Diese Telegeschichte beginnt im April 2006 auf dem Gewinnspielkanal 9Live. Es läuft eine dieser beliebigen Anrufsendungen mit Hot Button. Sie trägt den nichtssagenden Titel „Der unfassbare Gewinn“. Der ehemalige „Big Brother“-Kandidat Jürgen Milski animiert die Zuschauenden energisch zu einer Teilnahme an trivialen Rätseln mit viel zu komplizierten Lösungen. Stundenlang. Ohne Pause. Live. In seinem endlosen Redeschwall kommt er irgendwie auf den ehemaligen Profiboxer René Weller. Fast reflexartig nennt er ihn einen „Spargeltarzan, dessen Gehirn kaum größer als ‘ne Erbse ist“. Und er fragt sich vor laufender Kamera, ob er „sein Geld mit Drogen oder mit Boxen verdient“ habe.

Als eine Kolumnistin des Kölner Express Weller ein paar Tage danach auf diese Äußerung anspricht, zeigt er sich erbost. Er schimpft über den „Hempel-Jürgen“ und stellt klar: „Dem gehört die Fresse poliert. Labern kann jeder. Für so einen Mist soll der sich im Ring verantworten.“ Das ist für einen ehemaligen Boxer wahrscheinlich schnell gesagt, denkt man sich und legt den Vorfall als kurzes Rascheln im Boulevardrauschen ab. Doch weit gefehlt. Jürgen Milski nimmt die (vermutlich) salopp formulierte Herausforderung überraschend an. Und kaum einen Monat später stehen sich die beiden in einem Boxkampf gegenüber. So zumindest wird die Vorgeschichte offiziell immer wieder erzählt.

„Der soll sich schon mal Kohletabletten besorgen“

Die Idee, vermeintliche Prominente in echten Boxkämpfen gegeneinander in den Ring zu schicken, war schon damals nicht neu. Zwischen 2002 und 2004 hatte beispielsweise RTL drei abendfüllende Ausgaben vom trashigen „Promi Boxen“ auf die Menschheit losgelassen. Darin bewiesen unter anderem Mola Adebisi, Carsten Spengemann, Detlef D! Soost und Dustin Semmelrogge, dass sie für ein paar Minuten Aufmerksamkeit sogar in Kauf nahmen, sich amtlich vermöbeln zu lassen. Und natürlich hatte bereits das erste Duell zwischen Stefan Raab und Regina Halmich für Furore und hohe Sehbeteiligungen gesorgt. Dieses war mit einer Niederlage und einer gebrochenen Nase für Raab geendet. Nun also hieß es Jürgen Milski gegen den ehemaligen Europameister und Deutschen Meister im Leichtgewicht René Weller.

In den Tagen nach der Annahme der Herausforderung lieferten sich die beiden einen verbalen Schlagabtausch nach dem anderen. Die genauen Wortlaute der zahlreichen Beleidigungen und deren exakte Reihenfolge sind im Nachhinein nicht mehr exakt rekonstruierbar. Vielleicht ist das besser so. Den vermeintlichen Höhepunkt erreichte die gegenseitige (natürlich kalkulierte und abgesprochene) Kabbelei auf einem Pressetermin anlässlich des gemeinsamen Trainingsauftakts. Hier schoss Weller ein weiteres Mal gegen seinen künftigen Gegner: „Der Jürgen hat noch nie im Ring gestanden. Wenn der mich sieht, wird er das große Zittern bekommen - Dünnschiss. Der soll sich schon mal Kohletabletten besorgen beim Arzt. Sonst geht das bei ihm voll in die Hose.“ Jürgens unvermeidliche Replik kam ohne medizinischen Ratschlag aus: „Ich bin nicht gerade in der feinsten Gegend groß geworden. Den Zwerg hau ich mit links und geschlossenen Augen um.“

Konkurrenz-Kampf

Termin und Ort für den Kampf waren schnell gefunden. Am Mittwoch, den 24. Mai 2006, sollte der Showdown in der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz stattfinden. Dort war nämlich schon seit längerem geplant, die „1. Deutsche Firmenbox-Meisterschaft“ auszutragen. Eine lokale Veranstaltung, die den Unternehmen der Region zu mehr Sichtbarkeit verhelfen wollte. Und so stiegen Mitarbeitende und Auszubildende von kleinen Bäckereigeschäften und Malereibetrieben als ambitionierte Hobbyboxer gegeneinander in den Ring. Mehr als 20 Unternehmen aus Koblenz und Neuwied beteiligten sich durch Sponsoring oder Entsendung ihres Personals an dem Abend. Hinter dem Event standen die Koblenzer Marketingagentur und der ehemalige deutsche Meister im Schwergewicht, Bernd Friedrich. Er stammte aus dem benachbarten Neuwied und besaß dort eine Fleischerei, die natürlich ebenso mit von der Partie war.

