Rainers Roastbeef in Münster, Guidos Hirschsauerbraten in Hamburg, Verenas Fränggische Vesper in Amsterdam – die Esskultur, die da am werktäglichen Vorabend auf Vox zelebriert wird, wenn sich Hobby-Köche wie du und ich abwechselnd bekochen, entspricht, ehrlich gesagt, nicht unbedingt der von Daniel Werner, der die Kocherei kommentiert. Der Sprecher aus dem Off versucht sich weitgehend fleischlos zu ernähren. Und wer genau hinhört, wenn er das Wort „Fleisch“ spricht, hört in seinem langgezogenen „Vlaiiiisch“ einen Hauch von Revoluzzertum heraus. Soweit das im strengen Formatrahmen einer Daily Doku-Soap möglich ist.
Mit dem humorig-fies-subtilen Unterton hofft Daniel Werner, so sagt er es, „auf das Unterbewusstsein der lieben ,Dinner‘-Gucker einwirken zu können“. Es sei ja kein Geheimnis, „wie sehr Fleischkonsum zu unserer riskanten Lebensweise beiträgt“.
Wohl wahr. Aber glaubt er wirklich, dass seine Stimme Macht hat und wenn ja wie viel? Und wenn der Mensch ist, was er isst, wie Ludwig Feuerbach quasi prospektiv als geheimes Motto für „Das perfekte Dinner“ gedichtet hat – was für ein Mensch ist dann der Vegetarier Daniel Werner?
Man übertreibt nicht, wenn man ihn als Freak beschreibt, einer von der liebenswerten Sorte. Freak hat ihn einmal ein Kollege bei einer bierseligen Weihnachtsfeier genannt. Er selbst präferiert „Kauz“. Oder „Plapperdohle“. Aber wer Nietzsche jeden Morgen im Bad liest und plant, Robert Musils 2000-Seiten-Opus „Mann ohne Eigenschaften“ neu einzusprechen und gratis (!) ins Netz zu stellen, weil: The best things in life are for free – der ist auf jeden Fall nach Duden-Definition „jemand, der sich in übertrieben erscheinender Weise für etwas begeistert“. Also ein Freak.
Und deshalb ist Daniel Werner vielleicht perfekt für diese TV-Kocherei, die sich seit 17 Jahren im Fernsehen hält und die es auch in einer sonntäglichen Promi-Variante gibt. Er, quasi „The Voice of Dinner-Show“, begeistert sich nach wie vor für das Geschredder und das Gerühre am Herd und natürlich das, „was an Menschlich-Allzumenschlichem vor sich geht“ in diesem Format, das aus seiner Sicht ein soziologisches ist und kein kulinarisches. Jedenfalls tut er überzeugend begeistert.
Nirgends wird mit so einer tiefen Liebe zur deutschen Sprache gewürzt wie im „Perfekten Dinner“. Nirgends erfährt ein Voice-Over so viel Fanliebe. Auch unter den „Vlaiiiisch“-Essern. Kostprobe?
Ein Mann soll in seinem Leben ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen. Ersatzweise genügt es aber auch, wenn er ab und zu mal einen schönen Schweinebraten macht.
Oder was Vegetarisches:
Hat die Flugmango ihren Jet-Lag überwunden, landet sie im Fruchtsalat.
Dass auch nach mehr als 4000 „Dinner“-Folgen noch immer ganz schön viel „Vlaiiiisch“ (ach, #ichliebees) auf den Tellern landet? Spricht nicht gerade für Macht in Werners sattem Bariton, oder?
Ach, „Macht“, was ist das? Ein „sehr ambivalenter Begriff“, findet er, „eher zum Gruseln“. Ja, es gab auch schon rein vegane Runden, worauf sie bei der Koch-Show stolz sein könnten. Aber oftmals klatschten die Kandidaten vor Freude in die Hände, wenn kein Vegetarier in der Runde ist – für ihn ist das „eher ein Grund des Bedauerns“.
An dem Tag, an dem wir sprechen, hatte es Daniel Werner indes mit einem ganz anderen Problem zu tun.
