Als Jochen Laube und sein Team der Sommerhaus Filmproduktion im Dezember 2020 öffentlich machten, dass sie die Story der legendären Regentin Elisabeth von Österreich-Ungarn, besser bekannt unter dem Namen Sisi, als Serie für Netflix neu verfilmen, hagelte es vereinzelt entsetzte Stimme: Wie könnt ihr an dem Denkmal von Romy Schneider rütteln? Und überhaupt, wieso heißt eure Serie denn nicht Sisi? Drei Jahre später kann man festhalten: Alles richtig gemacht. „Die Kaiserin“ hat sich weltweit nicht nur an die Spitze der Netflix-Charts gespielt. Nach drei Deutschen Fernsehpreisen könnte Laube am kommenden Montag sogar einen International Emmy Award mit nach Hause nehmen.

Und das ist doch sehr erstaunlich.

An einem zu wenig an Sisi kann man sich hierzulande ja nun wirklich nicht beklagen. Die Sisi-Mania ist ausgebrochen! Allein drei neue Film-Sisis gab es in den letzten drei Jahren, darunter den Kinofilm „Sisi und ich“ und die RTL-Serie „Sisi“, die sich beim Deutschen Fernsehpreis der Netflix-Sisi geschlagen geben musste.

Wer braucht so viel Kaiserin? Und warum hat sich der Filmproduzent Jochen Laube überhaupt an diesen uralten Stoff rangemacht?

Wenn er seine Antworten auf diese und andere Fragen liest, wird Jochen Laube bereits in New York angekommen sein und zittern (nein, natürlich nicht wegen dieses Textes): Ob sich seine Sisi bei den International Emmys gegen „The Devil’s Hour” aus England oder „Extraordinary Attorney Woo“ aus Südkorea durchsetzen wird?

Es sind überhaupt gerade sehr aufregende Novembertage für ihn. War er am Tag vor unserem Gespräch noch in Prag, wo in den Barandov-Studios Teile der zweiten Staffel von „Die Kaiserin“ entstehen, muss er gleich noch ins Rathaus seiner Heimatstadt Ludwigburg eilen, um letzte organisatorische Dinge für das Event am Abend zu besprechen.

Eröffnet wird das von ihm mit aus der Taufe gehobene Filmfestival Lichtspielliebe. Die Schauspielerin Hannah Herzsprung hat sich angekündigt, auch Margarete von Trotta (die dann krankheitsbedingt kurzfristig absagte). Veranstaltungsort ist das Scala, der ehemalige Tanzsaal einer Brauerei. Laube, seit Teenagertagen Cineast – als Schüler verdiente er sich mit Kartenabreißen und Filmvorführungen im Scala Taschengeld dazu – stieg im vorigen Jahr als Mitgesellschafter ein. Nach seinen Erzählungen muss es ein prächtiges Haus sein. Roter Samt, Balkone. Also perfekt, um auch die eigenen Filme vorzuführen. Was er tatsächlich tut.

Zum Serienstart von „Die Kaiserin“ im September 2022 holte sich Jochen Laube von Netflix die Erlaubnis ein, die ersten drei Folgen auf der großen Leinwand zeigen zu dürfen. Die Hauptdarstellerin Devrim Lingnau reiste an mit ihrem Filmkaisergemahl Philip Froissant. Im Foyer des Scala waren Sisis Hochzeitskleid und Franz‘ Uniform auf Schaufensterpuppen ausgestellt. Das Haus war ausverkauft. Sisi sells. Nicht nur in Ludwigsburg.

"Ein großer Schock"

„Wir waren lange vor allen anderen Sisi dran“, beeilt sich Jochen Laube zu sagen, bevor man überhaupt fragen kann, was er von der RTL-Konkurrenz hält und warum er sich für Netflix als Partner entschied. Grundsätzlich, wird er später erklären, ist er „ein großer Fan von dem, was man sich bei RTL jetzt traut und was man RTL vorher nicht zugetraut hätte“. Die Schirach-Verfilmungen, die ausschließlich von Arthouse-Regisseuren gemacht wurden, zählt er als Beispiele auf, die er „großartig“ fand. Das habe er Fiction-Chef Hauke Bartel auch mehrmals so gesagt.

