Herr Bartl, drei Wochen „Love Island“ sind anscheinend nicht genug. Diesmal also vier?
Genau, wie DWDL bereits ganz richtig geschrieben hat. Und 2020 werden es fünf und so weiter. (lacht) Nein, im Ernst: Wir freuen uns, dass wir mit „Love Island“ ein Leuchtturmformat mit Eventcharakter im Programm haben, mit einer großen und wachsenden Fanbasis, die sich auf den Start im Spätsommer freut. Und die Show hat außerdem Modellcharakter für die Art medienübergreifendes Erzählen, die das Fernsehen der Zukunft ausmacht.
Wird „Love Island“ wieder Ihr Startschuss in die neue TV-Saison?
Ja. Es ist absolut wichtig, am Ende des Sommers einen Aufschlag zu machen, der RTL II insgesamt im Markt Momentum verleiht. Und es passt auch in die Stimmung der Zuschauer, die so ein bisschen ihr Urlaubs-Feeling verlängern können.
Dem Erfolg von „Love Island“ folgten diverse Nachahmer, auch bei TVNOW. Ist noch Platz im Markt oder macht das Überangebot das Genre kaputt?
Nachahmer sind das beste Kompliment für uns. „Love Island“ ist eine internationale Marke und durch uns nun auch in Deutschland fest etabliert. Das hat auch der Werbemarkt registriert, das Interesse der Kunden an dem Format steigt mit jedem Jahr an.
Reality TV galt immer schon als Zuschauermagnet, aber der Werbemarkt war früher skeptisch. Jetzt erleben wir die Renaissance dieses Genres. Hat sich die Haltung des Werbemarktes geändert?
Ja, das spüren wir auch. Abgesehen davon, dass der Werbemarkt High-End-Fiction bei Netflix oder Amazon nicht buchen kann, suchen die Zuschauer wieder mehr nach Inhalten, in denen sie sich und ihr Land wiedererkennen. Local Content hat eine hohe Relevanz für die Menschen, auch emotional. Das sehen auch die Werbekunden und gehen beispielsweise zunehmend auch in unsere Sozialreportagen rein. Auch unsere Wettbewerber versuchen jetzt verstärkt, sich mit lokalen Eigenproduktionen von den global Playern abzuheben. Das ist bei RTL II schon seit vielen Jahren Markenkern. Als deutschsprachiger Realitysender Nr. 1 sind wir da also sehr gut aufgestellt.
Vorsicht, wild! Andreas Bartl auf der Screenforce-Bühne in Köln.
Wie schon im vergangenen Jahr betonen Sie bei den Screenforce Days die Bandbreite des Senders zwischen Party und guter Laune auf der einen und Sozial-Dokumentationen auf der anderen Seite. Das bleibt so?
Das bleibt so, wobei die Spannbreite größer ist, als es in der Frage klingt. Wir arbeiten mit vier zentralen Programmsäulen: Sozial-Dokumentationen und andere journalistische Formate, Reality-Entertainment – wozu auch „Love Island“ gehört –, Soaps und Scripted Reality, sowie Promi-Dokusoaps.
Welche neuen Formate plant RTL II denn in der kommenden Saison konkret?
Im Bereich Reality-Entertainment planen wir mehrere Neustarts, die die Themen Beziehung, Flirt und Aussehen aufbereiten. „Einfach Hairlich“ ist ein wirklich schönes Format, für das wir noch viel Potenzial sehen. Dann pilotieren wir „Team Beauty“: Das ist ein Team aus Friseurmeistern, Kosmetikern und einem plastischen Chirurgen, die es mit jedem Schönheitsproblem aufnehmen. Gespannt sind wir auch auf „Celebs Go Dating“, ein weiteres britisches Format: Promis auf Partnersuche werden an attraktive nicht-prominente Singles vermittelt. Im Doku-Bereich setzen wir natürlich „Armes Deutschland“ und „Hartz und herzlich“ fort, ebenso „Abgestempelt!? - Armut in Deutschland“ mit Hans Sarpei, das wir im Herbst erfolgreich pilotiert haben. Dazu kommen weitere journalistische Formate zum Thema Armut, aber auch zu anderen sozialen Fragen. „Mensch Polizist – Mein Leben in Uniform“ hatte im April starke Quoten und kam auch bei der Polizei sehr gut an. Ich habe gehört, dass die Reportage sogar in der Ausbildung eingesetzt werden soll. Wir wollen dieses Format auf andere Berufsgruppen erweitern. Beeindruckend und sehr emotional ist auch „Raus mit der Sprache – Nie wieder stottern“. Hier werden Menschen mit diesem Problem gecoacht und sprechen in kurzer Zeit fließend. Diese Experten kommen aber nicht von uns, wir begleiten das nur mit der Kamera.