Nicht drehen, nicht rollen
In dem Tonkämmerlein in Köln-Deutz, wo immer ein ganz bestimmter Stuhl stehen muss, einer, der sich nicht dreht, der keine Rollen hat, der sich weder nach vorn noch nach hinten bewegt, der keine Armlehnen hat, einfach ein ganz normaler, leicht gepolsterter Stuhl, auf dem ein Zettel mit Daniel Werners Namen klebt, damit er bloß nicht abhandenkommt, was leicht passieren könnte, denn . . . Also, auf diesem Stuhl sitzend, hatte es der „Dinner“-Sprecher in der zu vertonenden Folge mit einem jungen Typ zu tun, „wirklich völlig in Ordnung“, aber er sagte in der ganzen Aufregung, beim Kochen gefilmt zu werden, pro Minute bestimmt fünf Mal „genau“.
Das Wort „genau“ verbreitet sich nach Werners Beobachtung wie ein Virus. (Ich möchte ergänzen: „tatsächlich“, #ausgründen, #Jetty.) Die Apotheose des „genau“ fand in besagter Koch-Runde statt. Für die Autoren und für den Schnitt war das ein echtes Problem, sagt der Sprecher:
„Wie gehen wir damit um? Komprimieren wir das Rohmaterial, was wir ja tun müssen, gewinnt das ,genau‘ eine Penetranz, die dem Kandidaten schaden könnte und ihm nicht zuletzt auf Social Media um die Ohren gehauen würde.“ Sie haben dann entschieden: „Wir verzichten auf einen ironischen Kommentar, um das ,genau‘ nicht noch zu verstärken.“
Dass man sich in der britischen Fassung des „Perfekten Dinners“ solche Gedanken macht, kann man sich nicht vorstellen. „Come Dine with Me“ auf Channel 4 ernährt sich vom Clash der sozialen Schichten. Unterschicht trifft auf Oberschicht. Am abendlichen Tisch geht man sich an die Gurgel, und das Publikum schaut feixend zu. Kochen? Nebensache. Granada-Mann Uwe Schlindwein importierte das Format nach Germany, fand in Daniel Werner das Sprecher-Pendant zu Dave Lamb und holte reichlich Schärfe raus.
„Bei uns bewerben sich ganz normale Menschen“, sagt der deutsche Dave Lamb – soweit man es als „normal“ empfindet, wenn jemand seinen Gästen im Garten den Porsche im Glaskasten präsentiert und der Sozialneid ausbricht. Aber gut, das Format bedient tatsächlich (sic!) keine Sensationsgier, eher Empathie. Das Publikum sei nicht scharf drauf zu sehen, wie sich Menschen vor der Kamera blamieren, weiß Werner. „Es will bei uns eine Lebensform sehen, die es selbst lebt und die wir ihm auch ein bisschen spiegeln.“ Mit der Zeit seien sie beim „Dinner“ auch diskreter geworden. Die Kamera schaut nicht mehr bis in den Kleiderschrank. Das Kochen nimmt einen größeren Raum ein als zuvor.
Durch die Blume gesprochen: Liebe Freaks, bitte bewerbt euch woanders. Gibt ja genug andere Reality-Formate.
Apropos, wie kam Daniel Werner zum „Dinner“-Job?
Indem er als Schauspieler scheiterte, wie er lachend erzählt. Es ist eine laaaange Erzählung, die man hier nicht vollständig wiedergeben kann, nur kurz: Sie beginnt bei der Mutter, die eine Theaterschauspielerin war, geht über die wohlwollende Kritik „der junge, hochbegabte Daniel Werner“ in der „Schwäbischen Zeitung“ hin zur Nebenrolle in der ZDF-Soap „Jede Menge Leben“, in der er sich in der Geiselnahme-Szene im Film-Noir-Stil „richtig gut“ fand, aber die keine Sau interessierte. Nicht die beste Voraussetzung, um als Schauspieler zu reüssieren.
Synchronisation, literarisches Hörbuch, Radiofeature, Station Voice, Werbe-Marktplatz-Schreierei oder eben Voice-Over – ein großes Feld an Alternativen zur Schauspielerei tat sich plötzlich für Daniel Werner auf, die er auch alle nutzte. Doch nirgends blieb er länger als beim „Perfekten Dinner“.
