Da sage mal einer, Regina Ziegler wüsste ihre mageren Anfänge als Filmproduzentin nicht zu ehren: Als sie 2003, schon dreißig Jahre fett im Geschäft, zur Jubiläumssause ihrer Produktionsfirma ins Berliner Interconti einlud, wurde zum delikaten Menü aus Junghuhn mit Flusskrabben auch eine Erbsensuppe serviert. Sie sollte an Zeiten erinnern, als der Pfennig bei ihr noch gar nicht locker saß. Damals, anno 1973, als sich die mit 10.000 Mark verschuldete Jungunternehmerin bei Aschinger am Zoo für 50 Pfennig am Eintopf aus Hülsenfrüchten sattessen konnte.
Was es wohl diesmal geben wird, wenn sich am 27. April mit einem Fest im Tipi am Kanzleramt zum 50. Mal jährt, was Regina Ziegler einmal als „Himmelfahrtskommando“ bezeichnet hat?
Auf jeden Fall einen Promi-Auflauf erster Güte. Ziegler kennt alle und alle kennen Ziegler – oder zumindest ihre Filme. Seit sie an jenem letzten Aprilfreitag 1973 als erste und bis dato einzige Frau mit 60 Mark Stammkapital zum Gewerbeaufsichtsamt am Fehrbelliner Platz loszog, um in einem recht unglamourösen Akt die Regina Ziegler Filmproduktion anzumelden, sind mehr als 400 Produktionen für Film und Fernsehen auf ihr Konto eingegangen.
Für diesen unfassbaren Einsatz von Mühen und Kosten durfte Regina Ziegler in dem halben Jahrhundert ihres Produzentenschaffens unzählige Preise einsammeln, Romy, Emmy, Ehren-Lola, beinahe einen Oscar. Sogar das MoMa in New York spendierte 20 ihrer Werke eine Retrospektive, worauf sie besonders stolz ist. „Quotenqueen“ und „Lady Erotic“ wurde sie genannt. Und immer wieder auch das: „Role Model“.
Ein Vorbild also. Aber sieht sie sich selbst so? Iwo, schüttelt Regina Ziegler den Kopf. „Vor 50 Jahren hätte ich mir allerdings jemanden wie mich gewünscht.“
Bis zum 50-Jahr-Jubiläum im Tipi sind es noch ein paar Tage hin, als sich (noch so ein Etikett) „die Prinzipalin des deutschen Films“ zum Videogespräch meldet. Schmal, fast zart sieht sie aus da drüben in ihrem Berliner Büro. Doch in ihrer Stimme, tief und von unzähligen Cohiba Esplendidos rau geraucht, klingt jene respekteinflößende Energie, ja Angriffslust durch, die oft beschrieben wurde. Nicht zuletzt von ihr selbst.
"Produzenten waren damals Männer, basta."
Regina Ziegler
In ihren 2017 erschienenen Memoiren „Geht nicht, gibt’s nicht“ bezeichnet sich Regina Ziegler als im Grunde ihres Herzens „sehr harmoniebedürftigen Menschen, aber ich war noch nie Everybody’s Darling und wollte es auch nie sein“. Sie warnt geradezu vor ihrem Ego. Es sei „viel größer“ gewesen als das ihrer „Kollegen mit dem Y-Chromosom“ und musste es auch sein, damit sie sich durchsetzen konnte in einem bis dato ausnahmslos von Männern bestellten Feld: „Produzenten waren damals Männer, basta.“ Die Bezeichnung „Produzentin“ gab es nicht.
„Gott sei Dank bin ich nicht die einzige Produzentin geblieben“, kommt es wie ein Stoßseufzer von gegenüber. Viel habe sich in diesem halben Jahrhundert verändert – „zum Besseren für die Frauen“, findet Regina Ziegler. „Woran sich nichts geändert hat: Kampf gehört dazu. Und wir haben erst gewonnen, wenn niemand mehr fragt: Produzent? Produzentin?“
Es war ein Mann, der sie vor 50 Jahren drängte, diesen Kampf aufzunehmen.
