Heute Abend auf RTL trifft sich die Comedy-Truppe von „RTL Samstag Nacht“ zum großen Zurückschauen wieder. Die Altstars werden sich erinnern und singen. Sie werden den Verlust ihres Kumpels Mirco Nontschew beweinen, aber sich auch in die Rollen von damals zwängen, um zu zeigen, wie toll sie es noch draufhaben. Und als wäre nicht ein Vierteljahrhundert vergangen, seit der Sender zum letzten Mal Fans des „Darf ich Sie an die Bheke titten“-Humors erfreute, wird auch zu sehen sein, wie der Jüngste von ihnen, Tommy Krappweis, in der Rubrik „Far out“ wieder die neusten Sporttrends aus Ju Ess Ey herausschreit. Natürlich auf „Extreeem RTLSAMSTAGNACHTING“-Art.
Aber wie gut kann er diesen im wahrsten Sinne des Wortes Knochenjob überhaupt noch? Und ist es überhaupt gut, einer schon tot gesagten Sendung neues Leben einzuhauchen, nur weil gerade auch andernorts im linearen Programm altes Zeug aus der Fernsehgruft hervorgeholt wird?
„Extrem-Blutspending“, „Extrem-Saufing“, „Extrem-auf-den-Bus-Warting“ und anderen Quatsch unter Einsatz von Puff, Paff und Muskelkraft im Duo mit Gott hab ihn selig Mirco Nontschew ausprobieren – das war mal back in the Nineties ein Comedy-Smash und für Krappweis leichtes Spiel. Seine Entertainment-Karriere hatte er schließlich einst als Buster-Keaton-Double und Stuntman in einem Freizeitpark begonnen. Springen und fallen, das war sein Ding. Mit und ohne Banane.
Inzwischen ist er 50 und grau und schwer drin in einem anderen, weniger physischen Geschäft. Monströs erfolgreich schreibt und vertont er Hörspiele wie „Ghostsitter“ und „Mara und der Feuerbringer“ im eigenen Studio in Otterfing bei München. „Kohlrabenschwarz“ verfilmt er sogar parallel mit der von ihm mit gegründeten bumm film für den neuen Streamingdienst Paramount+. Und wenn er nicht ans Set im pittoresken Alpenvorland eilt, talkt er dienstagsabends auf Twitch.
Seit Beginn der Pandemie führt Tommy Krappweis dort auf dem Kanal WildMics mit Wissenschaftlerinnen und anderen Experten so genannte „Ferngespräche“. Über Corona zum Beispiel haben sie so fundiert und differenziert gesprochen, dass sie dafür Preise bekamen. Die jüngste Folge, Nummer 126, widmete sich – Halloween is coming! – dem Thema Spuk.
Extreeemly spooky!
Aber dieser Geist gegenüber ist so was von real und ausgeschlafen. Und erzählt im Überschwang der Endorphine, wie gut ihm diese wöchentlichen Erklär-mir-mal-Gespräche tun, weil sie ihn bilden und erden: Ach guck, es gibt auch noch vernünftige Leute, es sind nicht alle in der Pandemie verrückt geworden. Nicht zuletzt ist ihm das #ferngespräch eine Wohltat, weil er dort, vom zermürbenden, spaßbefreiten Diskussionswahnsinn in TV-Redaktionen befreit, tun und lassen kann, was er will.
Er habe sehr viel Zeit seines Lebens damit verbracht, mit Menschen zu reden, die „so eine Energievampir-Art“ hatten, sagt Tommy Krappweis. „Du gehst in einen Raum rein, fängst an zu erklären, und dann merkst du, okay, das wird nichts, du kriegst diese Menschen einfach nicht begeistert. Du schickst immer wieder neue Versionen deiner Idee, bis du zwei Jahre später einen aus dem Gremium wiedertriffst, der dir sagt, die erste Fassung fand ich eigentlich ganz okay. True Story!“
Er brauchte also ganz, ganz dringend ein Spielfeld, um die kreative Blase in seinem Hirn anpiksen zu können, ohne dass ihm irgendwelche Leute reinreden, wie er das zu tun habe. Denn das waren in seinem Berufsleben immer die Sachen, die am besten funktionierten. Spontan, und los!