Jochen Laube links © Frank Stolle
Aber natürlich war es für ihn schon „ein großer Schock“, als die Kölner ebenso mit einer Sisi um die Ecke kamen und dann auch noch als Erste auf RTL+ streamten. Andererseits, fährt Laube fort, sei es eine „tolle Erfahrung“ gewesen, weil Netflix sofort gesagt habe: Wir machen weiter. Wir glauben an die Qualität der Bücher. Wir müssen uns nicht in ein Wettrennen begeben, um als erste ans Ziel zu kommen, sondern machen es in unserem eigenen Tempo, machen es gut und besonders.

„Das hat sich dann ja ausgezahlt“, resümiert Jochen Laube zufrieden, „in beide Richtungen. Beide Sisi-Projekte können hervorragend nebeneinander koexistieren.“

Welche der beiden Serien-Sisis die bessere ist? Da gehen die Kritiker- und Publikumsmeinungen auseinander (ein Vergleich findet sich z.B. hier auf DWDL.de). Der Ansatz für die Netflix-Sisi stand Jochen Laube zufolge fest, lange bevor sie sich überhaupt mit den anderen Projekten vergleichen konnten. Was sie wollten: Sisi als Familiengeschichte neu erzählen, „also Sisi auf Augenhöhe mit Franz, der Kaisermutter Sophie, dem Kaiserbruder Maximilian“. In der HBO-Serie „Succession“ fanden sie ein Vorbild: authentisch in der historischen Erzählung, aber durch Kostüm und Maske auch etwas Modernes mit einem Augenzwinkern.

Herauskam eine dramaturgisch, ästhetisch und atmosphärisch sehr heutige Erzählung, „als hätte Baz Luhrmann ,Babylon Berlin‘ 1854 reanimiert oder Wes Anderson Lady Di bei den ,Buddenbrooks‘“, wie mein DWDL.de-Kollege Jan Freitag treffend schrieb. Jochen Laube muss darüber schmunzeln. Und erzählt dann, wie seine Sommerhaus und Netflix zusammenkamen.

Bitte eine Frau, gerne was Historisches

Die Kurzfassung: Katie Eyssen, Showrunnerin bei „Die Kaiserin“, holte für ihr allererstes Netflix-Original „Zeit der Geheimnisse“ die Sommerhaus mit ins Boot. Bei Eva van Leeuwen, Director Series DACH, kam diese weihnachtliche Serie so gut an, dass sogleich die nächste Order folgte: Bitte eine Frau im Mittelpunkt, gerne was Historisches.

Was lag da näher als Sisi?

Dass „die Katie“ als geborene Starnbergerin einen „eigenen Bezug“ zur oft am Starnberger See sommerfrischelnden bayerischen Prinzessin Elisabeth mit einbringt, hebt Jochen Laube hervor. Aber auch ihm ist die Story ja nicht völlig fremd, nur weil er mit Bayern biografisch erst mal nix am Hut hat.

Bei Laubes daheim in Ludwigsburg lief es an Weihnachten nämlich nicht anders ab als in den meisten Familien: Mit der Oma wurden die alten „Sissi“-Filme mit Romy Schneider geschaut. Er habe das auch „wirklich gemocht“. Dementsprechend sei sein Respekt vor der Neuverfilmung groß gewesen. Nur, schränkt er lachend ein: „Wenn man ehrlich ist und sich die Filme aus rein künstlerischer Sicht heute noch einmal anschaut, muss man nicht fürchten, oh je, wird man jemals dieses Niveau erreichen? Das war eine andere Zeit und eine andere Erzählung mit viel Zuckerguss und einer unfassbaren Lieblichkeit und Naivität.“

Man darf also festhalten: Es war nicht die Romy-Schneider-Sissi, die ihn für den Beruf des Filmproduzenten entflammte, den er übrigens für „den besten Beruf der Welt“ hält.

Nach dem Abi dachte Jochen Laube eigentlich, ich bin der erste, der aus dieser barocken Kleinstadt nördlich von Stuttgart weg ist. Weil aber die baden-württembergische Landesregierung just vor seiner Haustüre 1991 eine Filmakademie eröffnete, blieb er dann doch haften. Er studierte in Ludwigsburg Filmproduktion, wurde parallel zum ersten und zum zweiten Mal Vater und wagte sich nach dem Abschluss mit 28 in die Selbstständigkeit.

