Geht am Dienstag der jahrzehntelange „Krieg der Knöpfe“ in eine neue Runde? Wird es für Markus Lanz ungemütlich, weil Sandra Maischberger vom 3. Mai an im Ersten nicht mehr nur mittwochs, sondern auch dienstags gegen ihn talkt? Ist der nun zweifache Wochenaufschlag der Interviewkoryphäe als „Angriff aufs ZDF“ zu deuten, wie zuerst „Der Spiegel“ schrieb, oder nur eine „Profilschärfung“ in den beschwichtigenden Worten von ARD-Programmdirektorin Christine Strobl?
Und was sagt sie, die es an vorderster Kamerafront betrifft, zu dem Getöse?
Sie, also Sandra Maischberger, protestiert erst einmal, lachend. Das sei doch eine Frage, die an die Programmbeauftragten gehen müsste und nicht an die Macherin, antwortet sie, um dann ein Bild aus der Fußballwelt zu bemühen: „Wir sind wie Spieler, die vom Trainer auf den Platz gestellt werden. Was der Trainer sich dabei denkt, muss man den Trainer fragen. Wir als Spieler machen das, was wir am besten können: Tore schießen.“
1:0 für Maischberger.
Es ist ihr letzter „spielfreier“ Mittwoch, an dem wir sprechen, bevor die Gastgeberin von „maischberger“, wie ihre Sendung fortan kurz und bündig heißt (das Nachwort „die woche“ entfällt), dem noch aufbleibenden „Tagesthemen“-Publikum die doppelte Dosis Polit-Talk verabreichen wird. Wobei, diese Formulierung gefällt ihr ganz und gar nicht: „,Doppelte Dosis‘, wie Sie das sagen, klingt es wie eine schlechte Medizin.“ Ist höhere Schlagzahl besser? „Ja, danke!“
Haben Will und Plasberg der glücklichen Sendezeitgewinnerin eigentlich schon gratuliert? Nein, haben sie nicht. Man rede untereinander über dies und das, aber nicht über die Schlagzahl der Sendungen, sagt Sandra Maischberger. „Vielleicht denken sie, die spinnt, dass sie das macht.“
Ja, vielleicht. Andererseits, mehrmals in der Woche talken ist der vielfach ausgezeichneten TV-Journalistin, die sich vor bald 56 Jahren in München auf den Weg in die Fernsehjournalismuszukunft machte, nicht fremd. Ihre erste eigene Interviewsendung, die exakt wie die neue hieß, nur sich mit großem M schrieb, nämlich „Maischberger“ auf n-tv, bestritt sie von 2000 bis zum ARD-Überlauf an vier Wochentagen. Davor auf Premiere, wo sie in den Neunzigern „0137“ im Wechsel mit Gott hab ihn selig Roger Willemsen moderierte, gab es ebenso einen wochentäglichen Rhythmus.
Angesichts ihrer TV-Historie bezweifelt man nicht, dass sich Sandra Maischberger als „Fan von einer höheren Schlagzahl“ bezeichnet, „wenn es um lineares Programm geht, weil es Verlässlichkeit verspricht“. Zweimal 75 Minuten pro Woche haben ihr zufolge auch den unschlagbaren Vorteil, sich nicht wie bislang immer wieder entscheiden zu müssen, „welches Thema wir nicht machen und welchen Gast wir nicht einladen können, weil es so viel zu besprechen gibt“. Insofern, passt scho.
Nun hat sich keine öffentlich-rechtliche Talkshow optisch und konzeptionell so oft gewandelt wie die ihre. Einzig verlässliche Konstante: die Moderatorin und ihre in der Erich-Böhme-Schule „Talk im Turm“ (Sat.1) erlernte Art, Fragen zu stellen.
