Hundert Prozent Recherche, null Prozent Bullshit, mit diesem Versprechen ist Anja Reschke im Februar in ihrer neuen Sendung „Reschke Fernsehen“ losgezogen, um donnerstags spät im Ersten Themen auf den Grund zu gehen, die die Gesellschaft bewegen. Gegen Mächtige und Blender soll es gehen. Doch einem davon gefällt das gar nicht. Und so hat sich um die Ausgabe über den ehemaligen „Bild“-Boss Julian Reichelt ein Streit entzündet, den nicht nur das Landgericht Hamburg bis heute beschäftigt. Die Medienrepublik fragt sich:
Ist „Reschke Fernsehen“, das neue NDR-Flaggschiff der journalistischen Unterhaltung, durch die Reichelt-Sache „ramponiert“? Oder ist die juristische Rangelei vielmehr ein Ritterschlag nach dem Motto: Wer von Julian Reichelt verklagt wird, hat ein paar Dinge richtig gemacht?
Und woher nimmt Anja Reschke, das strenge, vielfach ausgezeichnete Gesicht des seriösen Fernsehjournalismus der Premiummarke „Panorama“, eigentlich den Mumm, sich in die an Mächtigen und Blendern ebenso wenig arme Männerhumordomäne Late Night vorzuwagen?
Als wir über all das sprechen, ist besagte „Reschke Fernsehen“-Sendung gerade wieder in der ARD-Mediathek verfügbar, nachdem sie von dort nach einstweiliger Verfügung verschwunden war. Allerdings nicht unter dem ursprünglichen Titel „Julian Reichelt und die Frauen: Bumsen, belügen, wegwerfen“. Auch sind etliche Passagen durch leere Sprechblasen und rote Verbotsschilder unkenntlich gemacht. Der NDR darf also einigen Bullshit aus Sicht von Reichelts Anwalt nicht mehr verbreiten. Vorläufig. Vielleicht auch endgültig. Wer weiß. Die Hauptverhandlung steht noch aus. Der Sender bittet im klassischen PR-Deutsch um Verständnis, dass man sich zu laufenden Verfahren nicht äußert.
Anja Reschke ist gesprächiger. Sie, die sich in all den „Panorama“-Jahren schon einige juristische Beulen geholt hat, scheint der Zank mit dem Zampano von Springers Ex-Gnaden nicht nachhaltig verstimmt zu haben. Sie hat keine Zeit dafür. Sie muss drei neue Folgen „Reschke Fernsehen“ vorbereiten, die am kommenden Donnerstag beginnen. Ihr Team wartet schon zur Regiebesprechung. Wir müssen uns beeilen. Reden wir über die unlustigen Reaktionen auf ihren Start im Humorfach.
Strenger beäugt
„Mama mia“, seufzt Anja Reschke, was da über ihre erste Sendung geschrieben wurde, „wirklich erstaunlich“. Die Beäugung, ha, da traut sich eine hin, wo (fast) nur Männer sind, sei „so viel strenger mit Frauen“.
Die (meist von männlichen Rezensenten verfasste) Premierenkritik der ARD-Rechercheshow lässt sich verknappen auf: Anja Reschke ist nicht lustig (etwas milder urteilte DWDL.de). Senderintern war man über den Verlauf der ersten Staffel mit fünf Folgen zufriedener. „Toller Erfolg“, ließ ihr Vorgesetzter, NDR-Programmdirektor Frank Beckmann, mitteilen, „die Mischung aus exzellentem Journalismus und enorm unterhaltender Präsentation fehlte uns in der ARD. Jetzt haben wir sie.“
Egal, sonst ist die Sache mit dem „Fehlen“ ziemlich korrekt. Das ZDF ist der ARD mit dem Hybrid journalistische Comedy voraus. Erst setzte sich 2009 Oliver Welke ans Pult der „heute show“, dann tauchte 2013 Jan Böhmermann auf der Bildschirmfläche auf.
Der Verdacht, dass dieses neuartige „Reschke Fernsehen“ ein „ZDF Magazin Royale“ in ARD-blau sein könnte, kam auf, da war noch kein einziger Schnipsel zu sehen. Die vorab verbreiteten Signalwörter „Recherche“ und „Satire“ reichten aus, um zu mutmaßen: Reschke klaut bei Böhmermann. Und tatsächlich, es ist vieles ähnlich.
