.127.751 DM auf, die sie nun als Bußgeld einforderte. Mit sechs Prozent Zinsen. Wieder protestierte der Sender und argumentierte, dass durch die höhere Anzahl von Werbeinseln nicht mehr Einnahmen erzielt worden seien. Schließlich habe man die zulässige Menge an Spots pro Stunde nie überschritten, sondern bloß auf mehrere und somit kürzere Blöcke verteilt. Alles vergebens. Kein Gericht wollte dieser Begründung folgen.
Erst kurz vor einer endgültigen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht lenkte der Sender im August 2004 ein und zog die entsprechende Beschwerde zurück. Er einigte sich mit der Landesmedienanstalt auf die Zahlung des damaligen Bußgeldes in Höhe von 20 Millionen DM, heute 9,9 Millionen Euro. Im Gegenzug reduzierte die NLM ihren Zinssatz von sechs auf drei Prozent. Am Ende kosteten RTL die frühen TV-Romane nachträglich weitere 12 Millionen Euro. Die Aufwendungen für all die verlorenen Prozesse nicht eingerechnet. Die betreffende Reihe war zu diesem Zeitpunkt längst eingestellt.
Im April 1997 versuchte Sam Davis, seine bewährten Melodramen um die Programmfarbe Mystery und Horror zu erweitern. Das Genre war zu dieser Zeit nicht zuletzt durch "Akte X" sehr populär. Deshalb ließ er zwei Gruselfilme drehen, die die Akzeptanz beim Publikum testen sollten. Doch weder "Geisterjäger John Sinclair: Die Dämonenhochzeit" noch "Geisterstunde - Fahrstuhl ins Jenseits" konnten so überzeugen, dass daraus eine neue Filmreihe entstand. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.