Dieses Kino im Kopf, das da im Videohintergrund Ute Biernats Gemälde an der Wand auslöst. Fürchterlich! Wie grausam! Es zeigt in Acryl und Öl auf Nessel eine Versammlung von Haus- und Wildschweinen, die sich über eine zerfetzte Jeans und gelbe Gummistiefel hermacht. Was, wenn es sich hier nicht um die Überbleibsel des Bauern handelte, sondern die von Dieter Bohlen?
„Nein, nein, nein!“, wird die Bildbesitzerin die Assoziation eiligst zerstreuen, „ich werfe niemanden zum Fraß vor. Ich warte auch nicht, bis jemand unter die Räder kommt, bevor ich eingreife.“
Puh, gut zu wissen.
Die einen sagen, wurde höchste Zeit, die anderen, wie unklug der Cut – und fühlen sich bestätigt durch den Komplett-Absturz, der dem ersten „Supertalent“ ohne Bohlen im Herbst widerfahren ist. Und was sagt Ute Biernat dazu, die von Anbeginn mit Dieter Bohlen zu tun hatte?
Vorneweg: Dass sie ihn zum Fressen gerngehabt hätte, kann man sich schwer vorstellen. Denn was aus den Kulissen zu hören ist, uiuiui. Immer wahnsinnig viel Trubel soll es gegeben haben, allein wegen diverser „Extra-Anforderungen“. Dieter passt das Hotel nicht, Dieter will 5 Sterne, Dieter will die Familie mitnehmen, Dieter will mit dem Hubschrauber abgeholt werden. Kostspielig, schwierig. So was muss doch die härtesten Produzentinnennerven strapazieren, oder?
Total reizender Marketingkopf
Die Vokabeln, die Ute Biernat einfallen, sind andere: „Total reizend“ sei der Dieter, ein „absoluter Marketingkopf“, der wisse, wie man Musik und Menschen groß macht, und natürlich auch, wie er sich selbst gut verkauft. Ein „gutes Auge für Talente“ habe er dazu. Aber auch das sei der Dieter, ergänzt die Produzentin mit einem Lachen: Dass man ihm nichts sagen könne, ihm also kaum Einhalt gebieten könne, wenn er verbal mal wieder über die Stränge schlägt, „und das ist auch richtig so. Sonst hätte man nicht Dieter“.
Ihre Schmeichelei schließt Biernat damit ab, dass „Dieter sehr, sehr, sehr wichtig“ gewesen sei für „DSDS“: „Da beißt die Maus überhaupt keinen Faden ab, wir haben ihm viel zu verdanken.“ Das gestehe sie „überall und sofort“. Wie lange allerdings jemand dabeibleiben müsse, tja, „dafür gibt’s kein Rezept.“
Sie selbst hält sich seit Jahrzehnten in leitender Position bei der UFA, ist fast schon, um eine Stimme aus ihrem Umfeld zu zitieren, „eine Merkel der Showbranche – und wahrscheinlich auch mit ähnlichen Fähigkeiten ausgestattet“. Das „sich nicht selbst die Finger verbrennen“, sondern „die Kämpfe andere ausfechten lassen“ hat Ute Biernat gerade in Konfrontation mit der auf Spitzenebene sehr männerbasierten Branche auf jeden Fall weit gebracht. Sobald die Jobs interessant werden mit einem gewissen Honorar und mit einer gewissen Verantwortung, wird es ja im Bertelsmann-Kosmos, zu dem Biernats UFA Show & Factual zählt, auffallend dünn und dünner.