Auch Anja Reschke legt ihre Late Night Show als Solo-Monolog mit Info-Kacheln und lustigen Einspielern an. Auch ihr Studio versprüht Retro-Charme, wie man es vom „ZDF Magazin Royale“ kennt. Auch ihr Team landete bereits einen Scoop mit der Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher. Und: Auch sie ist eine Reizfigur höchster Güte im konservativen bis extrem rechten Lager, weil sie für ein „Haltungsfernsehen“ steht, das als „links-grün-versifft“ gedisst wird. Reschke wurde sogar eine besonders zweifelhafte Ehre zuteil: Ihre „Propaganda pro Flüchtlinge“ schmähte Alexander Gauland von der AfD einmal als „Reschke Fernsehen“. Et voilà, der Sendetitel war gefunden.
Dass der Vergleich mit Böhmermann also sehr nahe liegt, bestreitet die ARD-Late-Night-Show-Host keinesfalls. Die Verbindung von Journalismus und Unterhaltung habe in dieser Form nur er so gemacht. Aber dass geschrieben wurde, Anja Reschke will der weibliche Jan Böhmermann werden, findet sie schon in der Annahme witzig: „Was soll das sein? Böhmermann ist Böhmermann, Reschke ist Reschke. Schade, dass einem nicht zugestanden wird, etwas Eigenes zu machen. Die Frage ist, wäre es andersrum genauso? Würde Jan Böhmermann eine politische Talkshow machen, würde man dann schreiben, er will die männliche Anne Will werden?“
Wohl kaum. (Abgesehen davon soll ja Caren Miosga auf Anne Will folgen.)
Überhaupt, fährt Anja Reschke fort, den Gedanken, dass man die tollen Recherchen der Autorinnen und Autoren bei „Panorama“ irgendwie auch mal anders erzählen und in einen Show-Charakter bringen könnte, habe sie schon sehr lange gehabt. Vorläufer war „Panorama – Die Show“, die 2016 und 2017 über die Bühne des Deutschen Schauspielhauses ging. Sie selbst moderierte zwar nicht, sondern Michel Abdollahi, aber sie verantwortete den Formatzwitter als Abteilungsleiterin.
Die Leitung des Programmbereichs Dokumentation und Kultur im NDR-Fernsehen übernahm sie 2019, da war sie bereits seit 19 Jahren bei „Panorama“ an Bord, zunächst als Autorin, im Jahr drauf als Moderatorin, ab 2015 dann als Magazinchefin in ihrer Funktion als Abteilungsleiterin Innenpolitik. Ein Volontariat beim NDR hatte die 1972 in München geborene Tochter eines Wirtschaftsprofessors nach Hamburg geführt. (Apropos, Rrrreschpekt, dass sie nach den vielen Jahren im Norden immer noch bairisch sprechen kann. Und Dirndl hat sie auch dahoam im Schrank. Beides führte sie im „Reschke Fernsehen“-Erstling über Bayerns Kampf gegen Windräder vor.)
Ihr Debüt als TV-Moderatorin gab Anja Reschke nicht bei „Panorama“, sondern just in jener Sendung, deren Redaktion für den Unterhaltungspart von „Reschke Fernsehen“ zuständig ist: „extra 3“. Jörg Thadeusz war als neuer Moderator noch nicht da, es gab eine Lücke, und da hat ihn die Fernsehanfängerin vertreten. Das Satiremagazin des NDR war eine andere Sendung als heute. Es kamen Gäste, meist Politiker, mit denen man ein freches Gespräch führte. Anja Reschke erinnert sich, dass sie es mit Christian Wulff zu tun hatte. Sie las seine Biografie vor, wann er in die Junge Union eingetreten war, und stellte dann die erste Frage: „Hatten Sie keine Freunde?“ Auf diesem Niveau spielte sich das ab.
Vielleicht hat sich damals bei „extra 3“ etwas entfaltet, was bei ihr schon in der DNA steckte, dieser Hang zur milden Ironie bis zur spöttelnden Angriffslust. Bei „Reschke Fernsehen“ erlebt man die Moderatorin jedenfalls aufgekratzter, als man sie aus „Panorama“ kennt: die Beine bossy auf den Tisch, den Kopf zur Seite, die Braue mokant hochgezogen. Ans Minenspielrepertoire eines Clowns wie Jan Böhmermann reicht sie freilich nicht ran. Es ist trotzdem nicht schlecht, wie sie es macht – und was sie zum Beispiel zum Staffelausklang aus dem Thema TÜV, das ja „nicht so brutal attraktiv und sexy“ ist, herausgeholt hat, ist wirklich ansehnlich.