Die freud- und auch leidvollen Phasen des Formats hat er alle mitgemacht. Als sie zum Beispiel in der Machart mal frecher waren und filmisch viel ausprobierten, wurde schon mal das explodierende Kölsch-Fass im Bergischen Land im Tarantino-Stil geschnitten, und Daniel Werner durfte eine Gruselstimme draufsetzen. Ein Augen- und Ohrenschmaus! Doch die meisten „Dinner“-Fans goutierten diese experimentelle Schöpferkraft nicht in dem Maße, als dass es sich in einem Quotenpeak ablesen ließ. Zwischendurch wurden auch mal gefälligere, visuelle Schwerpunkte gesetzt (seither fliegt der Lachs gerne auch mal in Zeitlupe in die Pfanne). Werners stimmliche Beiträge wurden dafür reduziert. Aber auch da hat sich gezeigt, dass die Ausgaben, in denen er mehr Texte hatte, besser ankommen.
Haha, die Macht der Stimme.
Mit dem Fahrrad ins Tonstudio
In 17 Jahren „Dinner“-Historie fiel sie kein einziges Mal wegen Krankheit aus. Daniel Werner nimmt sich ja auch sehr in Acht. Fährt die vier Kilometer vom Belgischen Viertel, wo er wochentags wohnt, mit dem Fahrrad rüber nach Deutz zum Tonstudio. In der Straßenbahn oder im Bus könnte man sich weiß Gott was holen.
Aber es gibt noch Schlimmeres als Viren. Die Quote zum Beispiel. Die ist, man kann entwarnen, wieder gut. Die 16,6 Prozent Zielgruppenmarktanteil aus dem Anfangsjahr hat die „Dinner“-Show zwar nie wieder erreicht. Aber nach der Corona-Delle spielte sie sich in diesem Jahr am Vorabend wieder deutlich in den Vordergrund mit nun 8,1 Prozent.
Bleibt der andere Feind. Er heißt KI. Die mit künstlicher Intelligenz erzeugte Stimme.
In der Sendergruppe RTL experimentieren sie bereits mit der realen Stimme von News-Moderator Maik Meuser, die synthetisch generiert wird, um Nachrichten zu vertonen, die er so nie gesprochen hat. Wäre es da nicht ein Leichtes, auch Daniel Werner durch einen Roboter zu ersetzen? Bedroht die neue Technik gar den gesamten Berufsstand der Sprecher und Sprecherinnen?
„Auf jeden Fall“, nickt Werner und hebt die mitredenden Hände vor Graus zum Kopf. „In ein paar Jahrzehnten oder Jahren werden die Vertonungsprogramme so entwickelt sein, dass jede Stimme mit allen lebendigen Unreinheiten künstlich nachzubilden sein wird.“ Einfach ein paar Takes vom „Dinner“-Sprecher mitschneiden, verarbeiten lassen, und Fleisch und Blut wird überflüssig. Wie schon bei Staumeldungen und Telefonbanking. Die Stimmkünstler werden dann die Tontechniker sein, die diese Software am versiertesten zu bedienen verstehen, bis dann auch die ersetzt werden von Computern.
„Vlaiiiisch“ aus der Maschine, igitt.
Die viel gepriesene Digitalisierung hält Werner für eine Büchse der Pandora. Alle Hoffnung und alles Übel der Welt sind in KI vereint. Ihn betreffe es wahrscheinlich nicht mehr, sagt der 65-Jährige, die Rente winkt am Horizont, aber er findet, wir sollten uns schon überlegen, wie unsere Zukunft aussehen wird, „ob wirklich alles entwickelt werden soll, was entwickelt werden kann“.
Das gilt übrigens auch für sein eigenes, sehr spezielles Zukunftsprojekt.
Dort in Köln, wo er unterm Dach wohnt, wenn er nicht wochenends sich an Krefelds Reihenhausruhe labt, geht es lärmverseucht zu. Direkt gegenüber wird zwischen halb elf und halb zwölf Uhr nachts der Nightjet nach Wien Tetris-mäßig umrangiert, und die Lokomotive gibt eine glasklare D-Dur-Tonleiter von sich, wenn sie anfährt. Könnte auch Cis-Dur sein. Wie auch immer. Aus diesen schreck…, äh schrägen Geräuschen will Daniel Werner Yves-Klein-mäßig eine Sinfonie komponieren.
Wenn das nicht echt freakig ist?