Diese Telegeschichte beginnt am 29. August 1953 auf dem Messegelände in Düsseldorf. An diesem Tag eröffnete Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard die Große Deutsche Rundfunk-, Phono- und Fernseh-Ausstellung. Es war die 18. Auflage der Messe, die bis heute unter dem Begriff "Internationale Funkausstellung" bekannt ist, und es war die erste Ausgabe seit Wiedereinführung des regelmäßigen Fernsehbetriebs in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. Daher standen diesmal die neuen Fernsehgeräte im Zentrum des Interesses, von denen rund 70 Modelle vorgestellt wurden, – meist mit sechs Kanälen und Bildschirmdiagonalen von 36 cm.
Die Ausstellung sollte einen wichtigen Anreiz dafür liefern, den schleppenden Absatz von Empfangsgeräten in Deutschland merklich anzukurbeln. Schließlich waren zum Sendestart des Fernsehens im Dezember 1952 in der BRD erst 2.000 Apparate angeschlossen. Man hoffte, in den Monaten nach der Messe 80.000 Geräte absetzen zu können. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, präsentierten sich nicht nur die Hersteller der Flimmerkästen in den Düsseldorfer Hallen. Auch der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) wollte beweisen, dass es sich lohnt, das eigene Programm mit einem neuen Fernseher zu verfolgen. Entsprechend versprach Werner Pleister, der Intendant des NWDR, zum Auftakt, die kommenden Tage würden den "großen Start einer umfassenden deutschen Fernseh-Entwicklung" bilden. Im engen Schulterschluss mit den technischen Fabrikanten geriet die Düsseldorfer Messe zur wahren Leistungsschau des erst jungen Fernsehfunks, deren Inhalte noch die nachfolgenden Jahrzehnte maßgeblich prägen würde.
"Wer will, der kann" – A Star Is Born
Das Angebot enthielt auch die kleine Produktion "Wer will, der kann", die mit ihrer Platzierung im Nachmittagsprogramm zunächst recht unscheinbar wirkte. In der Sendung, die den Untertitel "Die große Talentprobe für jedermann" trug, führten unbekannte Personen ihre besonderen Fähigkeiten vor laufenden Kameras auf. Sie sangen, sie spielten Instrumente, sie imitierten Tierstimmen oder sie rezitierten klassische Texte. Am Ende jeder Ausgabe wurde unter allen Teilnehmenden das "Talent des Tages" gekürt, das als Preis neben einem handgemalten Porträt vom Auftritt natürlich einen Fernsehapparat erhielt.
Die damals 25-jährige Hausfrau Irmtraud Kampmeier kam die Ehre zu, als erste Kandidatin auf die Bühne zu treten. Mit ihrer Darbietung einer Arie aus der Oper "Die Hugenotten" setzte sie sich im Wettbewerb gegen eine Tänzerin, einen Jongleur, einen Xylofonspieler und ein kleines Mädchen, das ein Gedicht aufsagte, durch. Dafür erhielt sie zum neuen Fernseher und zum gezeichneten Bild zusätzlich einen Garderobenständer. Was man in den 50er-Jahren offenbar so brauchte.
Rückwirkend kann Kampmeier somit als erstes "Supertalent" oder als erster "Superstar" bezeichnet werden. Obwohl sie mit ihrem Gesang keinen Plattenvertrag erhielt, ermöglichte ihr der öffentliche Auftritt eine kleine Karriere als Sängerin. Für ihr Selbstbewusstsein und ihre Unabhängigkeit war er nämlich der entscheidende Schlüsselmoment. Schließlich benötigte sie für das Mitwirken an der TV-Show noch die schriftliche Einverständniserklärung ihres Mannes. Danach fand sie den nötigen Mut und passende Gelegenheiten, um Taufen, Hochzeiten oder Firmenfeiern mit ihrem Gesang zu begleiten. Ihre ganze berührende Story schilderte die Journalistin Lara Fritzsche in einem bewegenden Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit".
