Wenn am Montag in Köln mit den Screenforce Days wieder die größte Leistungsschau der deutschen TV-Vermarkter beginnt, wird der Marktführer im linearen Fernsehen fehlen. Das ZDF mit seiner Tochter ZDF Werbefernsehen ist nicht dabei und das schon zum siebten Mal. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimme einfach nicht, lautete die standardmäßige Begründung von Geschäftsführer Hans-Joachim Strauch bisher. Auch Sky Media hat diesmal abgesagt, aus wirtschaftlichen Gründen. Dem ZDF dagegen geht’s prächtig, Rekorderlöse.
Wo genau liegt also das Problem für das Fernbleiben von Screenforce? Und wer ist eigentlich dieser Mann, der vor 20 Jahren zum Lerchenberg kam und dem Sender gerade den höchsten Umsatz in der Unternehmensgeschichte bescherte?
Ein Gespräch mit dem ZDF-Werbechef kann man natürlich nicht führen, ohne über die wichtigsten Leistungsträger oder wie er sagt: Sympathieträger in seinem Team zu sprechen, die Mainzelmännchen. Seit 60 Jahren, so lange wie das ZDF sendet, gibt es diese kleinen Wichtel. Sie trennen an Werktagen Werbung und Programm sowie jeden Werbespot mit Shortstorys passend zur jeweiligen Saison. Jetzt, wo es warm wird, sieht man sie bei Outdoor-Aktivitäten wie Kanufahren oder Schafe mit dem Lasso einfangen. Es ist was zum Schmunzeln, aber offenbar überaus effektiv.
Wegen der Mainzels werde der ZDF-Werbeblock viermal mehr als bei den kommerziellen Anbietern gesehen und der Um- wie Abschaltimpuls deutlich abgeschwächt. Diese „Magie der Mainzelmännchen“ hat zuletzt 2012 eine Wirkungsstudie bestätigt.
Und dann erzählt er diese schöne Geschichte: Wenn er sich ein neues Dienstauto bestellen darf, wählt er die farblich und charakterlich dazu passende Mainzelmännchenfigur aus und klebt sie aufs Armaturenbrett. So kann er dem jeweiligen Wichtel immer schön tief in die Augen schauen. Momentan ist es Fritzchen, der aktive, dynamische Trendsportler mit dem knallroten Muskelshirt und dem pechschwarzen Haar. Das matcht am besten mit dem schwarzen Interieur des Ford Mustang Mach-E. (Ein unbezahlter Werbelink zum Gefährt sei an dieser Stelle gestattet.)
Hans-Joachim Strauch ist, anders als Fritzchen und Co., kein gebürtiger Mainzer. Er kam 1960 in Hamburg zur Welt. Auf die Werberschiene geriet er, weil es mit einem Ausbildungsplatz als Industriekaufmann bei der Shell nicht klappte. Also lernte er Werbekaufmann und studierte anschließend Betriebswirtschaft und Sozialökonomie. Er arbeitete als Mediaplaner für Werbeagenturen, wurde Mediadirektor bei DMB&B und 1993 Verkaufsleiter bei Sat.1 und der späteren SevenOne Media in Fankfurt. 2002 wechselte er zum ZDF, weil er der Meinung war, dass die Trennung von Werbungtreibenden und Media-Agenturkontakten bei den Privatsendern nicht sinnvoll ist. Es gab Key Account Manager, aber keine 360-Grad-Betreuung mehr.
Beim ZDF Werbefernsehen, dessen Abteilungsleiter und ab 2009 Geschäftsführer Hans-Joachim Strauch wurde, gibt es das Rundumsorglospaket. Das kann natürlich nicht der einzige Grund sein, warum die öffentlich-rechtliche Anstalt, die qua Gesetz „verpflichtet“ ist, einen Teil der Einnahmen durch Werbung zu erzielen, auf dem Werbemarkt so außerordentlich formidabel abgeschnitten hat. Die Einnahmen stiegen im Vergleich zu 2021 um 3,5 Prozent auf 273,3 Millionen Euro. In den Etat 2023 fließen rund 2,5 Milliarden Euro aus den Rundfunkbeiträgen dazu. Allgemein befindet sich der Werbemarkt im Sinkflug.
Der Slogan des ZDF-Werbefernsehen „Mit dem Zweiten wirbt man besser“ hat also nie besser gepasst. Wie kam der Höhenflug auf dem Lerchenberg zustande? Ist das ZDF so stark, weil die anderen zu schwach sind?
Die Kurzantwort von Hans-Joachim Strauch: Qualität, Qualität, Qualität.