Jürgen Milski © IMAGO / Plusphoto Der "Big Brother" bekannt gewordene Jürgen Milski verdingte sich später als Anruf-Anheizer bei 9Live

Insgesamt standen an diesem Abend sechs Kämpfe an. Darunter ein Frauenmatch. Alle waren auf drei Runden à zwei Minuten angesetzt. Dazu gab es einen Auftritt des lokalen Komikers „Rainer Zufall“, eine Schwertshow mit dem Bodybuilding-Weltmeister Thomas Scheu und eine Darbietung der leicht bekleideten Tanzgruppe Soleil do Brasil. Ausgerechnet diesen schrägen und provinziellen Rahmen wählte man, um den großen Fight zwischen Weller und Milski auszutragen.

Die Organisator:innen der Firmenbox-Meisterschaft freuten sich über die erhöhte Aufmerksamkeit. Sie hatten jetzt berechtigte Hoffnung, die gemietete Halle doch noch ausverkaufen zu können. Immerhin 800 Plätze. Die entsprechenden Tickets waren unter anderem im örtlichen Café oder in der Fleischerei des Mitveranstalters erhältlich. Zum Preis von jeweils 18 Euro (plus Vorverkaufsgebühr). 50 Cent pro Karte gingen übrigens an den Verein „wünschdirwas“, der schwerkranken Kindern Herzenswünsche erfüllte.

„Der Kampf des Jahres“

Natürlich ließ sich der Sender 9Live die einmalige PR-Gelegenheit nicht entgehen und gab schnell bekannt, den Schlagabtausch in seinem Programm live ausstrahlen zu wollen. Dabei jubelte er die nichtige Auseinandersetzung, die in den meisten Zeitungen oder Online-Diensten allenfalls als Kurzmeldung unter „Vermischtes“ Erwähnung fand, nicht ganz ironiefrei zum „großen TV-Spektakel“ und zum „Kampf des Jahres“ hoch. Als Abgesandter des Unternehmens reiste Max Schradin nach Koblenz, um ihm dort als Ringsprecher zur Seite zu stehen. In einem Pressestatement sicherte er zu: „Wenn Jürgen sich auf solch einen Ehrenkampf einläßt, dann ist 9Live natürlich dabei, um ihn auch direkt vor Ort zu unterstützen.“ Zugleich versprach man, das Ereignis mit passenden Gewinnspielen und einem Telefon-Voting auf den Sieger zu umrahmen. Natürlich über die übliche kostenpflichtige Hotline.

Am Abend des Kampfes war die Halle fast ausverkauft. Die Sympathien des Publikums lagen eindeutig auf der Seite von Milski. Viel geholfen hat ihm das nicht. Nach den vier Runden musste er sich nach Punkten klar geschlagen geben. Zwar hatte er technisch durchaus gut geboxt, gegen den konditionell überlegenen Weller verließen ihn jedoch in der letzten Runde die Kräfte, sodass er viele Schläge kassierte. Nach der Siegerehrung durch das Playmate des Jahrhunderts, Gitta Saxx, würdigte Weller die Leistung seines Gegners: „Er war ein starker und fairer Kämpfer.“ Derweil sah Milski noch vor Ort ein, dass Weller „nicht nur ein großer Boxer, sondern auch ein großer Mensch“ sei. Darüber hinaus versprach er: „Ich werde nie wieder über Menschen urteilen, die ich nicht kenne.“ Was für eine Versöhnung und was für ein Happy-End.

René Weller, Jürgen Milski © IMAGO / United Archives Weller und Milski ließen sich schon beim Training fotografieren. Im echten Kampf saßen die Schläge von Milski nicht ganz so gut.