Lässt sich aus dem Genre der Sozial-Dokumentationen noch so viel machen? Sie werden schließlich bereits fleißig kopiert...
Und keine der Kopien hatte bisher vergleichbaren Erfolg. Das liegt an der Kontinuität, mit der wir diese Themen spielen, aber auch an der besonderen Haltung. Wir verzichten auf Experten, die über das Gezeigte sprechen und Distanz schaffen, sondern lassen die Betroffenen frei reden. Das ist fast wie direct cinema: Zeigen, was ist. In gleicher Weise wollen wir auch ein Schuldner-Format umsetzen.
Alle reden über Public Value. Würden Sie für RTL II reklamieren, dass der Sender auch Public Value liefert?
Auf jeden Fall. Was ist denn eigentlich Public Value? Das wird in der medienpolitischen Diskussion gerne sehr eng definiert, auch deshalb, weil mit diesem Anspruch gerade wieder für höhere TV-Gebühren lobbyiert wird. Unsere Doku-Reihen gelten in dieser Sichtweise als reine Unterhaltung. Das ist Unsinn, denn wer außer uns erreicht zur Primetime so viele Menschen mit gesellschaftlich-relevanten Themen, die bei den Öffentlich-Rechtlichen in Talkshows oder Reportagen nach 22 Uhr stattfinden? Und unsere journalistischen Formate produziert auch nicht irgendwer, sondern renommierte Partner wie die UFA, Good Times, Story House, Producers Room oder Spiegel TV. RTL II zeigt wirklich hervorragende Dokumentationen wie „Hartes Deutschland – Leben im Brennpunkt“, „Die Gruppe – Schrei nach Leben“ oder „Voller Leben – Meine letzte Liste“. Dazu gibt es in unseren Daily Soaps immer wieder Handlungsstränge zu Problemen wie Drogen, sexuelle Gewalt oder Mobbing, inklusive Kooperationen mit dazu passenden Hilfsorganisationen. Ja, wir leisten Public Value.
Würden Sie dann auch gerne Gelder aus dem Rundfunkbeitrag haben?
Nein, das duale System ist gut, wie es ist. Ich will jetzt auch nicht RTL II zum neuen arte erheben. Aber ich würde mir wünschen, dass einige in ihren Elfenbeintürmen mal aus dem Fenster schauen und sehen, welche Vielfalt und Qualität auch die Privatsender bieten. Das gibt es in kaum einem anderen Land.
RTL-II-Chef Andreas Bartl und DWDL.de-Chefredakteur Thomas Lückerath.
Ihre Nachrichten haben Sie jedoch zusammengespart. Die störten so prominent und kostspielig um 20 Uhr?
Wirtschaftliche Überlegungen spielen bei einem Privatsender immer eine Rolle. Fakt ist: Wir senden auch weiterhin ausgezeichnete Nachrichten speziell für die junge Zielgruppe. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was infoNetwork in Köln für uns produziert.
Bleiben wir am Vorabend: Welche Baustellen bzw. Aufgaben gibt es hier?
Unser Fokus liegt auf dem 17-Uhr-Sendeplatz. Das Sehverhalten sehr junger Zielgruppen ist besonders volatil. Aber: Geduld und langfristige Formatpflege werden belohnt. Das haben wir bei „Köln 50667“ und „Berlin – Tag & Nacht“ gelernt, und das bestätigt sich jetzt mit „Krass Schule“: Die Daily Soap ist regelmäßig unser erfolgreichstes Format bei TVNOW und stabilisiert sich auch linear. Im September startet eine neue Staffel.
Klingt immer noch einfacher als ein Konzept für die Daytime zu entwickeln. Was plant RTL II dort?
In der Daytime wollen wir kurz- bis mittelfristig den Audience Flow mit angepassten Primetime-Inhalten optimieren, und wir fahren weitere Tests.
Gehen wir nochmal in die Primetime: Seit Jahren probiert es RTL II immer mal wieder mit „Young Fiction“ zur besten Sendezeit. Hat nie so richtig funktioniert. Lohnt es sich für Sie, da dran zu bleiben?
