Es war natürlich eine fantastische Idee, wenn man schon mal mit dem Deutschen Fernsehpreis im Studio des „ZDF Magazin Royale“ zu Gast ist, eben jene Band die „Nacht der Kreativen“ musikalisch rahmen zu lassen, die dort zuhause ist. Noch fantastischer war es, den Preis für die „Beste Musik Fiktion“ von Lorenz Rhode verkünden zu lassen, dem Lockenkopf an den Keys, der sonst freitags spät im ZDF den Sound of Ehrenfeld in die Wohnzimmer dirigiert. Für die TV-Gala Dienstagnacht hatte er „Busy Earnin‘“ und die Filmmusik von „Das Boot“ passend arrangiert und so fresh, dass man sich fragt: Warum gibt es eigentlich keine Preiskategorie „Beste Musik Show“?
Hier wäre ein Nominierungsvorschlag: das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld unter der Leitung von Lorenz Rhode.
Das abgekürzt „RTO“ ist wahrscheinlich die beste Idee, die Jan Böhmermann je hatte. 2017 verpasste er seiner Late-Night-Show, die damals noch auf ZDFneo lief, eine neue Wow-Akustik. Dendemann räumte die Bühne für fünfzehn Musikerinnen und Musiker, darunter Top-Leute aus der Kölner Jazz-Szene, die keine Sorge hatten, auch mal was Albernes zu machen, also Quatsch im Nischenfernsehen. Zusammengesucht wurden sie von Albrecht Schrader und Lorenz Rhode, die sich anfangs die musikalische Leitung teilten. Schrader, stark im Songwriting, hat sich inzwischen auf Böhmermanns aufwändige Sonderprojekte wie das Musical „Der Eierwurf von Halle“ spezialisiert. Und so ist Rhode, der Spezialist fürs Synthetische, allein verantwortlich für die sozusagen James-Last-Werdung seines Maestros.
Sie sind wie James Last allesamt Bandleader, die ihre große Zeit hatten, als sich das Showfernsehen von Peter Alexander über Dieter Thomas Heck bis Kurt Felix noch selbstverständlich Orchester leistete. Das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld soll natürlich allein durch seinen Namen „die Grandezza der alten Rundfunkzeit widerspiegeln“, erklärt Rhode, „aber augenzwinkernd“. Gleichzeitig sei ihnen klar gewesen: „Wir wollen modern und vielseitig einsetzbar sein.“
Wir sprechen ein paar Wochen vor der Fernsehpreis-Verleihung. Das „ZDF Magazin Royale“ pausiert noch. Anders als sein Arbeitgeber gab sich der RTO-Leiter seit Mai nicht wochenlang dem Müßiggang hin. Er war auch nicht am Great Barrier Reef, um Seeigeln das Talkboxen beizubringen, womit Böhmermann Rhodes Fernbleiben in der ersten Sendung nach der Sommerpause entschuldigte. Nein, die Zeit zwischen den Staffeln hat er genutzt, um seiner eigentlichen Profession nachzugehen: Er komponiert, er produziert Platten (mit Lars Dales), er remixt Dance-Hits.
Bis 2017 tat er das von Berlin aus. Für die Böhmermann-Show packte er die Koffer. Man kannte sich schon länger privat. Man schätzte die jeweilige Arbeit. Als „fantastischen Elektro-Guru“ hat ihn Jan Böhmermann einmal bezeichnet. Was Lorenz Rhode nicht vollumfänglich gerecht wird.
Seine Range ist breiter. Mit Bach, Beethoven und Brahms wuchs er daheim in Remagen bei Bonn auf. Mit zwölf entdeckte er die Beatles für sich. In Düsseldorf studierte er dann Musik und Medien und lernte auch, wie man eine musikalische Idee mit einem Klangkörper aus Bläsern und Streichern gewinnbringend umsetzt.
Aber gut, die Leidenschaft für Keyboards ist natürlich bei ihm auffallend ausgeprägt.