Ganz ohne Folgen blieb das Aufeinandertreffen für beide Kontrahenten nicht. Wie eine Untersuchung ergab, hatte sich Milski an dem Abend einen geprellten Unterkiefer, ein gebrochenes Nasenbein und eine gebrochene rechte Rippe zugezogen. „Nie wieder lasse ich mich derart vorführen. Dieser Boxkampf war definitiv der erste und letzte in meinem Leben“, versicherte er daraufhin. Doch auch Weller hatte nach seinem Sieg zu leiden, denn die beiden einigten sich auf eine kleine Revanche. Diesmal allerdings nicht im Boxen, sondern im Singen. Ausgetragen wurde dieser Wettbewerb in der Partydisco „Oberbayern“ auf Mallorca, wo Milski ohnehin regelmäßig als Stimmungsmusiker auftrat. Dieses Duell konnte Jürgen für sich entscheiden und seine Niederlage dadurch zumindest etwas ausgleichen.

„Die Revanche“

Mit diesem versöhnlichen Ausgang könnte die Geschichte eigentlich enden. Doch wie so oft folgte eine unnötige Fortsetzung. Rund anderthalb Jahre später kündigte 9Live überraschend einen Rückkampf an. Diesmal ohne Jürgen Milski, der sich an sein Versprechen hielt, nie wieder boxen zu wollen. Stattdessen trat Norman Magolei gegen den ehemaligen Profiboxer an. Mit seiner Teilnahme bei „Big Brother“ und seinem Job als 9Live-Schreihals hatte sein Lebenslauf einige Überschneidungen mit dem von Jürgen. Dass er nun in den Ring stieg, begründete Magolei damit, mit einem Sieg die Ehre seines Kollegen Jürgen endlich wiederherstellen zu wollen. „Dem abgehalfterten Ex-Boxer werde ich zeigen, was ein Haken ist. Den schicke ich spätestens in der dritten Runde auf die Matte. Meine Stärke ist mein Kampfgeist“, polterte der 28jährige Magolei im Vorfeld gegen den fast doppelt so alten René Weller.

Der Ex-Profi, der in seinen letzten Jahren kaum ein Reality-Format ausließ, nahm die Herausforderung erwartungsgemäß an: „Hoffentlich hat 9Live noch einige Moderatoren in petto, welche dann nach Normans Niederlage gegen mich aus Mitleid antreten möchten. Ich kann nur sagen: Schuster bleib bei deinen Leisten! Meine Fäuste werden wieder Geschichte schreiben.“ Und so stand der nächste Boxabend an. Als Termin wurde dafür Samstag, der 09. Februar 2008, vereinbart.

Diesmal schlug die Presseabteilung von 9Live leisere Töne an und pries „Die Revanche“ lediglich als „Live-Event der Extra-Klasse“ an. Zum „Kampf des Jahres“ reichte es offenbar nicht mehr. Weil diesmal keine Firmen-Meisterschaft in der Nähe gekapert werden konnte, musste das Duell in den 9Live-Studios in Unterföhring stattfinden. In einer kleinen Halle, in der gerade mal 60 Personen um den Ring Platz fanden. Abermals stellte sich das Publikum auf die Seite der unbedarften 9Live-Nase und gegen den ehemaligen Profi-Boxer. Das war nicht verwunderlich, bestand die grölende Menge hauptsächlich aus Mitarbeitenden von 9Live sowie aus Magoleis Kumpels, die extra aus Nordrhein-Westfalen angereist waren. Ein klares Heimspiel für ihn. Bei der vorab durchgeführten Abstimmung unter den Zuschauenden sahen ihn 55 Prozent ebenfalls vorn. So viel sei schon verraten, diese hohen Erwartungen konnte er nicht einlösen.

Keine 100 Prozent

Zunächst betrat der Herausforderer Norman Magolei die spärliche Kulisse. Kampfname „Das Biest“. Die Sängerin einer Kölner Partyband schmetterte dabei „Eye Of The Tiger“ live ins Mikrofon. An seiner Seite lief Marko Rajkovic, der amtierende Weltmeister im Kickboxen, der ihn in den vergangenen fünf Monaten trainiert hatte. Anschließend betrat „Der schöne René“ den Raum - musikalisch begleitet vom Elvis Presley-Sänger Ray Martin. Im Ring warteten die leicht bekleideten Moderatorinnen Biggi Bardot und Tyra Misoux aus der nächtlichen Erotikschiene „La Notte“. Als Nummerngirls sagten sie die drei anstehenden Runden an. Außerdem fungierte der ehemalige Schwergewichtsprofi Claus „Attila“ Parge als Ringrichter. Selbst bei größter Anstrengung und eisernem Willen fällt es schwer, nicht das Wort „Kirmesboxen“ in den Mund zu nehmen, um dieses bizarre Szenario zu beschreiben.

