Der Name von Andreas Donat und Giuseppe Gennaro taucht in keinem Abspann auf. Für sie wurde bisher auch nie der Rote Teppich ausgerollt, ganz im Unterschied zu jenen Menschen, die sie fürs Fernsehen und für die Werbung entdeckt haben. Die Schrillsten und Lautesten haben sie in der Kartei ihrer Casting-Agentur FameOnMe. Aber sie selbst sind es nicht, schrill und laut und fame. Sie sind der leise und doch so wichtige Partner im Hintergrund von TV-Shows und Reklamespots.

Und sie sind, das sagen Donat und Gennaro von sich selbst, „vermutlich die letzten unserer Art“.

Warum das so ist, hat viel damit zu tun, dass in den letzten Jahren viele unabhängige Produktionsfirmen aufgekauft und in Konzernen verankert wurden. Diese haben meistens eine eigene Casting-Abteilung, um ihre Unterhaltungssendungen mit kameratauglichem Personal zu bestücken. Der Markt für externe Dienstleister wie FameOnMe wird also kleiner.

Aber hey, mehr als 17 Jahre Erfahrung im frische Gesichter und starke Charaktere Suchen, das macht diesen beiden untrennbaren last men standing niemand so leicht nach. Sie haben, um ein Lieblingswort von Giuseppe Gennaro zu verwenden, einfach den „Wahnsinn“ in sich und das von Firmengründung an. Denn TV-Casting war noch nie ein Bereich, in dem sich schnell Geld verdienen lässt. Es ist ein sehr spezieller Markt, der von Kontakten lebt, von Leidenschaft und Erfahrung und natürlich auch von Geduld, um Durststrecken im extrem kurvenreichen Business zu überwinden.

Wer mit Donat und Gennaro spricht, merkt schnell: All das ist bei diesen beiden Casting-Spezialisten vorhanden. All das hält ihre Firma mit Hauptsitz in Köln am Leben. Eine Insolvenz, wie sie 2016 der einstige Platzhirsch im TV-Casting-Gewerbe, Mediabolo, ereilte, blieb FameOnMe erspart.

Wie sie es schaffen, das Überleben in einer Fernsehbranche, die sich einerseits immer mehr in Richtung Streaming bewegt und die andererseits in Sachen innovativer Unterhaltung auf der Stelle tritt? Wo nehmen sie ihren „Wahnsinn“ her, wo hat er seinen Ursprung?

Kaum einer hat mehr Liebesschwüre gehört als Andreas Donat

Die kurze Antwort lautet: bei Kai Pflaume. Die long story, von der die beiden lebhaft erzählen, der eine im Homeoffice in Lüdenscheid sitzend, der andere in seiner Kölner Küche, beginnt Ende der 1990er.

Kai Pflaumes Tränendrüsendrückershow „Nur die Liebe zählt“ bei Sat.1 war zu jener Zeit der Renner im TV. Auch in Lüdenscheid lief sonntags der Fernseher. Andreas Donat, damals gelangweilter Schüler kurz vorm Abitur, schaute gebannt zu. Nicht weil er unter Liebeskummer litt und selber Kandidat werden wollte in diesem Verzeih-mir-und-find-mich-Dramolett. Ihn interessierte das Drumherum. Freitags nach der Schule machte er sich aus der sauerländischen Provinz auf in die Großstadt Köln, um bei der Aufzeichnung hinter die Kulissen zu schauen.

An Zuschauerkarten heranzukommen war Donat zufolge fast ein Ding der Unmöglichkeit: „Man muss sich das mal vorstellen: Es gab zwei Jahre Wartelisten! Wenn man eine andere Show von John de Mol in Holland besucht hatte, ging es, quasi zur Belohnung, schneller mit den Tickets.“ Seine ersten Karten für „Nur die Liebe zählt“ bekam er, weil er zuvor nach Hilversum zur ebenfalls von Kai Pflaume moderierten „Glücksspirale“ gefahren war. Nebenbei richtete er eine Kai-Pflaume-Fan-Website ein (die leider im Netz verschollen ist) und sicherte sich, jung und naiv wie er war, die Domain kaipflaume.de.