An die 20 Synthesizer besitzt er, darunter einen Oberheim als neuste Errungenschaft. Das wertvollste Stück ist ein Sequential Prophet 5, für Nerds: der erste polyphone Synthesizer, dessen Soundeinstellungen gespeichert werden konnten. Mit seinen 40 Jahren ist dieses Trum ungefähr so alt wie sein Besitzer, der sein tatsächliches Lebensalter aber im Unsicheren lassen will, das sei lustiger für die Leute, ha ha. Zum Teil schwer zu schleppen hat er jedenfalls an den nicht gerade rückenfreundlichen Tasteninstrumenten, die er je nach Bedarf zwischen seinem eigenen Musikstudio und dem Studio Ehrenfeld hin und her tauscht. Olivia Sawano, die „Livy“ aus seinem Orchester und zweite Person an den Keys, profitiert von Rhodes Reichtum und nicht nur sie.
Es gibt Dinge auf der Welt, die sind, um mit einem Song von Deichkind zu sprechen, „Leider geil“, und das war jene Performance-Kunst, die genau diese Hamburger Electropunks gemeinsam mit dem RTO im November 2019 ablieferten. „Bude voll People“ sang Deichkind und ein Haufen weißer Jogginganzüge bewegte sich dazu flashmobartig im Takt, den 15 Synthi-spielende Orchestermusiker vorgaben. Für diese komplett abstrakte Elektronik-Nummer war Rhode über Wochen damit beschäftigt, Parts zu programmieren, Pegel einzustellen, dazu die Titelmusik des „Neo Magazin Royale“ auf Synthesizer umzuschreiben. Der „totale Wahnsinn“ war das für ihn und großes Musikfernsehen fürs Publikum.
Mundschutz-Krankorchester Virenfeld
Nur wenige Wochen später begann dann die Pandemie, und es begann eine Zeit der totalen Ungewissheit, in der viele Musikerinnen und Musiker ihre Jobs verloren. Auch das RTO war joblos, aber nicht wegen Corona. Die Böhmermänner hatten eine kreative Pause eingelegt, um sich für das ZDF-Hauptprogramm als „ZDF Magazin Royale“ mit neuer Produktionsfirma neu zu erfinden. Für Orchesterleiter Rhode war in jener schwierigen Übergangszeit das Wichtigste, dass die Trennung von der bildundtonfabrik für das RTO gut über die Bühne geht und dass es nicht nur in die neue Sendung mitkommt, sondern dort auch was Sinnvolles zu tun hat. „Jan war unser Garant dafür. Er ist nicht nur Initiator, sondern auch großer Förderer vom RTO.“ Für ihn habe immer festgestanden, glaubt Rhode, „dass er das nur mit uns machen will.“
Nur wie die Zeit des Social Distancing bis zum Neustart der Show überbrücken?
Rhodes royale Fernsehmusiker tauften sich kurzerhand in „Mundschutz-Krankorchester Virenfeld“ um und posteten Videos in den Social Media, die sie von einer ganz anderen Seite zeigten. Wie sonst auch arrangierte der Bandleader Stücke und schickte die Noten den anderen zu mit dem Auftrag, sich selber in Ton und Bild aufzunehmen, was er dann zusammenschnitt. Die Sache wurde immer verrückter und kreativer. Matthias „Matze“ Krämer spielte Gitarre im Schlauchboot und Aki aka Akiko Ahrendt Geige irgendwo zwischen Kühen (siehe hier).
Im November 2020, zur Premiere des „ZDF Magazin Royale“, war die Lage kaum weniger heikel. Es war Lockdown. Plötzlich stand all das, was Redaktion und RTO monatelang vorbereitet und geplant hatten, unter einem anderen Zeichen. Um wegen der Corona-Schutzverordnung genügend Abstand einhalten zu können, mussten zum Beispiel die Bläser von der Band separiert werden. Was aussah wie aufrechtstehende Schneewittchensärge mit musizierenden Menschen drin, war aber nur eine optische Täuschung. Was vier Neon-Röhren bewirken können, toll!