Los ging es 2003 dienstags um 22.45 Uhr, wo zuvor Alfred Biolek talkte. Auf seine Vermittlung hin bekam seine Wunschkandidatin Sandra Maischberger den Zuschlag – wobei der Grandseigneur der gepflegten Gesprächskultur sehr auf sein Team bedacht war. Es sollte nach dem Ende von „Boulevard Bio“ weiter zu tun haben. Tatsächlich fing seine Nachfolgerin das Talken im Ersten mit seinen Leuten an. „Bio“ war ihr Produzent, bis sie selbst das Produzieren mit ihrer im Jahr 2000 gegründeten Vincent Productions übernahm. Nach und nach sortierte sich das Team neu. Einige sind seit Maischbergers ARD-Beginn noch immer dabei. Einige kamen jetzt neu hinzu fürs TV-Doppel.
Ein „feiner Mensch“ sei er gewesen, „den man nur vermissen kann“, sagt Maischberger über den im vorigen Juli verstorbenen Biolek. Zum Achtzigsten hatte sie ihm (mit Hendrik Fritzler) ein warmherziges Fernsehporträt gewidmet. Ein Mentor war ihr ARD-Entree-Ermöglicher für sie gleichwohl nicht, weil er „was völlig anderes“ gemacht habe als sie, „nämlich eine Sendung, die von der Leichtigkeit des Gesprächs lebte“. Sie selbst habe sich schon immer für die „schweren, komplizierten Sachen“ interessiert: „Ich bin nicht so die Leichte.“ In „Menschen bei Maischberger“, wie dieser erste Talkshow-Aufschlag im Ersten hieß, auch mal mit einer Ernährungsberaterin Hühnchen ohne Fett anbraten, statt nur Polit-Personal rösten, war ihre Sache nicht. 2016 wechselte die Sendung nicht nur vom Dienstag auf den Mittwoch, sondern auch vom Unterhaltungs- ins Politik-Ressort des WDR. Und wurde damit politischer.
Die zweite große inhaltliche wie studiobauliche Veränderung folgte 2019 aus dem Gefühl heraus, „dass wir alle Talker im Prinzip Ähnliches verfolgen, nämlich das eine große Thema der Woche mit vier oder fünf, manchmal auch sechs Gästen zu bespielen“. Die redaktionelle Befreiung aus diesem Dilemma (oder sollte man eher von Überangebot sprechen?) war, mehr als ein Thema unterzukriegen, und zwar erstens mittels vertiefender Einzelgespräche, zweitens Gesprächen, in denen zwei sich streiten oder ergänzen, und drittens einem meist mit Journalisten besetzten Panel zuständig für Meinung und Einordnung. Diese drei Elemente gehen in den neuen Dienstag mit. „In welcher Gewichtung wir sie kombinieren, wird sich zeigen. Fernsehen ist ja im besten Sinne immer Versuch und Irrtum.“
Vor Dauerbeschuss ist auch sie, ebenso eine erfahrene Dompteuse, dennoch nicht gefeit. Talkshows im Politikfach stehen im Feuer, ein Selbstdarstellungszirkus zu sein, in dem jeder eine Rolle spielen muss. Sandra Maischbergers Wahrnehmung ist eine andere: Die Sendungen erführen „gerade in den letzten Monaten sehr viel mehr positive Resonanz als Kritik“. Und sie glaubt, dass sie alle in diesen Zeiten großer Unsicherheiten und Ängste einen „guten Job“ machten, den Menschen zu zeigen, ihr seid mit euren Sorgen nicht allein, wir greifen sie auf und hinterfragen politisches Handeln.
Aber gibt es da nicht auch andere Möglichkeiten, unkonventionell und überraschend?