Da wurde natürlich Pflaumes Manager Armin Hupp aufmerksam. Doch statt einer bösen Abmahnung wegen der Namensrechte gab es einen freundlichen Erstkontakt und daraus folgend wöchentlich (!) Zutritt zum TV-Studio, inkl. Aftershow-Partys mit Cocktails unter Palmen – auch das heute: nicht mehr vorstellbar. Wohl kaum einer habe jede Woche so viele Liebessongs und Liebesschwüre gehört wie er, lacht Donat, „außer natürlich Kai und das Team selbst“.

Nach Abi und Abschluss zum Groß- und Außenhandelskaufmann sowie einem Praktikum bei „Wer wird Millionär?“ wurde die Donat-Pflaume-Connection sogar noch intensiver. Fünf Jahre arbeitete der Fernsehaficionado aus Lüdenscheid für Pflaumes Agentur Promikativ in Aschaffenburg, wo sich der Showstar selbst und andere prominente Werbeträger von seinem Schulfreund Andreas Böhling vermarkten ließ und Merchandising vertrieb. Der absolute Renner damals als Geschenk für den Valentinstag: eine Stoffmaus, der man Liebesnachrichten ins Ohr säuseln konnte.

Doch irgendwann waren diese Mäuse weniger nachgefragt, auch „Nur die Liebe zählt“ überschritt den Zenit. Und da kam Giuseppe Gennaro ins Spiel, der Kumpel von der gemeinsam besuchten Handelsschule.

Schon damals war Gennaro ganz hellhörig geworden, wenn Donat von den rauschenden Veranstaltungen mit Kai Pflaume erzählte. Er selbst schlug nach einem anschließenden Studium an der Westdeutschen Akademie für Kommunikation in Köln den Berufsweg in Richtung Werbung ein, betreute Kampagnen für Renault, die FIFA und die Sparkassen-Finanzgruppe. Als sie wieder einmal beisammensaßen, wurden sie sich relativ schnell einig: In der Datenbank, die Donat neben der Kai-Pflaume-Sache im Netz aufgebaut hatte, steckt Potenzial für mehr.

Aller Anfang ist schwer

Im September 2007 machten die beiden ernst: Mit einem Gründungszuschuss starteten sie das Wahnsinnsprojekt FameOnMe auf dem Dachboden von Donats Elternhaus und stellten es klugerweise gleich zweibeinig auf, indem sie auch Kunden in der Werbung in den Blick nahmen. Die (diversen) Ratiopharm-Zwillinge zum Beispiel sind eine Casting-Entdeckung von FameOnMe.

Dennoch verdiente die Agentur in den ersten Jahren fast kein Geld. Einerseits war die Skepsis bei den Produktionsfirmen anfangs groß: Ihr sitzt in Lüdenscheid, könnt Ihr das denn überhaupt, eine große Show betreuen? Andererseits waren Gennaro und Donat wählerisch, was etwa Dating- und Reality-Formate betraf. Sie checkten genau: Geht es nur darum, jemanden bloßzustellen oder nackt durch die Gegend zu rennen, ist das zwar nicht per se zu verurteilen, aber nicht das Format, was sie bedienen wollen. Die eine Zeitlang fast tägliche Anfrage für „Frauentausch“: abgebügelt.

Diesen Widrigkeiten nicht genug, wurden die Firmengründer Opfer von Kreditkartenbetrug (obwohl das Geschäftskonto sowieso fast leer war) und einem Hacker-Angriff. Auch wurden sie von einem Mitbewerber im Bereich Zuschauer-Vermittlung, in dem sie sich eine Zeitlang versuchten, vor Gericht gezerrt.

Trotzdem: Gennaro und Donat hielten durch, weil sie nie die Nerven verloren. Und weil sie das Vertrauen aufbauen konnten: Auf uns könnt Ihr Euch verlassen. Ob Models, Talents, Show-Kandidaten: Wir suchen für Euch die perfekte Besetzung. Wir beraten Euch. Und wenn’s sein muss, retten wir Eure Show/Eure Werbekampagne und sind ansprechbar zu jeder Tages- und Nachtzeit.

