Diese Telegeschichte beginnt am 20. Juni 1990 kurz nach 22 Uhr. Da ihr reguläres Studio an diesem Abend nicht zur Verfügung steht, wird die Sendung „III nach 9“ ausnahmsweise im sogenannten "Swutsch"-Studio produziert. Ein frei zugänglicher Glasbau auf der Bremer Bürgerweide nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt. Die traditionsreiche Talkshow hat in ihrer 16-jährigen Geschichte einige bewegte Ausgaben erlebt. Der Aktivist Fritz Teufel bespritzte den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer mit Zaubertinte, eine Frauenrechtlerin überschüttete einen Bordellchef mit Wein und Raucher:innen kämpften lautstark für ihr Recht auf Qualmen. Nicht selten sind solche Provokationen gewollt. Bewusst werden regelmäßig gegensätzliche Meinungen in einer Art Kneipenatmosphäre mit Alkohol aufeinander losgelassen. Doch heute Abend ist alles anders.

Vor dem gläsernen Studio haben sich Dutzende Demonstranten versammelt. Sie skandieren „Nazis raus“. Immer wieder hämmern sie gegen die Fenster. Steine fliegen. Ein Brocken durchschlägt eine Scheibe. Inzwischen ist die Polizei eingetroffen und versucht, mit Hunden und Schlagstöcken das Gelände zu räumen. Die Beamten nehmen einige der Teilnehmenden in Gewahrsam, was die Wut der Gruppe weiter anheizt. Diese richtet sich nun ebenso gegen die Polizist:innen.

Einen Faschisten offen reden lassen

Auslöser der Proteste ist die Ankündigung der Redaktion, den Politiker Franz Schönhuber in die Talkshow einzuladen, um mit ihm über seinen politischen Kurs zu diskutieren. Zur Zeit des Auftritts bewirbt sich Schönhuber gerade (erneut) um den Vorsitz der Republikaner, einer rechtskonservativen Partei, die er rund fünf Jahren zuvor mitbegründet hat und die in der Folge einige beachtliche Wahlerfolge erzielen konnte. Sie steht kurz davor, einen rechtsextremen Kurs einzuschlagen und ein Bündnis mit NPD und DVU einzugehen. Zwar versucht Schönhuber diesen Schritt durch seinen demonstrativen Rücktritt vom Parteivorsitz zu verhindern, mit seiner programmatischen Formel „Deutschland zuerst!“ gilt er dennoch als ein Förderer der bis heute genutzten Nazi-Parole „Ausländer raus! Deutschland den Deutschen!“ In seinem Buch „Ich war dabei“ verteidigt er zudem die Ideale der Waffen-SS, deren stolzes Mitglied er einst war. Als gelernter Journalist, ehemaliger Chefredakteur einer Tageszeitung und Moderator mehrerer Formate im Bayerischen Fernsehen ist er zugleich ein schlagfertiger Redner, an dem sich sogar gestandene Politikexperten abarbeiten.

Die Wut der Demonstrant:innen richtet sich nicht nur gegen Schönhuber. Sie richtet sich auch gegen Radio Bremen, das einem solchen Mann in einem öffentlich-rechtlichen Programm eine Bühne bieten will. Das wollen sie verhindern, wie ein Demonstrant aufgebracht klarstellt: „Der Skandal ist, Radio Bremen leistet es sich hier, einen Faschisten offen reden zu lassen. […] Wir werden diese Veranstaltung solange stören, bis Herr Schönhuber, der ein Faschist ist und das ist bekannt, hier raus geht.“

„Wollen wir einfach so tun, als ob wir eine normale Sendung machen?“

Drinnen im Studio bemüht sich Juliane Bartel, eine von drei Moderator:innen, die Lage draußen auszublenden: „Wollen wir einfach so tun, als ob wir eine normale Sendung machen?“ Das kann natürlich nicht gelingen. Wie auch, wenn im Hintergrund ständig Menschen zu sehen sind, die Plakate hochhalten, Graffiti an Fenster sprühen, gegen Scheiben schlagen oder von der Polizei mit Schlagstöcken zurückgedrängt werden? Auf der anderen Seite der Fenster sitzt ein verängstigts Publikum, das sich fragt, wie lange diese wohl halten werden. Die ebenfalls eingeladene Schauspielerin Jutta Speidel sorgt sich um ihre Sicherheit und klagt: „Ich habe einfach Angst. Jetzt mal ganz schlicht und ergreifend. Es fliegen hier pausenlos Steine an die Scheiben und [...] ich will nicht getroffen werden!“ Kurz zuvor hat die Opernsängerin Anja Silja die Runde verlassen, nachdem sie auf dem Weg ins Studio beinahe von einem Brocken getroffen worden wäre. Irgendwann gelingt es den Protestierenden, das Hauptübertragungskabel zu kappen und die Live-Übertragung für etwa vier Minuten komplett zu unterbrechen.

