Gut möglich, dass Jona Teichmann in diesen politisch angespannten Tagen ein wenig die Wehmut packt. Mit Aufnahmegerät und Mikrofon direkt an der Front sein, aus Parteizentralen berichten, Interviews führen, so wie damals, als sie zu Bonner Republikzeiten für den WDR als bundespolitische Korrespondentin unterwegs war – so was hat ihr „immer großen Spaß“ bereitet. Andererseits ist aus der Radioreporterin von einst längst eine Führungskraft geworden, die nicht mehr selber Radio macht, sondern Radiomacher führt.
Seit einem halben Jahr tut Jona Teichmann das als Programmdirektorin des Deutschlandradios mit seinen drei Programmen Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova an den Standorten Köln und Berlin. Es ist ein selbstbewusstes Haus, das viel auf seine Kreativität und Intellektualität hält, auf seine Offenheit und Unabhängigkeit, nicht zuletzt auf seine Alleinstellung als nationaler Hörfunk.
Wie groß der Spaßfaktor dort für sie ist?
Sagen wir: Er könnte größer sein, hätte Jona Teichmann bessere Startbedingungen gehabt. Wenn ich im Frühjahr beim Deutschlandradio anfange – diesen völlig irrationalen Gedanken hatte sie tatsächlich, als im November 2020 ihre Berufung fix war – dann hat sich das mit Corona weitgehend erledigt. Denkste. Jetzt lernt sie ihren neuen Sender halt überwiegend nur per Videokonferenz kennen mit Menschen, die erstmal nur eine Kachel auf dem Bildschirm sind so wie sie selbst in diesem „Nahaufnahme“-Gespräch. „Das hat mich zwischendurch schon ein bisschen frustriert“, gibt sie zu, aber „das geht auch“.
Hätte es ihren Vorgänger auf dem Direktorenposten, Andreas-Peter Weber, nicht zu Höherem gedrängt, nämlich Intendant werden vom Saarländischen Rundfunk (was letztlich nicht klappte), dann wäre Jona Teichmann, die 1963 im rheinländischen Mettmann geboren wurde, womöglich dort geblieben, wo sie die ersten 35 Jahre ihres Berufslebens verbracht hat: im WDR. Ihre letzte Station: Chefredakteurin Hörfunk und in Personalunion Wellenchefin von WDR 5 mit der Zusatzaufgabe, alle Info-Programme innerhalb der ARD-Radios zu koordinieren.
Ja, sie sei schon jemand, der treu ist. „Wenn Sie es negativ formulieren: vielleicht ein bisschen phlegmatisch.“ Andererseits habe es beim WDR an Herausforderungen und spannenden Aufgaben für sie nie gemangelt. „Ich war immer mit großem Spaß dabei. Oder, um mal einen Satz von Sonia Mikich [WDR-Fernsehchefredakteurin a.D.] zu kopieren: Ich war eine loyale WDR-Soldatin – jetzt bin ich eine loyale Deutschlandradio-Soldatin.“
Ihren Wehrdienst, um im militärischen Bild zu bleiben, absolvierte Jona Teichmann in Dortmund. Politikwissenschaft und Journalistik studiert sie. Eine gute Entscheidung, auch aus privater Sicht. Schon am ersten Tag an der Uni lernt sie ihren späteren Ehemann kennen. 1990 heiraten Jona Teichmann und Jörg Schönenborn. Es ist eine Studentenliebe offenbar mit Mindesthaltbarkeitsdauer bis in alle Ewigkeit. Im nächsten Leben, hat Teichmann einem journalistischen Fachmagazin kürzlich verraten, würde sie „mit demselben Mann verheiratet sein“. Wenn das nicht Romantik pur ist?
Die Abteilung Klatsch & Society würde über Teichmann/Schönenborn schreiben: „Power Couple“ und vielleicht noch das Adjektiv „skandalfrei“ hinzufügen. Der aus ARD-Wahlsendungen wohlbekannte Jörg Schönenborn erklomm 2019 eine der höchsten Sprossen unterhalb der WDR-Intendanz: „IFU-Direktor“ ist er seither, was aus dem WDR-Jargon übersetzt Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung bedeutet. Gemeinsam leben sie – du liebe Güte! – in Hilden in einem Haus mit Garten. Leute, die in Köln-Sülz oder Ehrenfeld leben, fänden das „total schräg“, aber Jona Teichmann steht dazu: „Ich bin eine Kleinstadtpflanze.“ Und es helfe ihr in Debatten, „hin und wieder die doch sehr urbane, Köln-zentrierte Denke in der Redaktion zu brechen“.
Schönenborn beim Fernsehen, sie beim Radio – ist das eigentlich eine absichtlich getroffene Arbeitsteilung? Da muss Jona Teichmann ausholen: „Dass ich überhaupt zum Radio gekommen bin, liegt an meinem Mann.“ Sie selbst wollte ursprünglich zur Zeitung. Eine Karriere bei der „Rheinischen Post“ hätte ihr gut gefallen. Aber Schönenborn überredete sie, komm, bewirb dich für ein Volontariat beim WDR, mach das, das ist super.
