Wer dieses Jahr auf der re:publica war, die mit ihren Konferenzinhalten ja immer ihrer Zeit ein Stück voraus sein will, konnte einen ersten exklusiven Blick erhaschen auf „Der Schwarm“ (nachträglich hier). Die Verfilmung von Frank Schätzings Öko-Thriller gilt nicht nur als teuerste deutsche Serie. Besonders grün, also umweltschonend hergestellt wurde sie angeblich auch. Und damit die Story vom Kampf der Menschheit gegen eine in den Tiefen des Meeres lebende Schwarmintelligenz im Frühjahr 2023 Millionen potenzieller Meeresschützer nicht nur im ZDF fesselt, schmiedet Dorothee Stoewahse in ihrem Büro in München-Oberhaching bereits große, wirklich große PR-Pläne.
Deren Umsetzung steckt noch so sehr in feuchten Tüchern, dass davon hier leider, leider nichts verraten werden darf, aber sich Gedanken zu machen, welche weltbekannten Ozeanretter von Rang und Adel außer Frank Schätzing aus Köln diesem internationalen Mammutprojekt die Schaumkrone auf die Aufmerksamkeitswelle setzen könnten, gehört zu Stoewahses Job.
Seit bald 20 Jahren leitet sie die Presse und Kommunikation der Beta Film, neuerdings auf der Hierarchiestufe Senior Vice President. Das 2004 von Jan Mojto aus der Kirch-Insolvenzmasse gerettete Unternehmen ist beim „Schwarm“ sowohl als Produzent als auch Verkäufer involviert (über das Joint-Venture Intaglio Films mit ZDF Enterprises). Mojtos Metier sind seit je her europäische Event-Produktionen, „Napoleon“, „Borgia“, „Babylon Berlin“, „Sisi“. Große Geschichte, große Gefühle, große Roben, ganz viel internationales Geld. Und unweigerlich damit verbunden: ganz viele umweltschädliche Emissionen.
Die „Fridays for Future“ bestimmten damals die Agenda, und dieser eine Satz, den sie von Lucia Parbel auf dem Podium hörte, ließ die Sprecherin der Beta Film nicht mehr los: Dass wir das Licht hinter uns ausknipsen und den Müll trennen, sei selbstverständlich. Aber wir müssten uns auch politisch engagieren, weil wir sonst die Klimakrise nicht in den Griff bekämen. Stimmt, dachte sie, du musst dieses große Thema, das dir solche Angst macht und das über die Frage, fliegst du oder fliegst du nicht hinausgeht, auf eine größere Ebene bringen und versuchen, andere mitzuziehen.
Und dann ging sie zu den Grünen.
Als bräuchte sie für den Brotberuf, der ihr viel Reisetätigkeit abverlangt, und für die zwei Töchter samt Ehemann nicht schon genug Energie, ackert Dorothee Stoewahse in ihrer Freizeit als ehrenamtliche Gemeinderätin. In diesem Juli ließ sie sich sogar in die Fraktionsspitze der Grünen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn wählen. Also einer Partei mit sehr strikten umweltpolitischen Zielen.
Doch wie gut lassen sich diese in der Bewegtbildindustrie tatsächlich verwirklichen? Green Producing, Green Shooting, wohlklingende Labels, nur steckt aus Dorothee Stoewahses Sicht ausreichend grün drin? Welche Anstrengungen unternimmt konkret ihr Unternehmen, das ja davon lebt, Filme und Serien weltweit zu produzieren und zu verkaufen? Und überhaupt: Kann sie, deren Hauptaufgabe die Kommunikation ist, noch guten Gewissens Journalistinnen zum Set-Besuch nach Prag oder zur Fernsehmesse nach Cannes (Disclaimer: moi aussi) einfliegen lassen, damit sie darüber berichten?