Schäferkordt, Jäkel, jetzt auch noch Julia Reuter – was Biernat über den Managerinnenschwund in ihrem Konzernumfeld denkt? Die Beweggründe kenne sie nicht, weil sie nicht mit den handelnden Personen gesprochen habe. Aber was sie aus ihrer Erfahrung weiß: „Viele Frauen neigen dazu, lieber den Koffer zu packen, bevor sie sich irgendwo einsortieren lassen.“
Natürlich habe es Stadien auch in ihrer Karriere gegeben, wo sie „unruhig“ wurde und „Neues wollte“. Und wo sie bisweilen „interessante Gespräche“ führte. Doch Dasselbe woanders nur mit einem schicken Titel und noch mehr Geld? „Ein Mann würde sofort sagen, mach ich. Für mich war klar, ich wechsle nur, wenn ich erstens mehr machen kann und zweitens zu einem Zeitpunkt gehe, den ich selbst bestimme und nicht, weil es gerade passt. Ich werde nicht in einem laufenden, von mir sehr geliebten Projekt die Flinte ins Korn werfen, sorry, ich führe Dinge gerne zu Ende.“
Wäre es nach ihrem Vater gegangen, dann hätte Ute Biernat mit dem „Show-Ding“ grundsätzlich gar nicht erst angefangen. Dann wäre aus der 1960 in Oelde geborenen Münsterländerin nicht eine der wichtigsten Showproduzentinnen geworden, sondern eine brave Juristin.
Redakteurin im Doku-Fach wurde sie nach dem Studium, bis sie an den Punkt kam, wo sie dachte: Ob ich jetzt noch eine Doku mache oder in China ein Sack Reis umfällt, das interessiert niemanden. Ich muss mich verändern. Und die größte Veränderung war für sie in Richtung Unterhaltung.
In Neuseeland, Australien, USA, also dort, wo das TV-Entertainment quasi erfunden wurde, schaffte sich die Anfang 30-Jährige Anfang der 90er Expertise drauf. Bei CNN ließ sie sich sogar zur Moderatorin ausbilden, aber wer sie einmal erlebt hat, wie ihr bildreicher Redefluss praktisch nie versiegt, wie empathisch und laut sie sich gibt, ne, das hätte zumindest am News-Desk eher nicht gepasst. Back home rutschte Biernat dann ins Produzentengeschäft, sechs Jahre Aufbauarbeit von der Freelancerin über die Senior Executive Producerin bei Pearson Television bis zur Chefin der UFA Show, die 2010 mit der UFA Entertainment zur heutigen UFA Show & Factual verschmolz.
Sie liebe die Internationalität an diesem Konstrukt, in der die deutsche UFA mit der britischen Fremantle nebst diversen europäischen Ablegern unter einem Dach vereint ist, schwärmt die UFA-Produzentin. In einem ganz kleinen Unternehmen könnte sie nicht tätig sein. „Für Unterhaltung braucht es Power im Kreuz. Weil das Business wahnsinnig schnell geht und weil man auch viel Geld investieren muss, wenn man vorne mitspielen will.
Wie so häufig fängt der große Wurf manchmal nur mit einer Serviette an. Auf eben solcher sollen Simon Fuller und Biernats früherer Weltweit-Chef bei Pearson, Alan Boyd, das Konzept für „Pop Idol“ skizziert haben. Als „Deutschland sucht den Superstar“ brachte sie es dann im November 2002 ins deutsche Fernsehen. Es war die erste große Show, die sie als Geschäftsführerin der damals noch Grundy Light Entertainment genannten UFA-Tochter betreute.
Dieter am Klavier an der Schanze in Oberstdorf
Obwohl im englischsprachigen Ausland schon ein proven success, tat sich der Show-Import hierzulande anfangs schwer, sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern. Die „Süddeutsche Zeitung“ verballhornte „DSDS“ zu „Deutschland sucht das Suppenhuhn“. Musik im Fernsehen? Eher ein Abschalter – bis zu diesem einen Auftritt, den Ute Biernat nie vergessen wird: „Günther Jauch moderierte die Vierschanzentournee auf RTL. Neujahr 2003 standen wir also an der Schanze in Oberstdorf mit Dieter am Klavier und unseren Top Ten, die We have a dream schmetterten. Ab da ging’s mit ,DSDS‘ durch die Decke.“
Sentimentalität schwingt mit, wenn sie in dem ihr ureigenen Denglisch sagt: „Let’s face it: Heute würde kein Sender mehr gleich 15 Samstagabende für ein neues Projekt freiräumen. Hier mal ein Abend, dort mal zwei, vielleicht vier, aber dann gibt es schon Herzklopfen.“
Let’s face it: Ein veritabler Pulstreiber war „DSDS“ allemal. Insbesondere Bad Boy Bohlens Verbalinjurien alarmierten die Jugendschützer. Zwar beruhigte sich der Chefjuror über die Jahre, ob aus Altersmilde oder auf sanften Druck von RTL. Dafür flogen kurz hintereinander die Ko-Juroren Xavier Naidoo und Michael „der Wendler“ wegen ihrer Entgleisungen raus. Das Image von RTL war ramponiert. Und auch das der UFA Show & Factual?