Super lief es dann lange für beide Ehepartner. Sie fing nach dem Volo als Redakteurin in der Hauptabteilung Aktuelles bei WDR 2 an, er wurde Reporter im Regionalstudio Wuppertal – mit baldigem Wechselwunsch zur Aktualität nach Köln. Aber ein Ehepaar in derselben Redaktion? „Dat wäre nicht gegangen“, sagt Teichmann in ihrem sympathisch-kumpeligen Ruhrpottton. Also orientierte sich Schönenborn in Richtung Fernsehen. „Da ist dann bekanntlich auch wat draus geworden“, aber „schade eigentlich“, ihr Mann sei „ein sehr guter Radioreporter“ gewesen. Ob aus ihr vice versa eine gute Fernsehmoderatorin geworden wäre? Das weiß sie nicht. „Ich fühle mich schon ganz wohl beim Radio.“
Wann der Zeitpunkt war, als sie sich im WDR nicht mehr ganz so wohlfühlte?
Es könnte 2013 begonnen haben. Tom Buhrow, frisch gewählt auf den WDR-Intendantensessel, traf seine ersten Personalentscheidungen. Fernsehchefredakteur Schönenborn war als neuer Fernsehdirektor schnell gesetzt. Für die Leitung der Hörfunkdirektion empfahl sich eine weitere interne Lösung: Jona Teichmann, damals Leiterin der NRW-Studios. Aber ein Ehepaar auf derselben Führungsebene? Man ahnt es: Dat wäre nicht gegangen. Also zauberte Buhrow Valerie Weber aus dem bayerischen Privatradio herbei. Am weiteren organisatorischen Groß-Umbau des WDR zum multimedialen Medienhaus war Jona Teichmann maßgeblich beteiligt. Und genau von dieser Managementfertigkeit will nun das Deutschlandradio profitieren.
Umstrukturierungen stehen auch beim nationalen Hörfunk an. Es soll zunehmend „standortübergreifend“ gearbeitet werden. Sprich: Köln und Berlin sollen enger zusammenrücken und ihre fachliche Expertise bündeln. Das findet Teichmann richtig, denn um in der digitalen Welt bestehen zu können, brauche es exklusive Inhalte. Ihre Aufgabe werde sein, diesen Prozess weiterzutreiben. Anleiern müsse sie ihn zum Glück nicht. „Da ist schon einiges vor meiner Zeit auf die Schiene gebracht worden.“
Überhaupt, das betont Jona Teichmann immer wieder, hätten sie sich beim Deutschlandradio mit Themen auseinandergesetzt, noch bevor sie dort aufgeschlagen sei. „Die müssen das nicht erst von mir lernen“, sagt sie mit einem Lachen. Das mit der Diversität zum Beispiel.
„Jünger, weiblicher und kulturell wie sozial vielfältiger“ müsse Deutschlandradio werden, zitierte der Sender seine neue Programmdirektorin zum Antritt. Der Anspruch müsse sein, „die verschiedenen Potenziale und Perspektiven für alle nutzbar zu machen“. Ein erster Schritt zur sozialen Vielfalt wurde unter Teichmanns Vorgänger unternommen. Um nicht mehr nur Personal aus der urbanen Akademikerschicht zu rekrutieren, wird seit dem Vorjahr etwa bei der Ausschreibung fürs Volontariat kein Hochschulabschluss mehr eingefordert.
Wie in einer Wohngemeinschaft hätten sie bei Funkhaus Europa „auch mal laut gestritten, geweint“ – und in den besten Momenten dennoch „ganz tolle Dinge“ hervorgebracht. Sie selbst entwickelte zum Beispiel mit Danko Rabrenovic die Sendung „Der Balkanizer“, bei der sie parallel zur Gesamtleitung des Funkhaus-Programms auch die Redaktionsleitung übernahm. „Es war mehr als ein Radioprogramm, was da entstanden ist.“
Spricht man mit Weggefährten aus jenen Aufbaujahren, erinnern sie sich an eine sehr faire, stets gesprächsbereite und bestens organisierte Chefin. In Sitzungen habe Teichmann aufmerksam zugehört und Notizen in ihre orangefarbene Kladde geschrieben. Beeindruckt hat, wie sie immer den Überblick behalten habe: Wow, die Frau hat’s voll im Griff.
Und nichts weniger als das erwartet nun vor allem die junge Belegschaft. Einen „Appell der Konstruktiven“ haben sie an Jona Teichmann verfasst (es ist der zweite dieser Art): Diverser müsse der Sender werden und unbedingt digitaler, steht da unter anderem drin. Ein erster Video-Austausch mit den Unterzeichnern fand kürzlich statt. Sie hätten ihr „da ein bisschen was auf den To-Do-Zettel mitgegeben“, untertreibt Teichmann. Doch die Botschaft sei angekommen: „Wir müssen uns besser kümmern, damit es keinen Brain Drain beim Deutschlandradio gibt.“
Was sie in diesem ersten halben Jahr noch mitbekommen hat: „Hier wird intern echt gut miteinander diskutiert. Die Leute haben Lust drauf und streiten gerne.“ Das habe man ihr „auch gleich zum Start so serviert, dass ich das wissen muss und auch gerne befördern soll“.
Das klingt doch nach wirklich großem Spaß, oder?