Die von ihm gegründete Sommerhaus Filmproduktion war vom Start weg erfolgreich bei Preisjurys. Für den Dokumentarfilm „Sonbol“ über eine iranische Zahnärztin, die nebenbei Autorallyes fährt, gab es den Grimme-Preis und für Christian Schwochows Spielfilmdebüt „Novemberkind“ unter anderem den Publikumspreis beim Filmfestival Max Ophüls. „Alle dachten, Mensch, das läuft ja super“, erinnert sich Laube an diese Anfangsjahre als Produzent, „aber ich habe einfach kein Geld verdient.“

Retter in der Not wurde Nico Hofmann. Schon damals eine große Nummer als Regisseur und Produzent und nebenbei Prof an der Ludwigsburger Filmakademie, machte Nico Hofmann Jochen Laube 2008 das „fantastische Angebot“, in Ludwigsburg ein Büro der Ufa-Tochter Teamworx aufzumachen. Wirtschaftlich ging es endlich aufwärts, aber auch weiterhin künstlerisch. Gleich das erste für Teamworx realisierte Projekt, das Spielfilmdebüt „Das Lied in mir“ von jenem Florian Cossen, der übrigens später bei „Die Kaiserin“ Regie führen sollte, räumte Festivalpreise ab.

Zwei Jahre später, 2012, erklang das erste Mal in Laubes Leben der Lockruf New York, New York: Der ARD-Mehrteiler „Baron Münchhausen“ war für einen International Emmy nominiert. Als einfacher Teamworx-Mitarbeiter war ihm die Reise im Ufa-Tross an den Hudson allerdings nicht vergönnt. That’s life.

Nach einem Silbernen Bären für „Kreuzweg“ (über eine erzkonservative Priesterbruderschaft), einer Lola-Nominierung für „Wir sind jung. Wir sind stark“ (über die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen), einer Festival-Premiere des Dokumentarfilms „Eat That Question“ über Frank Zappa in Sundance sowie nach all den vielen Freiheiten und Möglichkeiten zum Austoben, für die Jochen Laube dem „Nico wahnsinnig dankbar“ ist, war für ihn der Punkt erreicht: Acht Jahre Teamworx sind genug. Auf zur Selbstständigkeit 2.0.

Mit der eigenen schlechten unternehmerischen Erfahrung im Rücken war ihm allerdings klar, dass wenn er diesen Schritt noch einmal wagt, er ihn erstens nicht alleine tut, sondern gemeinsam mit seinem Studienfreund und Teamworx-Kollegen Fabian Maubach, und zweitens mit einem Investor. Da kam dem Firmengründer in spe Jan Mojto in den Sinn.

Der einstige Kirch-Manager und einflussreiche Produzent und Rechtehändler hatte über die Beta Film „Baron Münchhausen“ in die Welt verkauft und war Laube zufolge ein großer Fan und Unterstützer der verfilmten Münchhausiade. Als er Mojto 2015 anrief und ihm die Idee präsentierte, als Investor einzusteigen, soll dieser keine Sekunde gezögert haben. Eine halbe Stunde später trafen sie sich auf der Berlinale. Wie Laube die Begegnung wiedergibt, klingt filmreif: „Wir schauten uns in die Augen, gaben uns die Hand. Damit war die Sache klar.“

Keine Einmischung

Mit 51 Prozent ist die Beta Film größter Anteilseigner der Sommerhaus Filmproduktion; Laube hält 34 Prozent, Maubach 15 Prozent. Im Frühjahr 2020 kam als 100-prozentige Tochterfirma die Sommerhaus Serien GmbH hinzu, um das Kinogeschäft („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, „Berlin Alexanderplatz“) nicht zu gefährden – wobei die Produktion von Serien ja durchaus vielversprechend angelaufen ist. „Die Kaiserin“, aber auch der Fußball-Thriller „Das Netz“ und zwei „Barcelona-Krimis“ für die ARD haben Laubes Firma auf inzwischen 17 Menschen anwachsen lassen, von denen ein Großteil in Berlin arbeitet. Aus Oberhaching, also Mojtos Firmenzentrale, erfahre man keine Einmischung ins Operative, ist Laube wichtig zu betonen.

Was man sich im Falle von Sisi gar nicht vorstellen kann.