Die Talentsuche war nicht allein für Irmtraud Kampmeier ein wichtiger Schritt in ihrem Leben, sie verhalf dem legendären Showmaster Peter Frankenfeld ebenfalls zu seinem großen Durchbruch. Bislang war er lediglich im Hessischen Rundfunk zu hören gewesen und erhielt nun seine Gelegenheit, sich vor dem deutschlandweiten Fernsehpublikum zu beweisen. Anfangs begegnete er seinen aufgeregten Gästen mit einer gewissen Überheblichkeit und stieß dadurch wiederholt auf Kritik. Trotzdem wusste er mit seinem schelmischen Witz und seiner beeindruckenden Schnelligkeit die Zuschauenden derart zu verzaubern, dass die kleine 30-minütige Nachmittagssendung zu einem beachtlichen Hit wurde. Ihr Zuspruch war so enorm, dass sie nach dem Ende der Messe im regulären Programm eine Fortsetzung fand und dafür einen Platz am Sonntagabend erhielt. Ab diesem Zeitpunkt ging Frankenfeld deutlich empathischer und einfühlsamer mit den Talenten um.
Es war schnell klar, Frankenfeld konnte eine enorme Zugkraft für das Fernsehen erzeugen und hatte das Zeug für größere Aufgaben. Darum erhielt er ab dem 31. Januar 1954, – also erst fünf Monate nach seinem Debüt auf der Funkausstellung – mit "1:0 für Sie" seine erste abendfüllende Spielshow. Für die neue zweiwöchentliche Reihe musste er jedoch seine Talentsuche auf Eis legen. Zumindest vorerst.
Schätzungen zufolge sahen bis zu einer halben Million Menschen jede Episode von "1:0 für Sie", obgleich zu diesem Zeitpunkt gerade erst 60.000 Fernsehgeräte in Deutschland angemeldet waren. Die Show beförderte Frankenfeld endgültig an die Spitze der deutschen Fernsehunterhaltung und machte ihn zum Prototyp des großen Showmasters. Seine Popularität wuchs so gewaltig und langjährig, dass sein Foto noch 45 Jahre später als Hommage in der Kulisse von Stefan Raab hängen wird. Davon unbeeindruckt beschloss der Intendant des NWDR, die Sendung nach rund anderthalb Jahren einzustellen. Das letzte Mal wurde sie am 28. August 1955 aus Düsseldorf übertragen - wieder von jener Funkausstellung, auf der Frankenfeld vor zwei Jahren seinen Siegeszug begann. Die 1.800 Tickets für das Ereignis waren schon innerhalb weniger Stunden nach der Bekanntgabe vergriffen. Das überraschte selbst Erwin Fuchs, den Leiter der NWDR-Unterhaltungsabteilung: "Ich bin seit dreißig Jahren in dieser Branche, aber ich habe noch nie erlebt, daß ein einziger Name so zugkräftig ist."
Auf der 55er-Messe feierte Frankenfeld nicht nur das große Finale seiner beliebten Spielshow, er ließ auch seine eingestellte Talentsuche wieder aufleben und moderierte neun neue Ausgaben von "Wer will, der kann". Durch seinen Erfolg lief diese jetzt am Vorabend um 17.35 Uhr und mit einer verdreifachten Laufzeit von 90 Minuten. Des Weiteren erhielt die neue Staffel eine Endausscheidung, in der am 18. September 1955 alle "Talente des Tages" gegeneinander antraten und um den "Großen Preis des NWDR-Fernsehens" wetteiferten.
Etwa ein Jahr danach feuerte die Fernsehanstalt in Stuttgart auf der Deutschen Fernsehschau 1956 ein weiteres zehntägiges Messespektakel ab, zu der abermals neue Folgen von "Wer will, der kann" gehörten. Diesmal trugen sie den Beinamen "Peter Frankenfeld sucht latente Talente". Es war das letzte Mal, dass Frankenfeld sein simples Format reanimierte.
"Toi, Toi, Toi" – Nachschub dringend gesucht
Da der Umfang des Fernsehprogramms stetig anstieg, wuchs zugleich der Bedarf an Köpfen, mit denen man die hinzugekommenen Sendeminuten füllen konnte. Um diese Lücke zu schließen, erhielt Peter Frankenfeld im Jahr 1958 für sein nächstes Projekt den offiziellen Auftrag, wieder unverbrauchte Talente zu entdecken, die sich aber diesmal für eine Weiterverwendung im Fernsehen eignen sollten. Entsprechend trug seine Show "Toi, Toi, Toi" den verheißungsvollen Untertitel "Der erste Schritt ins Rampenlicht". Später wurde er sogar erweitert auf: "Der erste Schritt ins Rampenlicht des Fernsehens". Zu diesem Zweck stellte Frankenfeld den siegreichen Personen den Abschluss eines Platten-Vertrags mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk (Abteilung Fernsehen) in Aussicht. Die Stoßrichtung war klar. Es winkte die große Fernsehkarriere.