„Uns als Firma mag die Sache innerhalb der Branche geschadet haben, aber nicht nach außen“, sagt Ute Biernat, „den ersten Hieb kriegt immer der Sender ins Gesicht. Dort entlädt sich der Shitstorm zuerst.“ Wenn’s funktioniert, fügt sie lachend hinzu, „kriegt der Sender wiederum auch als erster den Goldstaub ab.“
Allein aus diesem Sprachbild lässt sich unschwer ableiten, in welch kompliziertem Spannungsfeld Ute Biernat in all den Jahren zwischen ihren eigenen Interessen als Produzentin und denen des Senders agieren musste, der ja letztinstanzlich bestimmt, wie „DSDS“ und das „Supertalent“ auszusehen hat. Über den Beziehungsstatus zu RTL sagt sie fröhlich und spontan: „Kennen Sie eine Beziehung, die 20 Jahre läuft und keine Krise hat? Ich nicht.“ Dann wird sie ernster: „DSDS ist eine Marke. Jeder Produzent und jeder Sender will gerade in Zeiten wie diesen Marken erhalten und nicht kaputtmachen.“ „DSDS“ sei so wie die Daily Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, die ebenso aus dem Hause UFA stammt, „ein Anker im RTL-Programm“. Der werde vielleicht nicht noch weitere 20 Jahre halten. „Aber es gab nie den Punkt: weg damit“. So wie mit dem US-Pendant „American Idol“ geschehen, das nach einer Pause von Fox zu ABC wechselte.
Über den Entschluss RTL-seits „weg mit Bohlen“ war Ute Biernat natürlich frühzeitig informiert und doch schon „ein wenig überrascht“: Machen die jetzt bei RTL ernst? So schnell? Wir sind zwei Wochen vor dem Finale der 18. Staffel. Geht das nicht danach?
Ging wohl nicht. Ging auch nicht gut, trotz Thomas Gottschalks beherztem Einspringen in den letzten beiden Ausgaben von „DSDS“, den Biernat übrigens sehr gut kennt. Seinen Versuch, im ARD-Vorabend mit einer Talk-Sendung Fuß zu fassen, hat sie damals produziert. Auch das ging nicht gut. Die Gründe dafür hat sie (oder will sie) auf die Schnelle nicht parat (haben). „Ach, da müsste ich nach 10 Jahren in die Tiefen der Vogesen gehen. Ich bin aber gerade so was von nach vorne gerichtet.“ Es beruhige sie jedenfalls sehr, "dass der Flop Thomas nicht geschadet hat und dass er nach wie vor ein Gigant am deutschen Fernsehhimmel ist“.
Okay, dann schauen wir eben, so wie Ute Biernat, nach vorn.
Das neue „DSDS“ präsentiert sich, wie zuvor das „Supertalent“, mit großen Veränderungen. Location, Jury – auch hier vieles neu. Was dem „Supertalent“ offenbar das Genick brach, dass also offenbar zu viel Veränderung war und Dieter Bohlens Fangemeinde „auf der Hacke kehrt machte“, was Biernat „korrekt und nachvollziehbar“ findet, das wird ihrer Meinung nach (oder Hoffnung?) bei „DSDS“ nicht eintreten: „DSDS hat den Vorteil, dass die Zuschauer das Singen schneller einordnen können: gefällt mir, gefällt mir nicht.“
Ein on-going-train sei „DSDS”, sagt Ute Biernat noch. Mental sei sie schon mit der 20. Staffel beschäftigt. Sie glaubt, dass in der Show „noch viel Musik drin ist, im wahrsten Sinne des Wortes“. Auf die Frage, ob sie je die Lust an dem Format verloren habe, antwortet sie mit einem Sprachbild: „Wenn man zu häufig Schnitzel isst, ist man es irgendwann gewohnt, aber man verdammt es nicht für alle Ewigkeit. Der Appetit kommt wieder.“
Schnitzel? Vom Schwein? Oh, nein!