Giovanni di Lorenzo, Franz Schönhuber © IMAGO / teutopress Giovanni di Lorenzo und sein Problemgast Franz Schönhuber bei "III nach Neun"

Wiederholt thematisieren die Moderator:innen ihre schwierige Lage und rechtfertigen sich hierbei für die Einladung Schönhubers. So gibt Giovanni di Lorenzo zu Protokoll: „Die Frage, ob Herr Schönhuber hier auftreten soll oder nicht, war auch im Team umstritten. Es gibt Leute hier im technischen Team, die gar nicht erst angetreten sind, weil sie sagen, wenn Herr Schönhuber auftritt, bin ich nicht dabei.“ Mehrmals stellt er das Publikum vor die Wahl, wie mit der Situation umzugehen ist. Die Show abbrechen oder sie durchziehen sind die beiden Optionen. Doch niemand geht in dem Stimmengewirr wirklich darauf ein. Es ist ein großes Durcheinander.

Hierzu trägt ebenfalls die merkwürdige Zusammensetzung der Runde bei, zu der neben Schönhuber und Jutta Speidel der Theaterregisseur Johann Kresnik, der Schriftsteller Gerhard Zwerenz und der Vorsitzende der DDR-SPD Wolfgang Thierse gehören. Außerdem hielt man es offenbar für eine gute Idee, in der ohnehin angespannte Situation zwei bekennende Fußball-Hooligans zu platzieren. Sie sollen sich vor laufenden Kameras damit brüsten, sich gern mit Fans anderer Mannschaften zu prügeln. Im Bewusstsein einer möglichen Strafverfolgung weigern sich die beiden natürlich, ein solches Bekenntnis abzulegen. Stattdessen fordern sie eine klare Abgrenzung zu Schönhuber, mit dem sie nicht in einem Atemzug genannt werden wollen. Ein wirkliches Gespräch ist mit all diesen Gästen nicht möglich, zu wenig Zeit bleibt wegen der Störungen, zu abgelenkt sind die Beteiligten, zu banal erscheinen ihre Themen im Vergleich zur aktuellen Situation.

„Zerrbilder“

Inmitten dieser strukturellen und inhaltlichen Unordnung ruht Franz Schönhuber betont gelassen. Fast regungslos, die Arme meist vor dem Bauch verschränkt und oft mit einem leichten Lächeln der Selbstzufriedenheit beobachtet er amüsiert das Spektakel, das seine Person hier auslöst. Es gelingt ihm sogar, die undurchsichtige Situation gegen die überforderten Gastgeber:innen zu wenden und sich als noblen Beschützer zu inszenieren: „Ich möchte ganz klar einen Vorwurf an Ihren Sender machen. Wenn man jemanden einlädt, muss man für seine Sicherheit sorgen. Und die Steine, die mich treffen sollten, hätten auch die Damen treffen können. Das ist fahrlässig und unverzeihlich“.

Es ist ein beliebter Schachzug von ihm, den er im Laufe des Abends mehrfach anwenden wird. Nämlich auf Vorwürfe an ihn, mit Gegenvorwürfen zu antworten, um den Inhalt der Diskussion gezielt zu seinen Gunsten zu verschieben. Ansonsten verwendet er viel Redezeit darauf, sich über seine vermeintlich ungerechte Behandlung zu beschweren. Zunächst behauptet er, die Darstellungen seiner Partei im Fernsehen seien bloß „Zerrbilder“, die dadurch entstünden, dass jede Aussage „auf dem Schneidetisch quasi zerstückelt wird, hin und hergeschoben wird, bis man jenes Bild hat, das man gern von ihm zeigen will“. Danach wirft er den Moderator:innen vor, parteiisch zu sein und ihn mit der Platzierung seines Gesprächs am Ende des Abends bewusst klein halten zu wollen: „Ich bin lange genug in diesem Gewerbe, ich merke natürlich die Taktik des Senders, die wirklich brisanten Themen ans Ende zu schieben, damit die Leute bereits schlafen gegangen sind.“ Und schließlich wettert er gegen Giovanni di Lorenzo, der einige bezeichnende Sätze aus Schönhubers Buch zitiert. Man könne wohl kaum ein ganzes Buch an ein paar Zeilen messen, so sein Vorwurf. Ansonsten bekennt er sich als ein Mann von Recht und Ordnung und münzt die Radikalisierung seiner Partei als ein unbedeutendes Manöver einer Handvoll Querulanten ab.