Diese Art von Fitness-Programm gönnt sie sich schon seit Jahren, sofern sie nicht dienstlich unterwegs ist nach Berlin oder sonst wohin. Gerade Festivals wie die Berlinale und die Messen an der Côte d’Azur sind immer ein Highlight für sie. Auf das Groß-Event hinarbeiten, die Kommunikation darauf ausrichten, alle Fäden ziehen, Foto-Calls stellen, Rote Teppiche organisieren und dann spüren, wie ein Buzz entsteht, wie die Leute und vor allem die Kunden der Beta Film anfangen, über eine Serie zu sprechen – das ist toll, das bringt ihr Spaß. Und für diesen Spaß ist sie in ihrem Leben so viel geflogen, so „wahnsinnig viel“, dass sie heute findet: „Meine Generation hat kein Recht mehr, so weiterzumachen. Wir haben die Verpflichtung, alles dafür zu tun, dass wir unseren Kindern eine Welt hinterlassen, in der sie gut leben können.“
„Alles tun“ heißt in ihrem Fall: Wenn sie verreist, dann mit dem Zug. Sie versuche es wirklich durchzuziehen, nicht mehr zu fliegen. Mit dem Zug nach London? Neun Stunden von München, gar kein Problem, sagt Dorothee Stoewahse, und auf der Fahrt könne man auch noch wunderbar und konzentriert arbeiten. Den Unterschied zwischen quantity time und quality time beim Reisen dröselt sie ihren Kolleginnen und Kollegen bei der Beta Film immer wieder gerne auf. Diejenigen, die viel unterwegs sind, bekommen eine Bahncard 50. Eine Verpflichtung zum Zugfahren gibt es aber nicht.
Denn es ist ja so, führt Stoewahse aus, und es ist ein zentraler Satz, den sie mehrfach wiederholt: „Reisen gehört zu unserem Geschäft. Und dieses Geschäft muss immer laufen, das hat Priorität. Wir können ja unsere Filme und Serien nicht auf dem Flohmarkt in München verkaufen.“
Moment, wie kam eigentlich sie zu diesem Geschäft? Einmal kurz eintauchen in die Dorothee-Stoewahse-Biografie.
Moin, sie kommt vom Meer. „Nordic by nature“, wie ein Kollege von ihr sagt. Obwohl seit 24 Jahren in München lebend, ist Bremerhaven, wo sie 1969 geboren wurde, noch immer Heimat. Nichts gegen die Alpen, aber wenn sie auf dem Deich stehe, diese endlose Weite, der Horizont, ach . . . Weg wollte sie trotzdem. Nach dem Volontariat bei der „Nordsee-Zeitung“ (nicht zu verwechseln mit der „Nordwest-Zeitung“ in Oldenburg, das sind aus Bremerhavener Sicht „die Bösen“) ging es fix zum Journalistik-Studium nach Dortmund mit dem Ziel, Journalistin zu bleiben, Studien-Aufenthalte in USA und Japan inklusive. Aus einem Praktikum bei Reuters wurde eine Festanstellung in der Bonner Agenturzentrale, später eine Korrespondentenstelle in München. Bis sie nach fünf Jahren keine Lust mehr hatte auf die Rennerei, den Wettlauf gegen Bloomberg, wo jede Zehntelsekunde zählt.
Sie wechselte zu Kirch-Media, in die Programmpresse, die, sic!, Jan Mojto verantwortete. Ist ein großer Konzern, ist sicher, dachte sie. Ging bekanntlich nicht gut aus. Und so stand sie, schwanger mit dem ersten Kind, vor der Frage: Wie weiter nach der Implosion des Imperiums? Zurück zu Kirch nach dem Mutterschutz – oder zu Mojto? Dieser hatte sich mit der EOS Entertainment selbstständig gemacht und erschien Stoewahse als attraktivere Wahl. Für ihn wollte sie „wirklich arbeiten“, denn: „Jan Mojto ist eine Person, die man absolut akzeptieren und respektieren kann, und die einen mit seinem Intellekt und seinem Gespür für Inhalte begeistert; ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler und darüber hinaus ein echter Europäer im positivsten Sinne.“
Gut, aber ist der Firmeninhaber auch ein Umweltschützer im besten Sinne? Steigt Jan Mojto, dessen Unternehmen in der Film- und Fernsehbranche europaweit führend ist, auch mal aufs Rad?