Dieses Angebot berührte offenbar die Sehnsucht des Publikums, da innerhalb weniger Wochen in der Redaktion Zehntausende Zuschriften von Menschen eingingen, die von Frankenfeld fürs Fernsehen entdeckt werden wollten. Darunter waren Bewerbungen fürs Singen, Tanzen, Schauspielen, Scherzen, Turnen, Jodeln oder Pfeifen. Allein oder in Gruppen.
Im Vergleich zu den anfänglichen Talentproben auf den Funkausstellungen geriet "Toi, Toi, Toi" deutlich größer, aufwendiger und länger. Die Laufzeit wurde auf rund anderthalb Stunden erhöht und ein Tanzorchester als Begleitung für die Musikschaffenden engagiert. Außerdem reiste Frankenfeld mit seiner Produktion nun umher und gastierte in den großen Hallen oder Festsälen des Landes. Darüber hinaus entschied erstmals eine dreiköpfige Expertenjury über die Qualität der Darbietungen, indem sie Punkte vergab und auf großen Tafeln hochhielt. Zusätzlich stimmten Zuschauenden vor Ort per Applaus ab, dessen Lautstärke zum ersten Mal mit einem elektronischen Schallpegel-Messgerät exakt bestimmt werden konnte. Es ging ja um was. Die Wertungen der Jury wurden mit dem Votum des anwesenden Publikums zusammengerechnet und auf diese Weise die Gewinner oder Gewinnerinnen ermittelt.
"Toi, Toi, Toi" blieb bis 1961 am Samstagnachmittag auf Sendung, bevor Frankenfeld ins ZDF wechselte und dort unter dem Titel "Und Ihr Steckenpferd?" seine dritte und letzte Talentsuche präsentierte.
"Herzklopfen kostenlos" – Ulbricht sucht den Superstar
Eine vergleichbare Bedeutung wie Peter Frankenfeld für das westdeutsche Fernsehen hatte Heinz Quermann für den Deutschen Fernsehfunk der DDR. Er galt dort ebenso als ein Garant für leichte Unterhaltung und erreichte als der größte TV-Star des Landes ähnliche Bekanntheits- und Beliebtheitswerte. Seine Shows "Da lacht der Bär" und die "Schlagerrevue" waren verlässliche Publikumslieblinge und sogar Walter Ulbricht galt als ein Bewunderer von ihm.
So kam es, dass er Quermann als Gesicht für eines seiner politischen Vorhaben auswählte. Angesichts eines Mangels an einheimischen-sozialistischen Bühnen- und Unterhaltungskünstler:innen hatte Ulbricht nämlich am 24. April 1959 im Rahmen einer Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlags im Chemiekombinat Bitterfeld angekündigt, das künstlerische Volksschaffen stärker zu fördern. Dafür wollte man die Werktätigen der DDR ermutigen, selbst zu Kulturschaffenden zu werden, die allerdings fest in die sozialistische Planwirtschaft einzubinden waren. Der sogenannte "Bitterfelder Weg" legte den Grundstein für eine beispiellose Talentsuche, in der bald der gesamte Staatsapparat involviert war. Und Quermann wurde auf Ulbrichts ausdrücklichen Wunsch zum Botschafter des Vorhabens.
Im Zentrum stand dabei die Fernsehshow "Herzklopfen kostenlos", in der Quermann unentdeckte Talente auf einer großen Bühne vorstellte. Ähnlich wie bei Frankenfeld wurde im sozialistischen Rundfunk von Laienkünstlern gesungen, gescherzt, rezitiert oder gespielt. Die Parallelen zu Frankenfelds Talentproben waren nicht zufällig, denn Quermann ließ sich tatsächlich von "Wer will, der kann" inspirieren. Zuerst adaptierte er das Konzept als Live-Bühnenshow, bevor diese dank Ulbrichts staatlichem Auftrag ins Fernsehen gelangte.