So bleibt am Ende des zweistündigen Chaos wenig Erkenntnis - außer der Feststellung, dass ein Gespräch mit Schönhuber ein komplexes Unterfangen ist, das selbst drei erfahrene Journalist:innen nicht recht zu bändigen wussten.

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Ein gewagtes Vorhaben

Angesichts dieser Vorgeschichte kam es rund zwei Jahre später – im November 1992 - umso unerwarteter, als der Showmaster Thomas Gottschalk ankündigte, Franz Schönhuber in seine „Late Night“ einladen zu wollen. Überraschend war dies auch deshalb, weil Gottschalk bis dahin eher als lockerer Plauderer in Erscheinung getreten war. Als jemand, der sich am Anblick schöner Frauen erfreute und eigentlich viel Spaß an albernen Nummern hatte - etwa an einem Hund, der angeblich „Mama“ sagen konnte. (Was er nie tat.) Hier lief der Entertainer zur Höchstform auf. Jener Gottschalk, der, so sein Biograf Gert Heidenreich, das „solide Briefing“ und die „gründliche journalistische Präperierung“ als ein Korsett empfand, „das „ihn hindert, seine Moderation spontan und leichtfüßig vorzutragen“. Und jener Gottschalk, der während seiner gesamten Karriere anstrebte, die Proben auf ein Minimum zu reduzieren, um nicht schon dort sein Pulver zu verschießen. Ausgerechnet dieser Gottschalk wollte sich nun den erfahrenen Populisten Schönhuber vornehmen und ein kritisches Interview führen, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu setzen.

Ähnlich wie Giovanni di Lorenzo zwei Jahre zuvor begann Gottschalk sein Interview am 26. November 1992 mit dem Hinweis, man habe in der Redaktion darum gerungen, Schönhuber einzuladen. Es folgte die obligatorische und stets gleiche Begründung, warum man sich letztlich doch dafür entschieden habe: „[...] wenn wir solche Leute nicht mehr ins Fernsehen lassen, dann ist irgendetwas faul in diesem Land“.

Zusätzliche Brisanz erhielt der ohnehin heikle Plan durch seinen zeitlichen Kontext. Die anfängliche Euphorie der Wiedervereinigung war längst verflogen. Stattdessen breiteten sich Fremdenfeindlichkeit und rechtsextreme Übergriffe wie in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda im Land aus. Nur drei Tage vor dem Auftritt erschütterte der Brandanschlag von Mölln die Republik. Damals hatten zwei bekennende Neo-Nazis Brandsätze auf zwei Häuser geworfen, die von türkischen Familien bewohnt wurden. Die zwei jungen Mädchen Yeliz Arslan (10) und Ayse Yilmaz (14) starben ebenso wie Bahide Arslan, die bei dem Versuch, die beiden Mädchen zu retten, ums Leben kam.

„Was haben Sie dabei empfunden?“

Diesen Anlass wählte Gottschalk als Einstieg in das Gespräch: „Was haben Sie empfunden, als Sie die Meldungen aus Mölln gehört haben, dass dort Menschen verbrannt sind, türkische Mitbürger, darunter ein zehnjähriges Mädchen? Wie haben Sie das erfahren, und was haben Sie dabei empfunden… gefühlt?“ Schönhuber nimmt den leichten Ball fast dankbar auf und nutzt ihn sogleich, um sich als Verfechter von Law & Order zu inszenieren: „Ganz gleich, wer es gewesen ist, ob ein Deutscher oder ein Nicht-Deutscher, ob ein rechter Verrückter oder ein linker Verrückter, das sind Untaten. Das ist Mord, und auf Mord steht lebenslänglich, und so soll es sein.“