Neulich grub ein Kritiker die alte Idee wieder aus, wie wäre es mit einem Rollentausch, bei dem jeder Gast die Gegenposition einnimmt und sich auf den Austausch von Argumenten vorab vorbereiten muss. Solchen Gedankenspielereien kann Sandra Maischberger nichts abgewinnen, „theoretische Idee und ein bisschen wirklichkeitsfremd“. Warum solle sie denn Herrn Hofreiter bitten, dass er den Standpunkt von Herrn Merz einnimmt, nur damit ein Kritiker mal etwas Neues geboten bekommt? „Von uns wird immer Authentizität verlangt. So ein Rollenspiel wäre nun wirklich nicht authentisch.“
Nichtsdestotrotz sei sie „immer offen für Neues“. Sie sehe auch, welche „unglaublich guten Möglichkeiten, Talkshow neu zu denken“, sich gerade bei den Dritten Programmen der ARD oder ZDFneo entwickelten. Eva Schulz‘ „Der Raum“-Konzept fällt ihr lobend ein und „13 Fragen“. Ihre Verantwortung sieht sie aber drin, für ein großes Publikum einen Diskurs darzustellen, wie er in der politischen Realität geführt wird: „Die Zeiten sind jetzt schon zu anspruchsvoll, als dass ich noch eine Locke drauf drehe, wie ich den Diskurs inszeniere.“
Zumindest in einem Punkt haben „die Kritiker“ ihr Ziel erreicht: Auch beim Maischberger-Talk bemüht man sich grundsätzlich, nicht mehr nur die alten, weißen Männer vom Kaliber eines Helmut Schmidt einzuladen, sondern „die Gesellschaft abzubilden, wie sie ist“. Über die Jahre sei man diverser geworden, sagt die Talk-Chefin, „ehrlicherweise auch, weil Interessengruppen ordentlich Druck und uns aufmerksamer gemacht haben“. Man achte „auf eine gute Mischung, ohne aber sklavisch irgendwelche Listen abzuarbeiten. Das wäre nicht im Sinne der Wahrheitsfindung“.
Der WDR-Rundfunkrat, der auch über solche Angelegenheiten wacht und von ARD-Ex-Talker Günther Jauch als „Gremlins“ verachtet wurde, wird’s wohlwollend registrieren. Die Erhöhung von Maischbergers Interviewintervall nickte er ab, steht ihr aber „grundsätzlich kritisch gegenüber“. Den Sender forderte das Gremium auf, in den nächsten Monaten einen Vorschlag für ein „alternatives Konzept“ zu erarbeiten, wie der Sendeplatz am Dienstagabend nach Ende von Maischbergers Vertragslaufzeit „strategisch sinnvoll gefüllt werden kann“. Der Vertrag endet 2023. Und dann?
„Wissen Sie“, sagt die prominente Vertragspartnerin des WDR, „ich denke immer nur bis zum Vertragsende. Was der Sender, beeinflusst vom Rundfunkrat, darüber hinaus entscheidet, liegt außerhalb meines jetzigen Interesses.“ Aber sie sei zuversichtlich, „dass wir auch den Rundfunkrat davon überzeugen können, dass wir keine Talkshow sind, in der nur gelabert wird, sondern dass wir im Moment eine wichtige Arbeit leisten, indem wir Orientierungshilfe in schwierigen Zeiten geben“.
Sie arbeite überdies lange genug vor der Kamera, schließt Sandra Maischberger, um zu wissen, „dass der Stuhl, auf dem wir sitzen, nie eine sichere Bank ist“. Man müsse sich seinen Platz immer von Neuem erobern und darauf vertrauen, dass die, die einen beauftragen, an die Qualität glauben. „Sollten mir deshalb graue Haare wachsen, wäre ich da falsch, wo ich bin.“
Apropos graue Haare, welche Auswirkungen hat die ARD-Attacke eigentlich auf Markus Lanz? Sein Redaktionsleiter und Fernsehmacherintimus Markus Heidemanns gibt sich entspannt. Die Kolleginnen und Kollegen in Köln machten „wirklich einen guten Job. Und die letzten 25 Jahre Talk haben mich gelehrt, dass Konkurrenz eigentlich immer das Geschäft belebt“.
Na dann, auf zum „Talkshow-Zoff“!