Von wechselnden Veranstaltungsorten lockte die Live-Aufführung am Sonntagvormittag ein großes Publikum an und wuchs im Laufe der Zeit zu einer festen Institution im ostdeutschen Programm heran. So auch für den ehemaligen Teilnehmer Ekkehard Göpelt, der gegenüber dem MDR ihre Faszination beschrieb: "Es war interessant, weil aus Werktätigen plötzlich Stars wurden, die auf der Bühne standen und tolle Darbietungen brachten."
Um all die benötigten Talente in der Arbeiterklasse ausfindig zu machen, suchten sogenannte "hauptamtliche Kulturarbeiter" in allen Bezirken und Kreisen der DDR nach geeigneten Kandidat:innen, die danach zu staatsdienenden Kulturschaffenden werden konnten. Die Bereitschaft und der Wunsch, bei Quermann aufzutreten, war riesig. In den Kreisausscheiden, die unter dem Titel "Treffen junger Talente" in Waren- oder Volkshäusern regelmäßig durchgeführt wurden, bewarben sich in jeder Veranstaltung bis zu 250 Personen. Aus ihnen stellten die anwesenden Vertreter von FDJ, Kulturbehörden und dem FDGB eine Vorauswahl für die jeweiligen Bezirksausscheide zusammen. Wer sich dort durchsetzte, kam auf die Fernsehbühne. Mit seinem Team fuhr Quermann ebenfalls umher, um an einigen der Vorrunden teilzunehmen. Heute würde man diesen Prozess wohl ein "Casting" nennen.
Diese riesige Maschinerie lief bis zum Jahr 1973. Kurz nach der Entmachtung von Ulbricht verschwand "Herzklopfen kostenlos" vom Bildschirm und wurde durch eine Abwandlung ersetzt. Quermann, der im Fernsehen aktiv und der größte Stern der Republik blieb, setzte die Show kurzerhand als Bühnenveranstaltung ohne TV-Ausstrahlung fort. In dieser Form gibt es sie bis heute, denn weiterhin können sich auf dem Marktplatz in Pößneck jedes Jahr unentdeckte Talente vorstellen. Die Veranstaltung, die viel von ihrer (N)Ostalgie lebt, lockt jedes Mal rund 2.000 Interessierte an und feiert sich selbst als "dienstälteste Talente-Show der Welt".
Das große Erbe von Frankenfeld und Quermann
Aktuelle Castingshows wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Germany’s Next Topmodel" bestehen im Kern aus der Durchführung einer öffentlichen Auswahl von unbekannten Kandidat:innen, die vor einer (Experten-)Jury ihre Talente präsentieren, um ein in Aussicht gestelltes Karriereversprechen einlösen zu können. Damit stehen diese heutigen Varianten zweifelsfrei in der Tradition der Talentshows von Frankenfeld und Quermann. Ihre ursprünglichen Ansätze haben sich im Laufe der Zeit nur stark ausdifferenziert, sodass seitdem Sänger und Sängerinnen, Musicaldarsteller:innen, Tänzer:innen, Schauspieler:innen, Komiker:innen und Models in eigenen Reihen gesucht wurden. Zudem brachte das Genre speziellere Varianten hervor, die beispielsweise zukünftige Politiker:innen, Friseur:innen, Mentalist:innen, Pornodarsteller:innen oder Sommermädchen entdecken wollten. Was auch immer ein Sommermädchen eigentlich sein sollte.
Die Suche nach Talenten ist folglich fast so alt wie das Fernsehen selbst und eng mit dessen Verbreitung und Durchsetzung als Massenmedium verbunden. Die frühen Talentshows lieferten den Anstalten nicht bloß ihre dringend benötigten Programmgesichter. Sie waren zugleich mit größeren staatlichen oder halbstaatlichen Zielen belegt, – sei es mit dem Aufbau einer sozialistischen Kulturlandschaft oder dem Vorantreiben des Verkaufs von Fernsehgeräten, um die Daseinsberechtigung eines Fernsehprogramms überhaupt begründen zu können. Eines steht fest, Talent- und Castingshows leisteten einen zentralen fernsehhistorischen Beitrag. Das deutsche Fernsehen in Ost und West wäre ohne sie sicher ein anderes - wenn es dieses überhaupt noch geben würde.
Peter Frankenfeld hat das deutsche Fernsehen zweifelsfrei nachhaltig geprägt. Nicht nur, weil er die Talentsuche etabliert hat. In seiner Spielshow "1:0 für Sie" erfand er quasi nebenbei auch die Fernsehlotterie. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.