Was waren das für freshe funky Töne, als Peter Limbourg im Oktober 2013 bei der Deutschen Welle aufschlug. "Get Lucky" von Daft Punk hatte sich der neue, buchstäblich große Mann des deutschen Auslandsfernsehens für den Antrittsbesuch bei den Mitarbeitern ausgesucht so wie Boxer ihre Hymne für den Mega-Fight. Es ist ein Song, der Optimismus und Durchhaltevermögen feiert und dazu ermutigt, unermüdlich das Beste aus jedem Moment zu machen. Also perfectly Made for Minds wie den DW-Intendanten, der hier in diesem Text in aller Unbescheidenheit sagen wird, aus seiner musikalischen Aufforderung zum Glücklichsein sei eine "Erfolgsgeschichte" geworden.
Das stimmt ja auch, zum großen Teil und ganz bestimmt für Peter Limbourg selbst. Wären da nur nicht die Trillerpfeifen und Megafone, die seine zehnjährige Intendanz zuletzt übertönten.
Zum Siebzigsten der Deutschen Welle in diesem Mai gab es ordentlich Dezibel auf die Chefohren, nur gar nicht melodisch-harmonisch. DW-Personal protestierte vor dem Brandenburger Tor gegen das im März angekündigte Sparprogramm: Weil sich bei der aus Steuergeldern finanzierten Rundfunkanstalt ein Finanzloch von mindestens 20 Millionen Euro aufgetan hat, will die Geschäftsleitung "strategisch ausgerichtet" kürzen. Was bedeutet: Einstellung des deutschsprachigen DW TV. Beschneidung bei den Ressorts Sport, Kultur und Wirtschaft. Stellenabbau.
Die Demo in Berlin setzte einen vorläufigen Schlussakkord in ein Crescendo aus Kritik an Limbourgs Führungskurs. Eine "Mischung aus Geringschätzung für Deutsch als Programmsprache und Großmannssucht" hielten ihm die Freien vor. Der Personalrat legte nach, Limbourg habe den Sender "sehenden Auges in die Krise gesteuert", gebe Geld an falscher Stelle aus und lasse es an Transparenz und Respekt gegenüber den Mitarbeitenden vermissen. Missgestimmt hatte sie auch, dass er nach Verkündung der Sparpläne nach Buenos Aires aufbrach, statt zu seinen Mitarbeitern zu sprechen.
So lucky klingt das alles also nicht. Man könnte sogar schließen: Das Verhältnis zwischen Intendant und Personal ist zerrüttet.
Aber da hört man umgehend ein sehr bestimmtes "Nein" vom Gegenüber, diesem Eindruck würde er "absolut widersprechen", sagt Peter Limbourg an diesem Spätseptembermorgen in Berlin, wo er lebt und hauptsächlich arbeitet. Dass sein Sparprogramm "nicht mit Applaus und Kopfnicken durchgeht", sei "völlig verständlich". Kürzungen täten immer weh. Es täte ihm auch leid, dass einige Kolleginnen und Kollegen gehen müssten. Erfreulicherweise hätten sie die Zahl der Kündigungen "etwas herunterbringen können" (wie DWDL.de berichtete), von 100 auf 50.
Und was seine "Großmannssucht" betrifft – "was soll ich dazu sagen?", fragt Limbourg zurück. In der Auseinandersetzung werde der Ton halt manchmal rauer. "Ich nehme das nicht so persönlich." Trillerpfeifen höre er jedenfalls im Moment keine, dafür Zuversicht, dass die Deutsche Welle in Zeiten weltweiter Polarisierung mehr denn je gebraucht werde. Der Großteil seines Personalkörpers, glaubt Limbourg, habe das Grundvertrauen, "dass das, was wir tun, nicht völlig abwegig ist". Sie verstünden auch, dass es "gewisse Zwänge" gebe und dass die DW in der digitalen Welt "konkurrenzfähig bleiben" müsse. "Ansonsten bekommen wir am Markt Schwierigkeiten."