Als Moderator führte Max Schradin erneut kompetent durch den Abend. Tapfer versuchte er, dem tristen Theater wenigstens ein wenig Glanz oder zumindest etwas Humor abzuringen. Ihm zur Seite stand der Münchner Kabarettist Ali Khan, der den kurzen Kampf souverän kommentierte.

Dann endlich hieß es „Ring frei“ für die große Revanche, die aber gar nicht so groß ausfiel. Nach wenigen Sekunden war die haushohe Überlegenheit von René Weller unübersehbar. Magolei konnte sich einzig nach Kräften bemühen, den unvermeidlichen Schlägen standzuhalten. Vergeblich. Immer wieder brach Weller durch seine Deckung und versetzte ihm schmerzhafte Treffer. Die saßen anfangs so sehr, dass Norman noch in der ersten Runde angezählt werden musste. Gleichzeitig gelang ihm über die gesamte Distanz kein einziger Gegentreffer. „Mit viel Phantasie“, so einigte man sich hinterher salomonisch, wäre vielleicht ein Schlag so halb durchgegangen. Wie harmlos sein Herausforderer war, erkannte Weller natürlich schnell. Ab der zweiten Runde begann er merklich, bloß noch mit ihm zu spielen und ohne jegliche Deckung frech vor ihm umher zu tanzen. Dennoch blieb er gnädig und schickte ihn nicht gänzlich auf die Bretter.

Der Sieg von Weller war letztlich keine Überraschung. Max Schradin beendete das Trauerspiel mit den sehr treffenden Worten: „Großer Respekt an Norman Magolei. Danke an René Weller, dass er in den drei Runden nicht 100 Prozent gegeben hat.“ Im allgemeinen Gebuhe des Publikums nach der Entscheidung richtete Weller plötzlich das Wort an einen Zuschauer: „Ich kann gar nicht verstehen, was Du gegen mich hast. Willst Du mit mir boxen?“ Zum Glück eine rhetorische Frage. Einen weiteren sportlichen Totalausfall hätte die Show wirklich nicht verkraftet. Und so fand Weller für diesen denkwürdigen Abend schließlich die angemessenen Schlussworte: „Es stärkt mein Selbstvertrauen, den anderen aufs Maul zu hauen.“ Amen, möchte man fast ergänzen.

Beinahe hätte die Geschichte noch einen dritten Teil erhalten. Denn nach der Siegerehrung gestand Max Schradin während der Liveübertragung überraschend: „Also ich persönlich habe ja Lust bekommen, als ich Euch beide gesehen habe. Aber wenn ich jetzt in Normans Gesicht schaue, […] denke ich mir, wir vertagen das mal bis auf Weiteres.“ Dazu sollte es nie kommen, weil erst 9Live seinen Sendebetrieb im August 2011 einstellte und René Weller dann am 22. August 2023 im Alter von 69 Jahren verstarb.

Erstaunlicherweise stellten die 9Live-Boxkämpfe nicht den Tiefpunkt der deutschen Promi-Klopperei-Geschichte dar. Den setzte "Bild" im November 2023, als man im Rahmen der Veranstaltung „Fame Fighting“ die Reality-Sternchen Gigi Birofio und Can Kaplan gegeneinander antreten ließ. Sie wollten im Ring endlich ihre monatelange Auseinandersetzung beilegen, die bei der Aufzeichnung zum „Sommerhaus der Stars“ begonnen hatte. Damals hatte Gigi nach einem Streit mit Can diesem eine Ohrfeige verpasst und dabei versehentlich auch dessen Verlobte Walentina getroffen. Beim „klärenden“ Kampf in der "Bild"-Arena kam es zu der schrägen Szene, in der Walentina von außen mehrmals in Richtung Gigi rief „Du bist ein Schläger“, während dieser von ihrem Verlobten heftig Prügel bezog. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.