Denn es ist ja so: Wenn einer Leidenschaft gepaart mit Expertise und Geschäftssinn für die Lady Di des 19. Jahrhunderts besitzt, dann ist es der mit einer österreichischen Adeligen verheiratete und für sein Lebenswerk mit einer Romy ausgezeichnete Jan Mojto.

Ihm gehört nicht nur die aus der Kirch-Insolvenzmasse übernommene „Sissi“-Trilogie von Ernst Marischka, deren Ausstrahlungsrechte im Free-TV derzeit bei der ARD liegen und deren SVOD-Rechte sich im deutschsprachigen Raum RTL und Netflix teilen. Die Beta Film vermarktet auch die RTL-„Sisi“ außerhalb Deutschlands. Und nicht zuletzt: 2009 war Jan Mojto schon einmal an einem Versuch beteiligt, die 1950er-Jahre-„Sissi“ fürs Fernsehen a bissl zu entzuckern.

Beim Zweiteiler „Sisi“ von Xaver Schwarzenberger fehlte, historisch korrekt, zwar ein Binnen-S, sonst blieb es aber recht kitschig, nur halt moderner gefilmt. Drei Sender – ZDF, ORF und Rai – waren involviert. Macht drei Länder, drei Mentalitäten, vielerlei Wünsche, sodass Schwarzenberger seinerzeit klagte, diese „Proporz-Nummer“ gesund durchzustehen, habe viel Kraft gekostet.

Wie anstrengend muss es erst sein, wenn ein weltweit agierender Streamer die Strippen zieht?

Folgt man Jochen Laube: nicht so sehr. Vorgaben, um die unterschiedlichen internationalen Publikumsgeschmäcker zu bedienen, hätte es nicht gegeben und hätten sie auch nicht bedienen können. „Da wird man ja verrückt, wenn man eine Serie zwischen Südkorea, Kolumbien, Detroit und Oslo denken müsste.“ Der erste Blick galt der DACH-Region und der Figurenzeichnung. Denn starke Figuren mit starken Dialogen, glaubt Laube, sind eine „universelle Sprache“, die überall auf der Welt Herzen und Sinne erreichen kann.

Jochen Laube rechts © Frank Stolle
Sisi, Franz & Co. einem internationalen Publikum begreifbar zu machen, ohne möglicherweise die hiesigen, mutmaßlich Sisi-gesättigten Zuschauer zu langweilen, stellte sich in der Entwicklungsphase nicht als Herausforderung dar. Denn eine von Netflix beauftragte repräsentative Umfrage ergab, dass der Name Sisi bzw. Sissi nicht mehr die große Strahlkraft hat wie in früheren Generationen. Gerade mal neun Prozent der Befragten kennen die Romy-Schneider-Sissi. Schon im Nachbarland Belgien ist sie unbekannt. Weil der Name Sissi/Sisi also international nirgendwo ein Begriff ist, entschieden sie sich deshalb bewusst für den Titel „Die Kaiserin“.

Während die Konkurrenz mal wieder vorlegt – am 1. Dezember läuft die inzwischen dritte „Sisi“-Staffel bei RTL+ an – muss sich die Netflix-Kundschaft noch gedulden. Die zweite Staffel „Die Kaiserin“ ist noch im Werden, gedreht wird noch bis ins nächste Jahr, auch on Location in einem Schloss bei Neapel. Über den Streaming-Start bei Netflix will Jochen Laube angeblich nichts Genaueres wissen. Er denkt derweil schon darüber hinaus. Denn wie er sehr richtig feststellt: „Sisi hat Gott sei Dank lange gelebt und viel erreicht. Da gäbe es natürlich noch viel erzählerisches Potenzial für weitere Staffeln.“

Hurra! Die unglückliche, todessüchtige, neurotische Sisi, die hungerte und turnte und durch die Welt hetzte, bis ein Attentäter in Genf sie im Alter von 61 Jahren meuchelte – wenn das kein passender Netflix-Stoff für Weihnachten ist?

P.S.: Auf Romy Schneiders Kaiserküsse wird man hier in Deutschland trotz aller Neuinterpretationen nicht verzichten müssen. Die „Sissi“-Trilogie läuft am ersten und zweiten Weihnachtstag im Ersten. Kitsch bleibt eben Kitsch und Tradition ist Tradition!