In einer Zeit, in der Frauen noch die Erlaubnis ihrer Ehemänner einholen mussten, um arbeiten zu dürfen, lernte Regina Ziegler Wolf Gremm kennen, ihren späteren Ehemann. Sie war Produktions- und Redaktionsassistentin beim SFB, er ein Regisseur mit „zweifelhaftem Ruf und Drogenerfahrung“, bei dem „Genie und Wahnsinn eng beieinander lagen“. Beim Tête-à-Tête mit Kaviar in einem russischen Restaurant in Berlin war es um die Endzwanzigerin geschehen. Gremm spannte nicht nur einem gewissen Hartmut Ziegler die Ehefrau und Mutter seiner Tochter Tanja aus. Die „Ausnahmeperson“ (Ziegler über Gremm) setzte Regina Ziegler auch den Floh der Selbstständigkeit ins Ohr.
Du willst ja nur, dass ich mich selbstständig mache, um deinen ersten Spielfilm zu produzieren, argwöhnte sie. Genau, so war’s, anfangs zumindest. Gleich ihr erster gemeinsamer Film, „Ich dachte, ich wäre tot“ über den Suizidversuch einer Sechzehnjährigen, war ein Schuss ins Schwarze. Plötzlich berühmt. Kritikerlob. Bundesfilmpreis. Filmpreisprämie in Höhe von 150.000 Mark. Ohne Filmförderanstalten und Medienboards, die es 1973 noch nicht gab, sicherten solche Preise die Existenz noch mehr als heute. Erst 1979 wurde auf Initiative von Regina Ziegler und dem späteren ARD-Programmchef Günter Struve der so genannte „Berlin Kredit“ bei der Deutschen Bank ins Leben gerufen.
Ach, die Banken. Die Möglichkeiten, die sie in der Anfangszeit dort fand, seien sicherlich sehr viel weitergehend gewesen, als es heute der Fall ist, sagt Regina Ziegler. Nach Gründung ihrer Firma sagte ihr der Filialleiter ihrer Bank: Frau Ziegler, Sie dürfen bis zu 20.000 D-Mark überziehen, weil ich an Sie glaube. Auch heute könne sie sich „nicht beschweren“.
Und dennoch: 50 Jahre Ziegler-Film – das ist auch die Geschichte eines hoch riskanten Berufs, dessen Ausübung sich nah am Rande des wirtschaftlichen Abgrunds bewegt. Bis zum heutigen Tag haftet Regina Ziegler mit Hab und Gut für ihre Überzeugung. Und es ist noch nicht lang her, dass sie das Haus am Schlachtensee, wo sich bei ihrer begehrten Bouillon oder Dorade in Salbei (man merkt, die Kulinarik spielte in ihrem Leben eine wichtige Rolle!) Autorenfilmer und Schauspieler, Schaubühne und Boulevard, Klassik und Subkultur über Jahrzehnte zu einem munteren Grüppchen mischten, beinahe verloren hätte.
„Henri 4“, ein Herzensprojekt, seit sie als Abiturientin im Weserbergland Heinrich Manns Romane über den Religionskrieg im historischen Frankreich verschlang, ließ sie 2010 in ein großes Loch fallen. Die 19-Millionen-Euro-Megaproduktion feierte Weltpremiere in Essen und Deutschland-Premiere auf der Berlinale. Die Kanzlerin setzte sich sogar in den Kinosaal. Doch dann hauten die Kritiker dem Film das Wort „Euro-Pudding“ und vieles andere Böse um die Ohren, das Publikum mied den Film fast wie die Pest (nur 40.000 Besucher!). Zieglers Lebenswerk, die Ziegler-Film, die sie seit 2000 gemeinsam mit ihrer Tochter „auf Augenhöhe“ leitet, war in eine Schieflage geraten. Sie musste ihre Lebensversicherung auflösen und verzichtete eine Zeitlang auf das Gehalt als Geschäftsführerin.
Aber, Regina Ziegler, die sich selbst als gelegentliche „Minusmillionärin“ bezeichnete, hat sich wieder berappelt. „Henri 4“ ist ein Film, den sie in ihrer Biografie nicht missen möchte. Obwohl sie bestimmt nah dran war – ans Aufhören dachte sie nie, sagt sie heute sehr bestimmt.