Als Peter Limbourg vor fast auf den Tag zehn Jahren von Erik Bettermann die Leitung der Deutschen Welle übernahm, war sie ihm zufolge "praktisch ein Sanierungsfall", was nicht zuletzt daran lag, dass es unter den Global Playern im Auslandsfernsehen sonst keinen gab, der so hart auf Kante genäht war wie sie. Die Engländer (BBC), die Franzosen (RFI), die Amerikaner (Voice of America), die Russen (Russia Today), die Chinesen (CCTV), sie alle investierten mehr, während die Deutschen mit 270 Millionen Euro aus dem Etat des Kulturstaatsministeriums haushalten mussten.
Der Neue an der Wellenspitze dachte größer. Oder wie es in "Get Lucky" so schön heißt: Let‘s raise the bar – lasst uns die Ziele höherstecken.
DW-Budget ist massiv gestiegen
Durch Limbourgs ausdauerndes Betteln bei der Bundesregierung (er nennt es lieber: nachdrückliches Überzeugen) ist das DW-Budget auf aktuell 406 Millionen Euro gestiegen; für 2024 stehen weitere vier Millionen im Raum. Die Reichweite hat sich verdreifacht auf allein digital 1,5 Milliarden Abrufe jeden Monat. Dazu berichten bei der DW mehr Menschen (3800) in mehr Sprachen (30 auf dw.com) und an mehr Standorten (7 Studios, 8 Büros) über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Mit Blick auf diese nackten Zahlen war es also wirklich nicht schlecht für die Anstalt, dass mit Peter Limbourg zum ersten Mal einer Intendant wurde, der nicht zuvor im Dienst stand als Bundestagsabgeordneter, Bürgermeister oder Staatssekretär, wie es seit Conrad Ahlers üblich war. Sondern es kam: ein Kosmopolit und Diplomatensohn, der in Rom, Paris, Athen und Brüssel aufgewachsen war und das Jura-Studium in seiner Geburtsstadt Bonn u.a. mit Besucherführungen durch die Villa Hammerschmidt finanzierte. Und noch wichtiger: Es kam ein Fernsehjournalist.
Siebzehn Jahre bestimmte Peter Limbourg das Newsgeschäft von ProSiebenSat.1, zunächst als Europa- und Nato-Korrespondent in Brüssel und Büroleiter in Bonn, zuletzt als Informationsdirektor und Anchor der "Sat.1 Nachrichten" inkl. Kanzlerduell-Erfahrung. Am 30. April 2013, als in Holland Königin Beatrix abdankte, verabschiedete sich der damals 52-Jährige vom Fernsehschirm, allerdings nicht völlig unerwartet.
So was musste einen Vollblutjournalisten wie ihn schmerzen. Den Ruf aus Bonn vom damaligen DW-Rundfunkratsvorsitzenden Valentin Schmidt will Peter Limbourg im Rückblick dennoch nicht als Rettung in einer unglücklichen Lage verstanden wissen. An exponierter Stelle gebe es "immer Aufs und Abs". Und ja, es stimme schon, Thomas Ebeling, der damalige CEO von ProSiebenSat.1, habe andere Vorstellungen von Journalismus und der Relevanz von Nachrichten gehabt als er. "Die Perspektive hätte schöner sein können."
Nichtsdestotrotz könne er "nach wie vor nur Gutes" über ProSiebenSat.1 sagen. Über den jüngsten Kurswechsel in Unterföhring hin zu mehr News und Public Value will er indes nicht mehr sagen, als dass er ihn "richtig" findet.
Anders als Limbourgs früherer Arbeitgeber ist die Deutsche Welle im Kern ein Informationssender. Dessen Hauptaufgabe besteht darin, das Wissen über Deutschland nach außen zu tragen und die deutschen Positionen international zur Geltung zu bringen. Schon zum DW-Antritt machte Limbourg klar, dass es ihm darum gehe, in dem von ihm so genannten "Wettbewerb der Systeme" so was wie Deutungshoheit zu erlangen. Es stehe Deutschland gut an, sagte er damals, für sein Geschäftsmodell zu werben, für Freiheitsrechte, sozialen Ausgleich, Minderheitenschutz.
Limbourg reist um die Welt
Auch wenn er heute findet, dass "manch belehrender Auftritt" rund um die Fußball-WM in Katar "uns in der arabischen Welt sicherlich nicht geholfen hat" und dass das Verbot von Russia Today durch die Europäische Kommission es nicht einfacher gemacht habe, in der Welt zu erklären, warum man die Deutsche Welle oder die BBC nicht blockieren darf, hält Limbourg an seiner "Mission Expansion" fest.