Auch als Journalistin unterhalten
Ihr Anspruch an „Reschke Fernsehen“ ist, einer journalistischen Recherche eine große Bühne zu geben und sie mit möglichst vielen Elementen, die die Fernsehunterhaltung bietet, „konsumierbar zu machen“. Die Sendung sei, so wie „extra 3“, in dem Sinne auch keine Show, wo sie mit Glitzerkostüm eine goldene Treppe herunterkommt und nebenbei tanzt das Fernsehballett. Beide Formate kämen aus dem Journalismus und entstünden aus dem Bedürfnis heraus, die Welt zu erklären. „Auch als seriöse Journalistin“, findet sie, „musst du in gewisser Weise unterhalten und versuchen, eine Geschichte interessant zu erzählen. Und zwar nicht falsch zu erzählen, aber schmackhaft, sodass dein Gegenüber sich dafür interessiert.“
Bei „Panorama“ folgte die damals siebenundzwanzigjährige Senkrechtstarterin übrigens auf Patricia Schlesinger. Lustigerweise, findet auch Reschke, sei sie Schlesinger immer gefolgt. Auch die spätere rbb-Intendantin, die sich, das ist ja allseits bekannt, skandalös verstrickte, leitete einmal besagten NDR-Programmbereich. Ob das Bild, das von Schlesinger im Sommer 2022 in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde – eine dem Luxus und der Verschwendung zugeneigte Persönlichkeit – mit dem eigenen Erleben übereinstimmt?
Und wie hat sie „Reschke-Fernsehen“ durchgekriegt? Was war ihr Trick?
Na ja, was heißt Trick, antwortet sie, „Reschke Fernsehen“ sei ihr nicht einfach in den Schoß gefallen. „Da kam niemand auf mich zu, hey, süßes Mäuschen, hier hast du mal eine nette Sendung. So läuft der Hase nicht.“
Okay, wie dann?
Sie habe sich nicht nur diese Sendung, sondern auch den eigenen Ruf und die Position über 20 Jahre lang hart erarbeitet, auch gegen viele Widerstände. „Ich musste viel aushalten in der Öffentlichkeit, im Sender.“ Als sie dann mit der Idee für „Reschke Fernsehen“ ankam, sagte sie: Leute, das ist das, was ich kann, und das ist das, was wir brauchen. Und wenn ich diese Sendung hier nicht machen kann, muss ich es woanders probieren.
Das klingt, als wäre Anja Reschke bis zum Äußersten gegangen, einem Senderwechsel. Alles warf sie in die Waagschale, sogar den Leitungsposten mit Verantwortung für 300 Leute gab sie auf, weil so eine Sendung eben hundert Prozent Konzentration erfordert, wenn man sie aus der Taufe heben will, plus Investition ins Digitale. Und so hat sie, die ja nicht als digital native geboren wurde, die Staffelzwischenpause genutzt, um mit ihrem Team den Instagram-Kanal von „Reschke Fernsehen“ intensiv zu befüllen. Und unter anderem auch auf diese Frage aus der Community geantwortet: „Verklagt von Julian Reichelt – Was ist denn bei Reschke Fernsehen los?“
Zusammengefasst: Völlig normales Procedere und auch gut in einem Rechtsstaat, dass Menschen, die Gegenstand von Berichterstattung sind, sich vor Gericht wehren können.
In unserem Gespräch führt sie weiter aus, dass das, was sich bei Springer abgespielt hat, eigentlich geklärt ist. „Niemand, der die Sache einigermaßen verstanden hat, glaubt ernsthaft daran, dass dieser Machtmissbrauch nicht stattgefunden hat.“ Das habe das Gericht auch nicht angezweifelt. „Nichts von den Dingen, die insgesamt berichtet wurden, ist falsch. Dass wir uns um einzelne Formulierungen hakeln, ist, wie gesagt, vollkommen normal in diesem Geschäft.“ Deshalb: Ramponiert oder Ritterschlag? „Weder noch“, findet sie. Und macht weiter im Geschäft.
Am Donnerstag wird Anja Reschke also wieder die High Heels anziehen. Goldene Treppe und Fernsehballett hat sie zwar immer noch nicht, auch keine NDR Big Band mehr (obwohl sie die gerne wieder hätte), aber immerhin einen Fadenvorhang und Laufstegteppich, auf dem sie einen schmissigen Walk hinlegen kann, an dem Heidi Klum nichts zu mäkeln hätte. Die Message: „Reschke Fernsehen“ ist (auch) Glamour, Baby.
Und dann wird sie sich knallhart in den folgenden dreißig Minuten dem Kampf ums Klima widmen und aufdröseln, „wie uns die Öl-Gas-Kohle-Industrie jahrzehntelang und bis heute getäuscht hat, damit wir ja nicht auf die Idee kommen, dass fossile Energie schädlich ist fürs Klima“.
Natürlich mit: Hundert Prozent Recherche, null Prozent Bullshit.