So war es auch, als er die Kinderkanal-Figur Bernd, das Brot mit erfand: Nach einem deprimierenden Theatererlebnis zeigte sein Kumpel und Ko-Autor Norman Cöster in der Pizzeria auf den Brotkorb und sagte in überzeugender Lakonie, Brot ist lustig. Krappweis schnappte sich daraufhin einen Quittungszettel, skizzierte ein Kastenbrot, und fertig war die Figur, die bis heute als eine der wenigen Figuren im Kinderfernsehen das Recht auf schlechte Laune verkörpert.
Gute Laune kann Krappweis natürlich auch. Denn nebenbei hat er nie aufgehört, Musik zu inszenieren (allein ein halbes Dutzend Videos für den „Maschendrahtzaun“-Lyriker Stefan Raab!) und auch selber zu machen, wovon seine umfangreiche Gitarrensammlung zeugt (und dieses Video). Die Lieblingsgitarre der Autorin, die ihr schon beim Twitch-Abend hinter Krappweis‘ Rücken ins Auge stach, ist übrigens eine Vox Mark III Mini in schreiendem Türkis. So die Farbe, so der Klang. Ihr Besitzer verreist selten ohne dieses handliche, geile Ding: „Du kannst es überall hin mitnehmen und in jedem Hotelzimmer der Welt einen fürchterlichen Lärm veranstalten. Was gibt’s Schöneres?“
Nachtruhe. Aber zurück zu Krappweis‘ Post-„Samstagnacht“-Leben, das in den letzten Jahren aus erstaunlich wenig linearem Fernsehen bestand – bis im Dezember vor einem Jahr das Telefon klingelte:
Morgen Krappweis, du, wir machen noch mal eene.
Wer das Kommando gab, das keine Widerrede duldete, war Hugo Egon Balder. Als Produzent schufen er und Jacky Drecksler 1993 mit „RTL Samstag Nacht“ Comedy-Gold. Als Moderator wollte Balder nun, angestupst von RTL, einmalig die alte Fernsehzeit feiern. Und weil der Tommy, der Wigald (Boning) und der Hugo einst eine leicht bekloppte Blutsbrüderschaft geschlossen haben, die besagt: Immer wenn einer von ihnen den anderen anruft und sagt, wir machen was, wird sofort zugesagt, egal was es ist – war klar: Deal ist Deal. Auf nach Köln.
Aufgezeichnet wurde bereits Ende August. Und so war schon vorab Krappweis‘ true story zu hören, wie er, der bis dato auf Fernseheinsätze bei „Forsthaus Falkenau“ (ZDF) und „Disney TV“ (RTL) verweisen konnte, 1995 zum „Samstag Nacht“-Ensemble dazustieß. Hier die ausgeschmückte Version:
Eva Habermann, damals blutjunge Moderatorin von „Pumuckl TV“ in der ARD, bat ihren kaum älteren Bekannten Tommy Krappweis um Begleitung zur „RTL Nachtshow“ von Thomas Koschwitz. Während sie vor der Kamera plauderte, verbrachte er seine Zeit backstage mit Selbstmarketing. Unverlangt verteilte er Visitenkarten mit dem Text: „Tommy. Ich bin lustig.“ Ohne Telefonnummer! Wer aktiv verhindert, dass man ihn anruft, muss entweder bescheuert sein – oder wirklich ziemlich lustig. Und so gelangte das Stück Papier über Umwege, namentlich RTL-Redakteur Teddy Schulze, zu Hugo Egon Balder, der gerade Comedy-Nachwuchs suchte. Das Casting entschied der lustige Tommy für sich. Auf bekannte knappe Art erfuhr er davon per Anruf: Balder hier, bist dabei.
Der „Boss“, wie Krappweis ihn auch heute noch nennt, half, bei Ikea ein Bett für die neue Wohnung in Köln zu besorgen. Und dann ging es auch schon los. Allerdings nicht ganz so geschmeidig wie gedacht. Vom Stummfilmkomiker zum Sketche-Spieler – da war Tommy Krappweis erstmal komplett überfordert. Oder wie er es sagt: „Ich war der Dunning-Kruger-Effekt in vollem Effekt.“
Auf eine sehr heilsame Art habe er gelernt, wo er tatsächlich war mit seinem Können, sagt der Comedy-Veteran. Sehr nah dran an der Komik seines „Lebenshelden“ Buster Keaton etwa. Dessen extremen Realismus trotz der abgefahrenen Gags funktioniert Krappweis zufolge immer noch und auf jeden Fall besser als das extreme Stummfilmpathos eines Charly Chaplin.