Denn: Der "Wettbewerb der Systeme" ist ihm zufolge eskaliert. "China investiert enorm ins eigene Auslandsfernsehen, Russland nach wie vor, auch Iran, die Türkei und viele arabische Länder. Als international vernetztes Land müssen wir in diesen Regionen präsent sein und dürfen uns nicht ausschließlich auf Europa und den furchtbaren Krieg in der Ukraine konzentrieren."
Und so jettet Peter Limbourg wie eine Art Hauptvertriebsagent unermüdlich um die Welt, zumindest in Ecken, wo ihm nicht wie etwa in der Türkei oder Russland Ungemach droht. Was ihm als Ereignis persönlich sehr bedeutend ist: Wie er im November 2021 nach Doha reiste, um die nach der Machtübernahme der Taliban dorthin evakuierten DW-Mitarbeiter und deren Familien persönlich zu begrüßen und der Regierung von Katar zu danken.
Unser Gespräch hat er zwischen eine Reise nach L.A. zur Filmpremiere einer Holocaust-Doku und den Besuch des DW-Studios in Kiew gelegt. Ein Mitarbeiter hatte an der Front Streumunition abbekommen. Das war ziemlich knapp, deswegen die Visite, die Limbourg mit politischen Gesprächen verknüpft. (Update: Die Grenze von Polen in die Ukraine übertrat er zu Fuß und ohne Blessuren.) Demnächst stehen Reisen nach Moldau und Rumänien an. Und im Frühjahr wird Limbourg in Kinshasa das neunte DW-Büro einweihen.
Limbourgs Reiseaktivitäten dürften seinen Leuten daheim allerdings nicht sonderlich gefallen, denn sie schüren die Sorge: Bleibt das deutschsprachige Angebot auf der Strecke?
Limbourg schließt weitere Amtszeit nicht aus
Da zitiert der Intendant das Deutsche-Welle-Gesetz. Es besagt, dass auch ein deutschsprachiges Programm angeboten werden muss. "Das wird es und soll es auch weiter geben", betont der langjährige Fernsehmann, "wenn auch nur noch digital." Die Deutsche Welle sei schließlich nicht dazu da, ein weiteres TV-Angebot auf Deutsch für Deutschland zu machen. "Da gibt es nun wirklich keinen Mangel an Vielfalt."
Was seine eigene, berufliche Perspektive betrifft, schaut’s besser aus.
Der aktuelle Vertrag läuft noch bis September 2025. Er wird dann 65 sein, in einem Alter reif für den Ruhestand, aber vermutlich nicht am Ende seiner Kräfte, sollten die guten Gene seines Vaters durchschlagen: Peter Limbourg sen., Botschafter a.D., erreichte den hundertsten Geburtstag. Et voilà, eine dritte, sechsjährige Amtszeit bei der Deutsche Welle schließt der Junior tatsächlich nicht aus: Er werde das für sich "rechtzeitig irgendwann im nächsten Jahr entscheiden", bis dahin habe er "noch einen wunderbaren Auftrag zu erfüllen".
Als da wäre: Die Deutsche Welle will Limbourg digital und regional weiter voranbringen, auf dass sie weiter wächst und an Relevanz zunimmt. Er will sich auch dafür einsetzen, dass das Internet frei bleibt und nicht die Autokraten durch ihre immer raffinierter werdenden Blockaden siegen (aktuell ist dw.com in Belarus, China, Iran, Russland und der Türkei blockiert).
Außerdem will sich Limbourg stark machen für einen höheren Tarifabschluss für seine Mitarbeitenden ab Juli 2024, denn im Konkurrenzkampf um gute Arbeitnehmer müsse die DW attraktiv bleiben. Und: Den Rotstift will er nicht weiter ansetzen, jedenfalls "nicht im Sinne drastischer Kürzungen", sondern im Sinne von "organischer und langfristiger Veränderung".
Er sieht also noch "genug zu tun". Da bleibt uns nur zu sagen:
Get lucky, Mr. Limbourg!