Gottschalk war noch optimistisch und unternahm einen weiteren Anlauf, Schönhuber ein Bekenntnis zum rechtsextremen Hintergrund der Tat zu entlocken. Sein Mut hatte ihn jedoch bereits verlassen, was die defensive Formulierung seiner Frage bewies. Zudem verstrickte er sich in eine der für ihn typischen Endlosfragen: „Nun ist es so, dass ich ein bisschen das Gefühl habe, dass diese Leute, die ‚Ausländer raus‘ rufen, letztendlich in der Konsequenz ja das verbrecherisch beenden, was Sie angefangen haben zu denken, nämlich: ‚Ausländer stören bei uns‘. Hier wird jemand – und das sind sicher Radikale, das sind Menschen, die nicht demokratisch denken – die haben in einer Konsequenz das zu Ende gedacht, was Sie auch gesagt haben, nämlich: ‚Ausländer raus, Deutschland den Deutschen‘.“

Franz Schönhuber © IMAGO / HärtelPRESS Franz Schönhuber im Jahr 1992
Natürlich hatte Schönhuber Gottschalks Unsicherheit längst gewittert und konnte gelassen auf den verklausulierten Vorwurf reagieren. Da er zugleich ahnte, dass Gottschalk ihn nicht bremsen oder gar widersprechen würde, nutzte er die Gelegenheit, ihn gleich zum Thema „Patriotismus“ zu belehren: „Wenn heute ein Engländer, wenn… wenn der Prime Minister Major sagt: ‚England first‘ oder die Franzosen: ‚La France d’abord‘, so ist das ein patriotisches Anliegen. Wenn ein Deutscher sagt, ein deutscher Politiker – und dazu steh ich: Ich bin dazu da, in erster Linie die Interessen meiner Landsleute zu vertreten -, so halte ich das für kein Verbrechen.“ Mit der Gleichsetzung der menschenfeindlichen Parolen mit wirtschaftspolitischen Schlagworten aus dem Ausland versuchte er, die Härte seiner politischen Überzeugung geschickt zu verharmlosen. Sie überdies in einen europäischen Kontext zu stellen, verhalf ihm, eine (vermeintlich) kultivierte Weltgewandtheit zu demonstrieren und sich vom Dunstkreis der ungebildeten Nazi-Schläger abzugrenzen.

Gottschalk setzte dem nichts entgegen. Mehr noch, der harmoniebedürftige Showmaster ließ sich schon bei Schönhubers zweiter Antwort die Gesprächsführung aus der Hand nehmen: „Das Schlimme ist, dass hier in Deutschland permanent zwei Begriffe vermengt werden: ‚Ausländer“ und die ‚Asylfrage‘. Wenn wir das mal klären könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“ Und Gottschalk folgte ihm gutgläubig aufs Glatteis und ließ ihn fortan den Verlauf des Gesprächs bestimmen: „Gut, okay, reden wir darüber.“

„Wir wollen doch hier nicht politisch diskutieren.“

Und so ging es weiter. Schönhuber konnte sagen, dass er Gewalt und Nationalismus verabscheue. Seine Partei würde Fremdenfeindlichkeit sogar bekämpfen. Es gäbe in ihr auch keine Antisemiten, man würde diese vielmehr ausschließen. Alles ein Missverständnis. Allein die Medien würden die Partei gern in ein falsches Licht rücken. All das konnte Schönhuber weitgehend ungestört vor den laufenden Kameras ausbreiten. Jedes Bemühen Gottschalks, ihn mit einer Frage zu packen, schmetterte der versiert ab und kehrte sie ins Gegenteil um. Mit seiner auf bürgerlichem Halbwissen basierenden, spontanen und improvisierenden Art, mit der Gottschalk sonst in seinen Gesprächen gut zurechtkam und die ihn bisher von jeder Vorbereitung befreite, scheiterte er jetzt auf ganzer Linie. Sie erwies sich als Schönhubers Erfüllungsgehilfe, um sich als netten, harmlosen und missverstandenen Menschen darzustellen.

Irgendwann war Gottschalk derart geschlagen, dass er seinen Gast anflehte: „Wir wollen doch hier nicht politisch diskutieren. Das kann ich nicht.“ Was Schönhuber natürlich nicht störte und er kess parierte: „Doch wollen wir.“ Er wollte nicht plaudern, er wollte für seine politischen Vorstellungen werben und ließ sich davon nicht durch einen Unterhaltungsclown abhalten. Zu selten hatte er dafür im Fernsehen die Gelegenheit. Der endgültige Tiefpunkt folgte, als Gottschalk nur noch ratlos in Richtung Team blicken konnte: „Was kann ich sagen? Helft mir!“ Eine Bankrotterklärung vor laufenden Kameras.