In einer Branche, in der so viel Unverbindlichkeit ist, zahlt sich so ein Versprechen aus. Von 2014 an lautete die zweite Firmenadresse der FameOnMe (neben dem Office in Lüdenscheid): Kranhaus Süd, Im Zollhafen 2, 50678 Köln.

Das noble Upgrade haben Gennaro und Donat nicht zuletzt Asita Rademacher zu verdanken. Die frühere Head of Casting von Eyeworks (heute WBITVP) wurde zu einer absoluten Fürsprecherin der Agentur-Neulinge und brachte sie bei jeder Gelegenheit fürs Casting ins Gespräch. Über Rademacher erhielten sie die Chance, Kandidaten für die Günther-Jauch-Show „500 – Die Quiz-Arena“ (RTL) zu casten. Das öffnete die Tür für weitere Quiz-Shows in der Primetime, etwa „Das Spiel beginnt“ mit Johannes B. Kerner im ZDF.

Quid pro quo: Aus Dankbarkeit ließen Gennaro und Donat ihre Karriere-Anschubserin auch nicht im Stich, als diese Unterstützung brauchte für das sehr spezielle Dating-Format „Adam sucht Eva – Gestrandet im Paradies“, das damals noch auf RTL lief. O-Ton nach der Produktion: „Ihr habt uns das Projekt gerettet!“ Auch wenn FameOnMe nur bei der ersten Staffel dabei war: Von da an wurde es machbarer, Menschen fürs Format zu finden.

Was zu der Frage führt: Wo findet man denn überhaupt diese Menschen, die bereit sind, sich für die berühmten Warhol’schen 15 Minuten Ruhm zu entblößen, egal ob auf einem Südsee-Atoll oder in einem Quiz?

Sie hätten sich halt über die Jahre ein großes Netzwerk und Partnerschaften aufgebaut, antwortet Gennaro. Und Donat ergänzt, dass er persönlich „fast in jedem Internetforum angemeldet“ sei. Werden Friseure gesucht (zum Beispiel für „Cut it – Die VorHAIR NachHAIR Show“, Sixx), klinkt er sich in der Friseurszene ein. Braucht ein Sender Goldgräber (zum Beispiel für „Goldrausch am Yukon“, DMAX – übrigens Gennaros absolutes Lieblingsprojekt wegen der außergewöhnlichen, echten Typen, die sich nie fürs Fernsehen beworben hätten), dann hat auch diese Community ihr eigenes Forum, wo sich Donat umschaut. Und er schaut auch immer wieder ins Ausland, was dort an Formaten läuft und vielleicht bald nach Deutschland kommt, sodass sie vorbereitet sind. „In unserem Business ist es wichtig, am Ball zu bleiben.“

Das A und O für uns ist: Hält sich diese Person an Regeln? Ist sie fleißig, ist sie pünktlich? Solche grundlegenden Dinge zählen.


250.000 Köpfe zählt die Datenbank, auf der der Erfolg der FameOnMe fußt. „Von der Aldi-Verkäuferin bis zum Professor Doktor ist bei uns alles vertreten“, sagt Gennaro und erklärt auch gleich, wer aufgenommen wird: „Erstmal nehmen wir alle.“ Dann folgt das große Aber:

„Es kann jemand wundervoll aussehen, wie ein Topmodel, großartig. Aber wenn Starallüren da sind, dann sind wir nicht die richtigen Ansprechpartner.“ Natürlich sei eine starke Persönlichkeit per se interessant und besondere Merkmale wie eine Beinprothese oder die Weißfleckenkrankheit Vitiligo derzeit sehr im Trend ebenso wie People of Color. „Aber das A und O für uns ist: Hält sich diese Person an Regeln? Ist sie fleißig, ist sie pünktlich? Solche grundlegenden Dinge zählen.“ Dann macht FameOnMe vieles möglich.

