Diese Telegeschichte beginnt am 6. März 2000 mit einer Pressemeldung. Sie wird durch die DPA verbreitet und von vielen Zeitungen aufgegriffen. Der Sender RTL kündigt darin an, ab dem kommenden Jahr eine neue tägliche Serie mit dem Titel „Licht und Schatten“ zeigen zu wollen. Sie soll in Hamburg spielen und von den drei Familien Peters, Döring und Gassmann sowie von einer jungen WG handeln, deren Schicksale eng miteinander verknüpft sind. Für RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler ist die Elbmetropole der perfekte Produktionsstandort. Keine andere Stadt vereine so viele verschiedene Gesichter, erklärt er: „In Hamburg verschmelzen Reich und Arm, Mittelschicht und Halbwelt zu einem Mikrokosmos.“ Dort sollen zunächst 230 Episoden entstehen, die bei Erfolg theoretisch endlos aufgestockt werden können.
Das Genre der Daily Soap ist um die Jahrtausendwende dank vier laufender Exemplare im deutschen Fernsehen längst fest etabliert. Durch ihre industrielle Herstellungsweise und ihre treuen Fans sind sie profitable und verlässliche Säulen der Kanäle. Allein „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ soll nach Schätzungen in den zurückliegenden 2.000 Ausgaben einen Gesamtbetrag von rund drei Milliarden DM umgesetzt haben. Daraus habe man einzig im zurückliegenden Jahr einen Reingewinn von 160 Millionen DM schöpfen können. Das entspräche etwa der Hälfte des Gesamterlöses des Kanals. Insofern ist die Idee, nach „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und „Unter uns“ eine dritte Variante zu installieren, durchaus nachvollziehbar. Allerdings ist nach den Misserfolgen von „So ist das Leben – Die Wagenfelds“, „Geliebte Schwestern“, „Alle zusammen – jeder für sich!“ und jüngst „Mallorca – Suche nach dem Paradies“ ebenso klar: Die Einführung einer neuen Soap ist riskant und alles andere als ein Selbstläufer.
Neues Jahrtausend, neues Programm
Auf der Telemesse im August 2000 in Düsseldorf bestätigte Gerhard Zeiler die Pläne für eine neue Serie offiziell und offenbarte, dass sie Teil einer neugestalteten Daytime werden sollte. Zwischen 10.00 und 17.00 Uhr konkurrierten nämlich im deutschen Fernsehen mittlerweile 13 Daily Talks um die Neugier des Publikums, was zu einer deutlichen Übersättigung des Marktes und einem allgemeinen Rückgang des Interesses am Genre führte. Das spürte RTL besonders stark, da dort mit „Sabrina“, „Birte Karalus“, „Bärbel Schäfer“, „Hans Meiser“ und der „Oliver Geissen Show“ gleich fünf Varianten das Tagesprogramm dominierten. Für Zeiler war daher klar: „Tagsüber erwarten sich die in erster Linie weiblichen Zuschauer neue Formate.“
Konkret bedeutete das, dass man die Anzahl der Daily Talks von fünf auf drei reduzieren werde. Einen der freigewordenen Sendeplätze wollte man dann mit der neuen Serie bestücken. Dafür aber konnte diese nicht die übliche Länge von einer halben Stunde haben. Die einzelnen Ausgaben mussten 60 Minuten dauern. „Eine einstündige Daily hat es im deutschen Fernsehen bisher noch nicht gegeben“, hob Zeiler bereits bei der ersten Vorstellung des Projekts hervor.
In den USA war dies mit Reihen wie „The Guiding Light“ („Springfield Story“), „General Hospital“, „As the World Turns“ („Jung und Leidenschaftlich – Wie das Leben so spielt“), „The Young and the Restless“ („Schatten der Leidenschaft“) oder „Days of Our Lives“ („Zeit der Sehnsucht“) längst üblich. Dort wurde die Laufzeit der täglichen Seifenopern bereits Ende der 1970er-Jahre auf 60 Minuten verdoppelt.