Wir halten an dem Ziel fest, auch in der Primetime Angebote für ein junges Publikum zu machen. So schnell geben wir nicht auf (lacht). Im Sommer startet „Falkenberg“, und die zweite Staffel von „Wir sind jetzt“ ist bestellt – wieder mit der großartigen Lisa-Marie Koroll in der Hauptrolle. Nächstes Jahr haben wir dann „Crews and Gangs“ im Programm. Da geht es um Straßentanz und rivalisierende Dance Crews in Berlin. Dazu die ganzen jungen Themen wie erste Liebe, Probleme mit Eltern und Schule, Intrigen und Verrat – alles sehr authentisch inszeniert. Die Hauptdarsteller sind alle gelernte Tänzer. Die Serie wird von Ninety-Minute Film produziert und passt sehr gut zu RTL II. Ich freue mich drauf.
Wie steht es generell um die Struktur der Primetime? Ändert sich da was?
Die Abende bei RTL II sind thematisch klar gegliedert: montags Promi-Doku-Soaps und neue Entertainment-Formate, dienstags die Themenfarbe „Armut“, am Mittwoch Familien- und Kinder-Formate. Hier gibt es Highlights wie ein Special der „Wollnys“ und den Neustart „Schnuller-Alarm“, in dem wir den freudigen Wahnsinn der ersten Tage daheim mit Baby festhalten – mit fest installierten Kameras. Als nächstes geben wir dem Donnerstag ein klareres Profil: Milieus und Menschen mit ihren Geschichten sind hier die inhaltliche Klammer. Die Dokus „Reeperbahn Privat“, „Hartes Deutschland“, „Mensch Polizist“ und „Dickes Deutschland“ haben dafür den Grundstein gelegt.
Für die mitlesenden Produzenten: In welchem Genre bzw. für welchen Sendeplatz würden Sie sich mehr Ideen und Vorschläge wünschen?
Für alle (lacht). Ich bin sicher, unsere Produktionspartner wissen sehr gut, wohin wir wollen. Aber eins will ich noch ergänzen, weil es die Art und Weise, wie wir bislang Fernsehen gedacht haben, stark verändert: Alle Contents sind Bausteine unserer Multi-Channel-Strategie. Das ist für uns enorm wichtig. Unsere Abrufzahlen bei TVNOW entwickeln sich sehr positiv. Das liegt auch an YouTube. Dort hatten wir in den vergangenen anderthalb Jahren ein massives Wachstum und sind auf der Plattform jetzt zweitgrößter deutscher Content-Owner mit TV-Senderbezug. Junge Zielgruppen entdecken unsere Inhalte online in kurzen Clips und schauen dann ganze Episoden bei TVNOW oder linear. Die Reichweiten, die wir auf YouTube oder anderen Social Media erzielen, sollen also am Ende immer unsere eigenen Plattformen stärken: lineares TV und TVNOW. Bei „Krass Schule“ oder „Wir sind jetzt“ funktioniert das schon sehr gut.
Zuletzt hat Sie RTL II eine ganze Reihe britischer Formate gesichert, Sie sprachen eben von weiteren. Was macht britische Ideen oftmals besser?
Erwischt! Gerade haben wir uns ein weiteres gesichert: „Shipwrecked“. Wenn es etwas gibt, das britische Formate auszeichnet, dann ist es positives Klassenbewusstsein. Massenunterhaltung ist für die TV-Macher auf der Insel nichts Anrüchiges. Und für uns erst Recht nicht.
Zum Abschluss noch: Wie steht es um das Thema Musik bei RTL II?
Musik bleibt eine wichtige Programmfarbe bei RTL II und ist ebenfalls ein Teil des Multi-Channel-Marketings. Mit El Cartel Music haben wir seit 2018 ein eigenes Label, auf dem schon einige Hits erschienen sind – mit Sendergesichtern wie Sarah und Pietro Lombardi, Eule und Carolina, aber auch Künstlern wie NKSN. Im Programm haben wir wie erwähnt „Crews and Gangs“. Die Dokus über „Pop Giganten“ sind ein kleines Juwel mit tollen Quoten. Und ja, auch „The Dome“ geht weiter. Das lag 2018 deutlich über Sendeplatzschnitt und war bei YouTube und in den Social Media ein großer Erfolg.
Herr Bartl, herzlichen Dank für das Gespräch.