Der Improvisation und Umstellung aber nicht genug. Durch den Wechsel zum ZDF war die Sendung nur noch Zweidrittel so lang. „Die Sorge war natürlich da, dass damit auch der Anteil der Musik kürzer wird“, gibt Rhode zu. Aber er hat nachgerechnet: „Im neuen Format ist mehr Musik als vorher. Man kann nicht behaupten, dass wir zu kurz kämen.“
"Wie eine kleine Show in der Show"
Noch mehr Lob für den Chef gefällig? Bitte sehr: „Eine Sache, die an Jan so schön ist: dass er selber so eine Freude am Musikmachen hat und am RTO. Er setzt uns so viel er kann ein.“ Mal greifen sie musikalisch ein interessantes Ereignis aus der vergangenen Woche auf wie Ukraines Sieg beim ESC, mal spielen sie ein Medley im Andenken an einen verstorbenen Musiker (R.I.P., Vangelis!). Mal stimmt „der Jan“ höchstselbst ein Liedchen an wie „Señorita“, mal begleitet das RTO live Musikgäste (Hello, Father John Misty, hello, Banks). „Es ist wie eine kleine Show in der Show und gibt mir die Gelegenheit, mich nach meinem Geschmack auszudrücken.“ Cello, Bassklarinette auf Acid, Baritonsaxophon und Synth in ein und demselben Stück? Alles möglich. Da freie Hand zu haben, mag Rhode sehr.
Was Moroder ab Ende der 1970er einsetzte und Rhode Jahrzehnte später auch, ist die so genannte Talkbox. Ein Gerät, das zum Beispiel auch den Jazzpianisten Herbie Hancock dazu brachte, zu denken, er könne singen. Wer sich also beim Deutschen Fernsehpreis in der „Nacht der Kreativen“ fragte (ab Minute 34), was bewirkt der Schlauch im Mund von Lorenz Rhode, voilà, auf Instagram hat er das mal so erklärt: „Du spielst auf dem Synthi die Töne. Das rohe Signal geht in die Talkbox (das ist ein Lautsprecher in einer Metallbox). Aus dem angeschlossenen Schlauch kommt der Sound dann wieder raus, und mit dem Mund formst du das Gequäke dann zu Wörtern. Ohne deine tatsächliche Stimme zu verwenden.“ Klingt easy. Und wenn wir schon bei sonderbaren Instrumenten sind: Das Theremin beherrscht Lorenz Rhode auch.
Jan Böhmermann kann also für seine Show (und im Januar wieder für eine Tournee) in einer musikalischen Varianz aus dem Vollen schöpfen, die ihres Gleichen sucht (Sorry, The Mighty Winterscheidts!). Bleibt die Frage: Wie sehr hängt das Schicksal des RTO am „ZDF Magazin Royale“? Wird es die Band auch ohne die Sendung, ohne Jan Böhmermann geben?
„Gute Frage.“ Rhode überlegt. „Wir verdanken unsere Existenz der Sendung. Sie hat uns geprägt und wir sie. Es ist eine wunderbare Zusammenarbeit.“ Trotzdem findet er, das RTO könnte noch viele andere Sachen nebenher machen. Anfragen gäbe es immer wieder (zum Beispiel wenn sich ein ZDF-Intendant verabschiedet und der Bundespräsident kommt). „Der Jan“ ermutige sie übrigens auch zu Solo-Gängen.
„Aber es gibt halt eine Obergrenze dessen, was man überhaupt schaffen kann. Eine wöchentliche Sendung macht wirklich sehr viel Arbeit.“ Pro Jahr schreibe er allein für das „ZDF Magazin Royale“ eine dreistellige Zahl von Arrangements. Aber wer weiß, sagt Lorenz Rhode: „In hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft bringen wir unsere erste RTO-Platte heraus.“
Genug Repertoire ist ja vorhanden.