Eine Garantie für Ruhm gibt es allerdings nicht, betont Andreas Donat: „Klar, die Leute bekommen durch uns, durch die Show, in der sie mitmachen, ihre 15 Minuten. Wir freuen uns auch mit, wenn jemand 100.000 Euro in einer Spielshow gewinnt. Ob derjenige danach berühmt ist, würde ich bezweifeln. Ich sehe uns eher als Eingangstür, durch die Ruhm zu dir kommen kann.“ Der weitere Weg hänge vom Projekt ab, von der eigenen Selbstwahrnehmung und Motivation.

Als unlängst eine von FameOnMe gecastete Kandidatin mit Beinprothese in der Sat.1-Show „99 – Wer schlägt sie alle“ Platz 40 schaffte, war also auch die Freude in der Agentur groß. Überhaupt, den Casting-Auftrag für eine Show mit 100 Kandidatinnen und Kandidaten zu bekommen, das klingt erst einmal wie ein Sechser im Lotto, oder etwa nicht?

Vor allem bei Neustarts gefragt

„99“, „1 % Quiz“ oder „The Floor“, das seien natürlich alles lukrative Projekte, die Arbeitsplätze sichern, stimmt Gennaro zu. Aber davon gebe es leider sehr wenige. Hinzukommt: „Wenn eine neue Show mal gut angelaufen ist, werden wir sukzessive immer weniger am Kuchen beteiligt.“ Sprich: Die Sender werden mit Bewerbungen zugeschüttet. Wozu dann noch einen externen Dienstleister beauftragen?

Zum Oktober haben Gennaro und Donat ihr Büro aus dem Kölner Kranhaus umgezogen auf die Shopping-Meile Hohe Straße, in direkte Nachbarschaft zur Produktionsfirma ProTV („Mitternachtsspitzen“). Der Service, die ständig steigende Miete, das stand einfach in keinem tragbaren Verhältnis mehr. Man kann den Umzug aber auch durchaus als Signal verstehen für die Krise, in der die Show-Branche in diesem verfluchten Jahr 2024 steckt.

Die Sender setzen bekanntlich auf bestehende Formate, es wird wenig Neues ausprobiert. Und wenn doch, es dann aber nicht von Anfang an knallt wie unlängst bei der von SEO Entertainment für ProSieben produzierten „Superduper-Show“, sind Innovationen schnell wieder weg. Das bekommt auch eine Casting-Agentur wie FameOnMe zu spüren. Sie hatte die Kinder für die Spielshow gecastet.

„Genau dieses Signal können wir gerade alle in der Branche nicht gebrauchen“, sagt Andreas Donat, „zumal das Format wirklich sauber und gut produziert war.“ Trotz einer, wie er findet, wirklich witzigen Idee, sei es meistens so: „Ein guter Cast führt nicht automatisch zu einer erfolgreichen Show.“ Möglicherweise sei der Sendetermin am Dienstagabend nicht optimal gewesen.

Was sich die Casting-Spezialisten für die Zukunft wünschen, ist wenig überraschend, weil sie wohl für die gesamte Branche sprechen: Dass mehr ausprobiert wird und nicht sofort nach der ersten Sendung aufgegeben wird. Und dass auch mal wieder Formate kommen, wo man über drei, vier Sendungen hinaus planen kann. Denn, sagt Gennaro: „Ein Thomas Gottschalk wäre nie groß geworden, wenn man ihm nicht die Zeit zum Wachsen gegeben hätte.“

Bei aller Tristesse (mit der wir in dieser „Nahaufnahme“ auf gar keinen Fall enden wollen) glaubt Gennaros Kompagnon: „Vorsichtige Zuversicht darf man haben.“ Im Ausland produzierten Netflix, Amazon und Disney+ bereits Reality- sowie Quiz- und Spielshowformate. Gut möglich, dass das auch hierzulande bald zunimmt.

Auch wenn sie zum Beispiel an Stefan Raabs neuer Sendung „Du gewinnst hier nicht die Million“ auf RTL+ nicht beteiligt sind, gibt ihnen beiden das Hoffnung: „Es gibt noch Sender, die in Shows investieren und mutig sind.“

Diese können sich sicher sein: Die FameOnMe steht parat. Leise, aber zuverlässig.