Vorsichtigere Unternehmen
Die längere geht so: „Wir haben nie mitgemacht beim billiger, billiger, billiger und nie unsere Produkte unter Wert verkauft. Für die seit Jahrzehnten gleich hohe Leistung verlangen wir einen entsprechenden Preis. Das wird von unseren Kunden akzeptiert und zahlt sich aus. Bei vielen Käuferzielgruppen von Premium- und Markenprodukten haben wir inzwischen fast eine Alleinstellung. Unsere eher ältere, kaufkräftige Seherschaft hat eben das Geld, um zu konsumieren. Mit unseren Serien ,SOKO` und ,Rosenheim Cops‘ schlagen wir die Reichweite vom RTL-Regelprogramm um 20.15 Uhr um ein Vielfaches.“
Der generelle Einbruch des Werbemarkts, die große inflationsbedingte Verunsicherung, das ist eine Situation, die bei aller Freude über das eigene gute Abschneiden auch Hans-Joachim Strauch bedenklich stimmt. Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden, auch weil sie nicht wissen, wie sich das Konsumklima entwickelt. Wobei er davon ausgeht: „Unsere investitionsstarke Klientel mag vorsichtiger geworden sein, aber die Entwicklung im Abverkauf ist positiv.“
Im März dazu von DWDL.de befragt, klang es noch so, als würde so ein Werbeverbot dem ZDF Werbefernsehen nicht sonderlich schaden, weil das 60plus-Publikum des ZDF eher weniger ungesunde Kinder-Riegel nascht. Jetzt präzisiert Hans-Joachim Strauch: Wenn 70 Prozent der Werbung für sich besonders schnell und gut verkaufende Ware (in der Fachsprache: Fast Moving Consumer Goods) verboten würde, träfe das das ZDF „selbstverständlich“.
So richtig nach Sturm auf die Barrikaden klingt das immer noch nicht. Würde Strauch heftiger protestieren, wenn Karl Lauterbach auf die Idee käme, Medizinwerbung zu verbieten? Seine Argumentationslinie sei nicht: Ich bin dagegen, wenn es die Interessen des ZDF gefährdet, ansonsten ist es mir egal. Nein, er ist grundsätzlich gegen Einschränkung von Wettbewerbsfreiheit. Eine freie Marktwirtschaft braucht Marktplätze. Auch den des ZDF. „Zwischen 17 und 20 Uhr haben wir eine Seherschaft von 12 Millionen Menschen. Das hat Relevanz. Relevant ist auch, dass wir mit Werbung unsere Beitragszahler entlasten.“
Über die Mitgliedschaft im Zentralverband der Werbewirtschaft zieht das ZDF Werbefernsehen in Sachen Özdemir-Plan übrigens an einem Strang mit dem Privatsenderverband VAUNET. Mit der Einigkeit ist es aber schnell vorbei, wenn es um ein anderes konfliktbeladenes Thema geht.
Erst Ende Mai wieder, in der FAZ, wiederholte der VAUNET in Person seines Chef-Lobbyisten Claus Grewenig seine Position, dass beim Thema Werbung die lange geforderte „Trennung der Systeme“ doch endlich vollzogen werden möge. Sprich: Die TV-Programme von ARD und ZDF sollen vollständig werbefrei sein, so wie es ja bereits im sehr umkämpften Onlinemarkt der Fall ist und bleiben soll. Die „Werbefreiheit“ im TV hätte Grewenig zufolge den Nebeneffekt, dass von den Öffentlich-Rechtlichen der „Druck einer kommerziellen Ausrichtung des ,Werberahmenprogramms‘“ abfiele.
Wir übersetzen das mal, was Grewenig eigentlich sagen will: Hört auf im Werbetopf zu räubern, der nur uns zusteht! Und lasst die Finger von Makeover-Formaten wie „Duell der Gartenprofis“ (ZDF), denn sie stehlen uns die Werbekunden für den Longseller „Ab ins Beet“ (Vox).
Anders als das ZDF konnten die Privatsender bei den Werbeeinnahmen keine Rekordergebnisse vermelden. Von „Druck“ zu sprechen, ist dort also eher angebracht. Der ZDF-Chefvermarkter war, wie bereits erwähnt, selbst einmal auf der anderen Seite. Hat er als ehemalige Führungskraft bei Seven.One ein gewisses Verständnis für die Nöte und Klagen des VAUNET zum Lerchenberg hinübergenommen?
„Ich sehe die Not nicht, habe sie noch nie gesehen“, antwortet Strauch sehr bestimmt. „Die Profitmargen dieser Unternehmen waren jahrzehntelang nie schlecht. Was aus seiner Sicht aber nicht besser wurde, ist der Content. Es folgt eine längere Erklärung über den Zusammenhang von Shareholder Value, Profitzielen und Programminvestitionen. Es ist ein Thema, das ihn umtreibt, fast möchte man sagen: aufregt. Als er endet, sagt er, er wisse nicht, ob er das alles veröffentlicht sehen will. Zu politisch, verstehen Sie?