Nicht alles ist gut gealtert - aber vieles war bahnbrechend
Nur, für wie zeitlos hält Tommy Krappweis seine eigenen alten Slapstick-Nummern und überhaupt all die anderen Gags aus der RTL-Show? Halten sie dem heutigen Unterhaltungsgeschmack stand?
Nicht alles sei in Würde gealtert, gibt er zu. „Vieles war und ist Geschmackssache.“ Es seien Nummern dabei gewesen, die schon damals „absolut nicht okay“ waren, grausiges Zeug wie Blackfacing und Misogynie. „Wir waren nur noch nicht so weit, das als Scheißdreck zu erkennen.“ Einen Sketch wie „Eine schrecklich behinderte Familie“ zum Beispiel würde er heute nicht mehr machen, weil er ungehörig ist. Er hat ihn zum Nachdenken angeregt: Witze über Menschen mit Behinderung? Sind okay - wenn man MIT ihnen lacht, nicht über sie. Aber lass diese Menschen nicht aufgrund ihrer Behinderung stattfinden, sondern weil sie Menschen sind. Nimm nicht einen Rollstuhlfahrer, weil er im Rollstuhl sitzt, sondern weil er die Rolle gut spielt.
Nichtsdestotrotz: Wenn er die RTL-Show unter dem Aspekt dessen betrachte, was es in den 1990ern sonst noch im deutschen Fernsehen gab, sehe er schon, „wie bahnbrechend unsere Sketche waren. Da war unglaublich Großartiges dabei“.
Tatsächlich waren die Stunts, die er im Duo mit Mirco Nontschew als durchgeknallte Trendsetter Pain und Splatter für „Samstag Nacht“ drehte, in gewisser Weise stilbildend. Sie nahmen vorweg, was die MTV-Trottel aus „Jackass“ ein paar Jahre später vollführten, allerdings in einer physical comedy-Variante, die mehr physisch als komisch war. Und weil das so war, wird bei der „Samstag Nacht“-Reunion ein „Far out“-Revival natürlich nicht fehlen, obwohl einer fehlt.
Für den Sparringspartner Nontschew wurde ein Ersatz gefunden, der hier nicht gespoilert wird. Denn wie würde Krappweis‘ „Boss“ bellen? Leute, guckt selbst.
Die grundsätzliche Frage, warum man überhaupt gucken soll und ob so ein „Wiedersehen“ genanntes Retrodings bei aller Freude an der Nostalgie nicht auch von Mut- und Ideenlosigkeit zeugt, stellen dieser Tage viele. Auch Tommy Krappweis?
„Wie wäre es mit: das eine tun und das andere nicht lassen?“, fragt er keck zurück. Es gehe nicht um entweder oder. „Man kann so eine Tribute-Show machen und für ein weiteres Format trotzdem neue Comedians einsammeln und ihnen samt einem guten Produzenten die Möglichkeit und Freiheit geben, eine Sendung auf die Beine zu stellen.“ In dieser Logik ist es für ihn auch überhaupt keine Frage, dass „Wetten, dass…?“ oder „Die 100.000 Mark Show“ in der Reloaded-Fassung eine Existenzberechtigung haben. „Die Leute gucken es und haben Freude daran. Ich muss doch nicht die ganze Zeit meine Sicht dessen, wie Unterhaltung auszusehen hat, durchsetzen. Das ist eine völlig falsche und unverschämte Art, über Fernsehen nachzudenken.“
Also, schließt er seinen extreeemly korrekten Appell: „Lasst sie die alten Shows machen, aber bitte nicht nur die. Vergesst nicht die Leute, die eher an originellen Ideen Spaß finden.“
"RTL Samstag nacht - Das Wiedersehen" läuft am heutigen Samstagabend um 20:15 Uhr bei RTL