Inzwischen verteilt sich ihr Unternehmen auf vier Standorte, neben Berlin auch Köln, Baden-Baden und München (wo sich übrigens seit Februar die vormalige Warner-Managerin Sylvia Rothblum ums Geschäft kümmert). Eisern halten die beiden Chefinnen Regina und Tanja Ziegler den Konzentrationsbewegungen auf dem Markt stand. Unter das (vermeintlich) sichere Dach einer Medienholding zu schlüpfen, war bislang keine Option. Nicht, dass es nicht Angebote gegeben hätte. Sie folge da dem Beispiel des Autopioniers Henry Ford: Als der gefragt wurde, warum er in die Sowjetunion reist, sagte er, er prüfe jedes Angebot. „Wir haben auch jedes Angebot geprüft. Aber es war nichts dabei, was uns interessiert hat.“
"Trüffelschwein und Finanzjongleur"
Daran hat auch die größte Krise nichts geändert, die die Ziegler-Film genauso hart traf wie die gesamte Film- und TV-Branche. In den Corona-Jahren war der Atem als mittelständisches Unternehmen vielleicht nicht ganz so lang wie bei den Riesen Bavaria oder UFA, aber die Zieglers konnten durchhalten, auch dank der staatlichen Hilfen. Dass diese nun auslaufen sollen, kritisiert Regina Ziegler.
Der große Fehler ist ihrer Meinung nach die Entscheidung der Politik, dass Corona inzwischen keine Epidemie mehr sein soll, sondern diese Erkrankung wie eine „jahreszeitlich bedingte Grippe“ zu behandeln sei. Für Filmproduktionen bedeute das aber noch lange keine Entspannung: „Gerade der Wegfall des Ausfallfonds I und die nach wie vor bestehende Schwierigkeit, solche Ausfälle sachgerecht zu versichern, erfordern, dass wir an diesem Punkt nicht nachlassen dürfen und auf fairen Produktionsbedingungen bestehen müssen.“ Denn am Ende, so Ziegler, „zahlt jetzt wieder die Produktionsfirma die Rechnung“.
Die Rollenbeschreibung, dass ein Produzent „Trüffelschwein und Finanzjongleur“ sein müsse, stammt von ihr. Also dass man nicht nur mit der rechten, kreativen Gehirnhälfte nach den besten Stoffen sucht, sondern mit der analytischen linken immer auch die Kosten beachtet. Welche Hälfte bei ihr ausgeprägter ist? „Das kommt auf die Situation an“, antwortet Regina Ziegler. Es sei die linke, wenn sie mit der Bank rede.
Die Mitarbeiter dort können sich da momentan entspannt zurücklehnen.
Und auch ihr Talent als Trüffelschwein setzt Regina Ziegler gerade voll ein, um ein Herzensprojekt zu realisieren.
Als ihr Film „Martha Liebermann“ im Vorjahr beim internationalen TV-Festival in Monte Carlo gleich zweimal ausgezeichnet wurde, kam der Jury-Chef auf sie zu, nahm sie in den Arm und sagte, bitte geben Sie nicht auf, solche Filme zu produzieren, wir Amerikaner machen das seit Jahren, aus Deutschland kommen doch wenige Filme über jüdische Schicksale im Nationalsozialismus.
Dass der jüdische Verleih Menemsha Films „Martha Lieberman“ in den USA und Kanada ins Kino bringt und weltweit auf jüdischen Festivals zeigt, ist für Regina Ziegler Ansporn und Anliegen, um ihre Reihe über „Frauen im Widerstand“ fortzusetzen. „Ihre Geschichten müssen erzählt werden, bevor sie in Vergessenheit geraten!“ Gerade hat die Ziegler Film die Rechte an dem Buch „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht“ von Maria Gräfin von Maltzan bekommen.
Dass die Chefin im kommenden März ein sehr persönliches Jubiläum begeht, nämlich ihren achtzigsten Geburtstag, beeinträchtigt ihre beruflichen Pläne mitnichten. Aufhören? Iwo. Mit der Lust, Filme zu produzieren, habe sie vor 50 Jahren angefangen, sagt Regina Ziegler. Solange sie diese weiter verspüre, bleibe sie dabei, denn: „Filme zu produzieren hat für mich auch immer mit einem Spaßfaktor zu tun.“
Dann wünschen wir weiter viel Spaß! Und natürlich guten Appetit!