Vom anderen UFA
Überraschenderweise sollte die neue Serie nicht wie die beiden anderen RTL-Soaps von der Produktionsfirma Grundy-UFA hergestellt werden, sondern von Studio Hamburg. Entsprechend war als Drehort auch Hamburg vorgesehen und nicht Köln oder Berlin. Für die Realisation planten RTL und das Studio eigens eine neue gemeinschaftliche Firma zu gründen - die „Soap Factory“. Das war insofern überraschend, als dass Grundy-UFA und RTL durch ihren gemeinsamen Anteilseigner CLT eng verbunden waren und eine solche Zusammenarbeit als viel naheliegender galt. Bei der Studio Hamburg GmbH handelte es sich hingegen um eine Tochter des NDR und des Springer Verlags. Anfangs wurde über den Deal gemutmaßt, dass die Verantwortlichen von RTL nach den Rückschlägen von „Alle zusammen – jeder für sich!“ und „Mallorca – Suche nach dem Paradies“ das Vertrauen in die UFA verloren hatte. Tatsächlich spielten vor allem finanzielle Gründe eine zentrale Rolle, weil Studio Hamburg bereit war, für den neuen Auftrag in enorme Vorleistung zu gehen.
Nach Abschluss des zugehörigen Vertrags zeigte sich Studio-Hamburg-Chef Martin Willich euphorisch: „Die gesamte Studio-Hamburg-Gruppe und der Medienstandort Hamburg werden von diesem Projekt profitieren.“ Dies betraf nicht bloß wirtschaftliche Impulse. Zu erwarten war ebenso ein Imagegewinn für die Stadt Hamburg, wenn sie künftig im Fernsehen derart präsent sein würde. Deswegen meldete sich wenige Tage nach Bekanntwerden des neuen Großauftrags der Hamburger Wirtschaftssenator Thomas Mirow zu Wort: „Die Akquisition von ‚Licht und Schatten‘ stellt einen bedeutenden Erfolg für den Fernsehplatz Hamburg dar. Die Realisierung einer solchen Langzeitproduktion ist mit erheblichen Investitionen verbunden.“ Deshalb habe man frühzeitig zugesichert, das Studio „im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten bei der Umsetzung dieser Investitionen zu unterstützen.“
Das klang eigentlich hoffnungsvoll. Doch in Wahrheit waren die Möglichkeiten begrenzt, denn eine konkrete Auszahlung von Subventionen an einzelne TV-Produktionen war für die Hamburger Senatsverwaltung gar nicht zulässig. Anders ging es in Berlin oder Nordrhein-Westfalen zu, wo regelmäßig solche Förderungen ausgezahlt und dadurch erhebliche Standortvorteile geschaffen werden konnten. Schon lange hatte Martin Willich die Einführung von sogenannten „Feuerwehrfonds“ für die Film- und TV-Branche in Hamburg gefordert, um Großprojekten wie etwa einer neuen Daily Soap unter die Arme greifen zu können. Bislang hatte die Politik diese nicht realisiert. Und so musste Willich mitansehen, wie immer mehr Produktionen und Sender in andere Städte abwanderten.
Studio Hamburg baut an
Die Umzüge von Sat.1 und MTV nach Berlin und von Premiere nach München sowie die Auflösung der tm3-Sportredaktion sorgten dafür, dass Studio Hamburg um das Jahr 2000 Großaufträge im Umfang von über 30 Millionen Mark pro Jahr verloren gingen. Die Firma war also dringend auf Neuanwerbungen angewiesen, um weiterhin bestehen zu können.
Und die Herstellung einer langlebigen Endlosserie war ein Auftrag, der finanziell lukrativ war und das Studio dauerhaft stützen konnte. Schließlich musste für die einstündige Reihe jeden Tag sendefähiges Material im Umfang von 46 Minuten entstehen, was eine gewaltige Infrastruktur, große Flächen und ein Team von weit mehr als 100 Personen erforderte. Für diese Perspektive war man bereit, groß zu investieren - und zwar in ein neues Gebäude, das speziell auf den Soap-Betrieb zugeschnitten und hochmodern ausgestattet sein sollte. Dieses war tatsächlich ein entscheidender Faktor, weswegen sich RTL für Hamburg entschied, obwohl das Land Nordrhein-Westfalen Zuschüsse in Höhe von 2,5 Millionen DM in Aussicht gestellt haben soll.
Auf dem Gelände in Wandsbek wollte man für Kulissen, Technik, Produktionsbüros, Garderoben, Masken, Aufenthaltsräume und weitere Gewerke insgesamt eine Fläche von rund 4.500 Quadratmeter zur Verfügung stellen. Davon entfiel etwa ein Drittel auf die eigentlichen Studioflächen. Um für einen reibungslosen Ablauf alle Bereiche nah beieinander unterbringen zu können, ließ man extra einen neuen Gebäudekomplex auf dem Gelände errichten. Zunächst wurde dafür die ehemalige Malerei abgerissen, anschließend erhielt die angrenzende Halle A2 einen vierstöckigen Anbau. Insgesamt verschlangen die Umbauarbeiten rund 16 Millionen Mark, die das Unternehmen mangels öffentlicher Förderung allein stemmen musste.