Nach endlosen 14 Minuten näherte sich das Gespräch seinem viel zu späten Ende - allerdings nicht ohne eine letzte Demütigung. Zum Abschluss bedankte sich Schönhuber bei Gottschalk für „den Glücksfall der Sendung“. Normalerweise dürfe er im Fernsehen nicht derart frei und ununterbrochen sprechen. Gottschalk blieb bloß, die nächste Reklame anzukündigen: „Wir machen jetzt erst mal Werbung, da machen wir nichts falsch“.

„Rechtsradikales Parolen-Geschwätz“

Die Reaktionen auf das Interview fielen erwartungsgemäß vernichtend aus. Allein während der Ausstrahlung meldeten sich rund 100 Leute per Telefon in der RTL-Zentrale, die sich zumeist über die schlechte Vorbereitung Gottschalks beschwerten. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ fasste die Begegnung zusammen als „wirres, rechtsradikales Parolen-Geschwätz, das der Entertainer mit charmanter Ahnungslosigkeit zu bändigen versuchte - vergeblich“. Gerd Nowakowski beschrieb die Situation in der „taz“ so, dass man Schönhuber „widerspruchslos den Fernsehkanal für den rechten Großangriff auf die deutschen Hirne überlassen“ habe. Der Schauspieler Hardy Krüger empörte sich öffentlich über den „Mangel an Geschichtsbewußtsein“ sowie über die „Verantwortungslosigkeit“ angesichts der dramatischen Lage im Land. Aus Protest sagte er seinen für den folgenden Montag geplanten Auftritt in der Gottschalk-Show ab.

Gleichzeitig bemühten sich die RTL-Verantwortlichen um Schadensbegrenzung. So räumte Geschäftsführer Helmut Thoma ein, dass Gottschalk mit der Einladung Schönhubers einen Fehler gemacht habe, der aber zu verzeihen sei. Es sei ja unstrittig, dass er Ausländerhass und Gewalt klar ablehne, wofür er auch an diesem Abend einstehen wollte: „Er wollte auf seine menschliche und, wie er selbst sagte, nicht politisch versierte Weise dafür etwas tun.“ RTL-Sprecher Peter Hoenisch ergänzte, dass Gottschalk „kein politischer Mensch sei“, doch er habe „gekämpft und gegen einen geschliffenen Demagogen verloren.“ Und Gottschalk? Er ließ im Kölner "Express" verlauten, er habe sich „da wohl ein bisschen überschätzt“. Als Angebot zur Wiedergutmachung lud er in einer späteren Ausgabe die Initiator:innen der Münchner Lichterkette gegen Ausländerhass ein und sicherte ihnen eine Spende in Höhe von 25.000 Mark aus eigener Tasche zu. Immerhin.

Ganz wirkungslos war Gottschalks Gespräch mit Schönhuber am Ende nicht. Sein überdeutliches Scheitern vor laufender Kamera ließ viele Redaktionen danach zögern, den rechten Politiker in ihre Formate einzuladen. Zu groß war die Angst vor einer Wiederholung eines solchen Debakels. So entwickelte sich unversehens eine Art Medienbann über Schönhuber, der seinen Auftritt in der Late-Night-Show rückblickend zu einem seiner letzten großen TV-Interviews werden ließ.

Das ewig gleiche Spiel

Ohne Zweifel war Gottschalks Hilflosigkeit fatal und der denkbar schlechteste Umgang mit einer Person wie Franz Schönhuber. Wer sich auf ein solches Gespräch einlässt, braucht persönliches Format, genaue Kenntnis der Antwortmuster und eine akribische Vorbereitung, um all den populistischen Parolen und Rhetoriken begegnen zu können. Nur unter diesen Voraussetzungen kann es gelingen, einen solchen Gast zu packen. Kann wohlgemerkt, denn eine Konfrontation dieser Art ist eigentlich ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Wagnis.