Tut er, „und er nimmt auch oft den Zug“, klärt seine Sprecherin lachend auf, „wie übrigens auch Moritz von Kruedener, unser Geschäftsführer“. Und nicht nur das: Auf ihr Betreiben hin hat die Beta viel Geld in die Hand genommen und ist in diesem Jahr Gründungsmitglied des Projektes „Die Klimaneutralen“ der Landkreise München/Ebersberg geworden, das Unternehmen bei der Transformation in die Klimaneutralität unterstützt. Im Vordergrund steht: die CO²-intensiven Tätigkeiten einer Firma, dazu gehört bei der Beta in erster Linie Mobilität, schrittweise zu reduzieren oder Alternativen aufzuzeigen wie Jobräder oder Tickets für den öffentlichen Nahverkehr. In der Zentrale in Oberhaching gibt es obendrein Geothermie und Photovoltaik auf dem Dach. Was an Emissionen nicht wegzukriegen ist, wird kompensiert.
Team Klima
Ein schöner Erfolg für Stoewahse, auch in ihrer Rolle als Kommunalpolitikerin. Doch da zieht sie eine strikte Linie: Ihr grünes Parteibuch habe in ihrer Arbeit nichts zu suchen. „Die Beta ist politisch absolut neutral, und das ist superwichtig, denn wir haben es mit Kunden aus aller Welt zu tun.“ Was anderes sei das Thema Klimaschutz, das ein gesellschafts- und parteiübergreifendes ist. „Das betrifft auch meinen Berufsalltag, da bin ich sehr hinterher und habe in der Firma zum Glück viele Mitstreiter.“ So wurde aus allen Abteilungen ein „Team Klima“ zusammengestellt. Weißes Papier im Drucker ist schon lange abgeschafft.
Beim Pflücken der „low hanging fruits im Klimaschutz“, wie Stoewahse sie nennt, ist ihre Firma vorne dabei, nicht nur in Oberhaching. Wegwerfgeschirr und Plastikflaschen beim Catering gibt es bei Beta-Produktionen, die ja meist im Ausland entstehen, deutlich weniger. Trotzdem könne eine Filmcrew manche Dinge nicht beeinflussen. E-Laster mieten oder Diesel-Generatoren durch grünen Strom ersetzen, schwierig. Stoewahse findet: Man darf sich da nicht entmutigen lassen. Man muss Dinge neu denken. Das gilt für ihre Arbeit als Kommunikatorin ebenso.
Momentan wird in Finnland eine Serie über den Untergang der Estonia gedreht. „Da kommst du nicht hin, wenn du nicht fliegst. Es gibt aber auch Szenen, die in einem Wassertank in Brüssel entstehen. Also haben wir die Presse mit dem Zug dorthin anreisen lassen. Geht auch!“ Und bei der zweiten Staffel von „Sisi“ nahm Produzent Andreas Gutzeit in Litauen mit seiner Handykamera einen virtuellen Set-Besuch auf inklusive Schauspielerinterviews, über die Journalisten verfügen können. Natürlich sei das nicht das Gleiche, wie selbst dabei zu sein. „Andererseits ist es ja nicht so, als ob die Kollegen von der Filmpresse wahnsinnig viel Zeit hätten, dauernd in der Weltgeschichte umherzureisen und über Sets zu laufen.“
Vor ihrer Zeit bei Kirch, erinnert sich Dorothee Stoewahse, gab es Premieren an der Akropolis in Athen und so. Tempi passati. Inzwischen passiere immer mehr digital, selbst auf Festivals und Messen. In Berlin, Cannes und Venedig bietet die Beta zusätzlich digitale Junkets an. „Und es funktioniert super.“
Was nicht zu ändern ist – wir erinnern uns: Das Geschäft muss laufen – für Verkäufer und Käufer führt kein Weg an der persönlichen Begegnung vorbei. Wenn sich der Beta Film-Tross Mitte Oktober wieder zur Croisette aufmacht, um unter anderem den „Schwarm“ feilzubieten, dann sind sie immerhin schon zu fünft, die den Zug besteigen. Im Vorjahr waren sie zu zweit. Stoewahses Werben wirkt, und auf einmal verlieren 13 zähe Stunden über die Seealpen ihren Schrecken.
Bon voyage!