Das neue Atelier war in nur vier Monaten fertiggestellt, sodass Willich bereits Ende November 2000 einige Presseleute zu einem Rundgang durch die Räume einladen konnte. Dabei kündigte er die Aufnahme der Dreharbeiten für den kommenden Juli und einen Beginn der Ausstrahlungen im Herbst an.
Mehr Schatten als Licht
Am 20. März 2001 folgte jedoch die Ernüchterung. RTL und das Studio teilten mit, dass man sich gemeinsam entschlossen habe, den Start von „Licht und Schatten“ auf unbestimmte Zeit zu verschieben. „Das Klima für eine Soap ist derzeit nicht so richtig günstig“, begründete eine RTL-Sprecherin damals die Entscheidung.
Gemeint waren zwei parallele Entwicklungen: Zum einen den Rückgang an Werbebuchungen. Dies lag weniger an der Schwäche der Sendungen von RTL. Mit „Big Brother“ und „Wer wird Millionär?“ hatte der Konzern ja die beiden größten Quoten-Hits der damaligen Zeit im Programm. Vielmehr betraf die Flaute die gesamte Medienbranche – unabhängig von Sendern oder einzelnen Formaten. Während die Auftragsvolumen im Jahr zuvor noch um satte 15 Prozent gestiegen waren und mit einem Gesamtumsatz von 23,9 Milliarden DM auf einem Rekordniveau lagen, fielen die Prognosen für das Jahr 2001 mit einem Wachstum von lediglich sechs Prozent deutlich verhaltener aus. Die Ursachen lagen in vielen Neugründungen, Börsengängen und Fusionen, die in den vergangenen Monaten mit riesigen Werbeschlachten begleitet worden waren und deren Kosten es nun wieder zu erwirtschaften galt. Zugleich machte vielen Firmen der Zusammenbruch des Neuen Marktes und der New Economy zu schaffen.
Dazu kam, dass die bestehenden Daily Soaps mit einem nachlassenden Interesse zu kämpfen hatten. So sank beispielsweise der durchschnittliche Marktanteil von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ in der werberelevanten Zielgruppe innerhalb eines Jahres um etwa vier Prozent. Ironischerweise war diese Abkehr hausgemacht, denn die täglichen Serien hatten am Vorabend mit der Konkurrenz der neuen Quizshows zu kämpfen. Eine Konkurrenz, die RTL mit seinem Hit „Wer wird Millionär?“ überhaupt erst hervorgezaubert hatte. Zugleich löste der Start von „Big Brother“ ein Begehren nach vermeintlich echten Menschen und ungestellten Situationen aus. Fiktionale Handlungen, in denen professionelle Schauspieler erfundene Charaktere mit vorgeschriebenen Dialogen darstellten, wirkten plötzlich wenig spannend.
Gerhard Zeiler versicherte jedoch, dass man an dem Vorhaben, eine einstündige Seifenoper in Hamburg umsetzen zu wollen, festhalten werde: „Die Schwierigkeiten, die wir bei den Daily Soaps hatten, standen in Zusammenhang mit dem Boom der Real-Life-Shows. Und aus diesem klimatischen Tal müssen wir erst wieder herauskommen.“
Dazu sollte es nie kommen. Auf der Telemesse rund ein halbes Jahr später war von dem einstigen Prestige-Projekt schon keine Rede mehr. Auch danach fand sie kaum noch irgendwo eine Erwähnung, sodass der Plan irgendwann still und heimlich begraben wurde. In das neue Atelier auf dem Gelände von Studio Hamburg zog indessen die „Sesamstraße“ ein.
Trotz der Verschiebung von „Licht und Schatten“ war sich Zeiler damals sicher, dass „wir in wenigen Jahren statt zwei dann drei tägliche Serien haben werden.“ Wenigstens mit dieser Prophezeiung sollte er recht behalten. Im Jahr 2006 nahm RTL mit „Alles was zählt“ seine dritte Soap ins Programm auf. Mit „Licht und Schatten“ hatte diese aber nichts zu tun. Sie kam dann wieder von der UFA und entstand in Köln-Ossendorf. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.