Es entwickelt sich meist dasselbe Spiel: Entweder man führt eine ruhige und sachliche Diskussion mit Personen wie Schönhuber, so erscheinen sie als höchstens streitbare, aber insgesamt annehmbare Politiker:innen, die viel harmloser wirken, als sie sind. Dann trägt man zur Normalisierung der Extremist:innen bei und fördert ihre Sache. Oder man unterbricht, hinterfragt, widerspricht hartnäckig, dann flüchten sich die Populist:innen gerne in eine Opferrolle und werfen der Gesprächsleitung vor, dass man sie nicht zu Wort kommen ließe, dass sie unfair behandelt würden und dass die Verantwortlichen sowieso staatsgelenkt und nicht neutral seien. Das stützt letztlich erneut ihr Narrativ von der angeblich unterdrückten Mehrheit. So ging Schönhuber in „III nach 9“ vor und so ist es noch heute regelmäßig zu beobachten, wenn Extremist:innen in Talkshows eingeladen werden. So wenig sich die rückwärtsgewandten Überzeugungen gewandelt haben, so wenig haben sich die rhetorischen Muster dahinter geändert.

Der Unterschied besteht heute allerdings darin, dass aus den Gesprächen im Nachhinein von einschlägigen Kanälen winzige Schnipsel durch das Internet gejagt werden, in denen, wie es der Jornalismus-Professor Tanjev Schultz treffend beschreibt, „jede kleine Bockigkeit und jede scheinbar schlagfertige Antwort ihrer Leute als ein kolossaler Sieg über die angebliche ‚Lügenpresse‘“ gefeiert wird. Selbst ein journalistisch hart geführtes Interview liefert auf diese Weise noch Futter, sich als Opfer der bösen Systemmedien und als Märtyrer feiern zu lassen.

„Niemand wird dadurch schlau.“

Daher stellt sich die Frage, warum man überhaupt Personen wie Schönhuber in Talkshows einladen sollte? Warum dieses Risiko eingehen? Warum ihnen eine Bühne geben?

Ein gängiges Argument, das auch Gottschalk anführt, ist, dass in einer Demokratie und mit allen Strömungen gesprochen werden müsse. Aber haben nicht Kräfte, die sich selbst ins demokratische Aus manövriert haben und die Grundregeln demokratischer Debatten missachten, dieses Recht verwirkt?

Und wenn man ihnen doch einen Platz in einer Talkshow einräumt, kommt dabei selten etwas rum. Man beobachtet, wie sich gut vorbereitete Journalist:innen abstrampeln, wie sie sich anstrengen, ihr Gegenüber mit früheren Aussagen zu konfrontieren. Gleichzeitig müssen sie auf ein Dauerfeuer von Behauptungen, Unwahrheiten oder Verdrehungen reagieren, das kaum in Echtzeit überprüft und widerlegt werden kann. Dazu weichen die Gäste aus, leugnen, verharmlosen oder provozieren. Ein Spiel, bei dem die Gastgeber:innen kaum gewinnen können.

Ein zermürbendes und sinnloses Verfahren, wie Tanjev Schultz zu Recht feststellt: „Niemand wird dadurch schlau.“ Was will man bei Personen wie Schönhuber, bei Personen, die als eindeutig rechtsextrem eingestuft werden, bei Parteien, die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, noch entlarven? Was will man entzaubern an Personen, die ihren Extremismus mit so offenem Visier vor sich hertragen? Wem will man hier etwas beweisen?

Um es klar zu sagen. Es geht nicht darum, dass Menschen wie Schönhuber überhaupt nicht mehr Teil einer medialen Berichterstattung sind. Es geht einzig um die Frage, ob sie in Talkshows eingeladen werden sollen. Sebastian Leber bringt es im "Tagesspiegel" auf den Punkt: „Man muss über sie berichten, ihre Absichten benennen, ihre Lügen widerlegen. Auf Augenhöhe mit ihnen sprechen, sie als Gesprächspartner normalisieren, das muss man nicht.“

Mit dieser Haltung wäre Gottschalk seine Bruchlandung wohl erspart geblieben. Ein weiteres mahnendes Beispiel dafür, dass das Vorhaben, Extremist:innen zu entzaubern, wenig erfolgsversprechend ist, lieferte im Jahr 2000 der erfahrene Journalist Erich Böhme. Er lud den österreichischen Politiker Jörg Haider ein und scheiterte daran ebenfalls. Das allerdings ist eine andere Telegeschichte.