Zwei Prozent Anteil am TV-Werbeaufkommen
Was durchgeht, ist Strauchs Hinweis auf die Nielsen-Statistik, wonach das ZDF im Kalenderjahr 2022 einen Anteil von 2 Prozent des TV-Werbeaufkommens in Deutschland hatte. „Ich sehe nicht, dass wir hier jemandem etwas wegnehmen.“ Auch der Vorwurf, das ZDF würde sein Programm kommerzialisieren, stimme nicht. Die Programmstruktur bestand schon sechs Jahre bevor das Privatfernsehen in Ludwigshafen das Licht der Welt erblickte.
1978 legte die fiktive Münchner Sonderkommission 5113 los. Nach dem „Tatort“-Prinzip „in jeder Region ein eigenes Ermittlerteam“ haben sich die „SOKOS“ seither vermehrt. Sie gehören zu den starken Marken des ZDF ebenso wie „Die Rosenheim Cops“ (seit 2002) oder das Wetter nach den „heute“-Nachrichten. Am Serienkonstrukt hat sich im Prinzip nichts verändert. Die Zeit zwischen 17 Uhr und 20 Uhr im ZDF ist kein Ort, wo sich Kreative mit Experimenten für die unter 60-Jährigen austoben könnten, weshalb dem Chef des ZDF Werbefernsehens höchstpersönlich mal zur Last gelegt wurde, er sei der größte Verhinderer einer Programmverjüngung.
2023 soll es nun tatsächlich dazu kommen. Das ZDF will sich verjüngen und beendet deshalb unter anderem die „SOKO Hamburg“. Als gebürtiger Hamburger trauere er sehr, keine Frage, lacht Strauch. Aber wie sein Intendant ausgeführt hat: Das ZDF kann nur Neues machen, wenn es Altes lässt. Da kann es passieren, dass ein Format, das ihm persönlich sehr am Herzen liegt, aus dem Programm fällt. Umso schöner sei es, „dass die verbliebenen SOKOs weiter stabil sind“. (Inwiefern die neue „SOKO Linz“ für Verjüngung steht, ist eine andere Frage.)
Auch das Format „Leute heute“ mit der lukrativen Sonderwerbeform „Best Leute heute“, die die News aus der Promiwelt in zwei Hälften teilt, fällt demnächst weg, was auch aus Quotensicht (rund 2 Millionen Menschen) unverständlich ist. Warum hat Strauch das nicht verhindert? „Das Beispiel zeigt doch, dass das ZDF-Werbefernsehen nicht die Macht hat, die Sie uns zugeschrieben haben“, lacht er. Der Verlust schmerzt ihn trotzdem. Er spricht von einer „Challenge“. Ohne „Leute heute“ werde die Sache „für uns bunter und spannender“.
Apropos Verlust.
Die Macher von Screenforce würden das ZDF Werbefernsehen gerne wieder in ihren eigenen Reihen sehen. Die Tür ist weit offen. Hans-Joachim Strauch hat aber keinerlei Ambition. Die Forschungsinhalte der Gattungsinitiative würden einfach nicht mehr den eigenen Ansprüchen und Interessen entsprechen. „Wir haben eine andere Art von Programm. Wir haben andere Insellängen. Wir haben andere Wirkungsparameter. Wir haben die Mainzelmännchen. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.“ Da zusammenzukommen sei fast schon die Quadratur des Kreises. Man gehe jetzt unterschiedliche Wege. „Es ist okay, wie es ist.“
Es gibt also kein Zurück? „Ich glaube, der Zug ist abgefahren.“
Das ZDF fährt stattdessen lieber auf eigene Roadshow. Die Tour durch die wichtigsten Agenturstädte mit Neuheiten und Höhepunkten im Programm startet im Juli. Im Gepäck soll dann auch eine neue repräsentative Studie über die Mainzelmännchen sein. Es war mal wieder Zeit für ein Update mit Fokus auf die Akzeptanz in veränderten Kohorten.
Was er sich noch bis zum Auslaufen seines Vertrags Ende 2027 vorgenommen hat? Er möchte weiter mit Qualität und guten Argumenten im Markt unterwegs sein, spannende Kundengespräche führen, vielleicht Kunden, die lange nicht beim ZDF waren, von der Performance überzeugen, es gebe ja nur noch wenige Anbieter im linearen Fernsehen mit solchen Reichweiten. „Ich glaube, unsere Leistung wird noch lange gebraucht.“
Nicht zuletzt möchte Hans-Joachim Strauch weiter mit den Mainzelmännchen unterhalten und Spaß haben.
Also, Fritzchen, gib Gummi! Und der Rest der Bande auch.