Neuerdings wird freitags im Ersten schon kurz nach neun die Pfeffermühle überm Teller gedreht. Es dauert nicht lang, höchstens fünf Minuten: Ohhh, hmmm, ahhh, lecker, fertig. Ein kulinarischer Quicky sozusagen im Vergleich zu den langen Kochpornos, mit denen Vox ganze Sonntagabende füllt. "Schwarzwurzel mit Chermoula" oder "Patata Tomata" wird da ganz fix zubereitet. Das klingt doll und soll doll einfach sein, obwohl die Rezepte von einem Franzosen stammen, der in Köln ein Lokal mit zwei Michelin-Sternen betreibt. Vielleicht wird "Kochen mit Stern", wie diese neue Rubrik im ARD-Magazin "Live nach Neun" heißt, einmal als "die kürzeste Kochshow der Welt" in die Fernsehannalen eingehen. Auf jeden Fall spült sie genau von dort einen vergessen geglaubten Protagonisten wieder an die Oberfläche, den die einen "Hacki" nennen, die anderen "Held meiner Jugend". Und die dritten fragen: "Wo habt Ihr denn den Thomas her?"
Fantastische Frage! Zumal wenn man in der Wikipedia, wo Wahrheit oft Glückssache ist, unter "Thomas Hackenberg" liest, dass eben jener "deutsche Schauspieler, Moderator und Autor", der seinen Durchbruch in den Neunzigern in der RTL-Verbrauchershow "Wie bitte?!" hatte und später auf Kabel Eins das "Quiz Taxi" fuhr, sich aus Hörfunk und Fernsehen "zurückgezogen" hat. Das muss geklärt werden. Rückzug vom Rückzug? Darf man zum TV-Comeback gratulieren, Herr Hackenberg?
Die erste große Party erlebte Thomas Hackenberg im Paläozoikum des Privatfernsehens. RTL gab damals das Geld mit vollen Händen aus, um es den Öffentlich-Rechtlichen mal so richtig zu zeigen. Über Behördenwillkür und Kundenabzocke machten die jungen Wilden aus Köln für den späten Samstagabend die von der BBC abgeschaute Show "Wie bitte?!", die sich immer auf die Seite der Geneppten schlug und der Geert Müller-Gerbes, Gott hab‘ ihn selig, als Moderator ein journalistisch-seriöses Antlitz gab. Die Feuerwehr von Ruppichteroth braust mit vier (!) Löschzügen an, um ein Pferd aus der Grube zu retten? Die Telekom, der Lieblingsfeind von "Wie bitte?!", hat sich mal wieder mit dummen Mahnschreiben blamiert? Im Live-Sketch auf der Studiobühne gab das Ensemble Aktion und Akteure der Lächerlichkeit preis.
"Nostalgie ist beim Fernsehen ein Gaul, auf den man als TV-Macher nicht wetten sollte. Außer, man plündert das Archiv."
Von Anfang an mit dabei: dieser vorwitzige Typ aus dem Radio, der so aussah wie Tim, nur ohne Struppi. Hackenberg war gerade 30 und bei WDR1, das später zu 1Live wurde, ein Nachwuchstalent. "Wie bitte?" machte ihn schlagartig fernsehberühmt. Die Sendung traf damals einen Nerv, erinnert sich Hackenberg, weil sie für viele Leute Relevanz hatte: "Gerade in den neuen Bundesländern fehlte die Erfahrung, wie man damit umgeht, wenn man mit einem Abo gleichzeitig eine Lebensversicherung und einen Kühlschrank kauft, aber keine Service-Rechte." Auf YouTube, wo Schnipsel konserviert sind, wird "Wie bitte?!" laut Kommentaren schwer vermisst, "nur die Besten sterben jung" und so. Ob so eine Verbrauchershow auch heute noch funktionieren würde? "Auf keinen Fall in diesem Look, den wir hatten", sagt Hackenberg bestimmt, "das war eine Mischung aus Werner Schulze-Erdel und RTL-Fanclub." Einige hätten es ja versucht, die Sendung aufzufrischen. Er sei aber kein Freund davon, alte Sendungen wieder herauszuholen. "Das ist was für Nostalgiker. Aber Nostalgie ist beim Fernsehen ein Gaul, auf den man als TV-Macher nicht wetten sollte. Außer, man plündert das Archiv."
Weil "Wie bitte?!" Ross und Reiter nannte, was für das eine und andere Unternehmen nicht so angenehm war, wurden die Werbepausen zwischen den Sketchen immer kürzer. Gerhard Zeiler, frisch ins RTL-Management eingezogen, machte Ende der Neunziger kurzen Prozess. Die Verbrauchershow verschwand aus dem Programm, und niemand hatte Thomas Hackenberg mehr auf dem Zettel, obwohl er über einen Rahmenvertrag noch an den Sender exklusiv gebunden war. Er näherte sich inzwischen der 40 und kam ins Grübeln: Und jetzt? Geht da noch was? Warum bist du nicht mehr dabei? Findest du noch statt? "Für mich zu begreifen und anzunehmen, dass das mit dem Fernsehen erstmal vorbei ist, fiel mir damals schwer", gibt er offen zu. Natürlich war sein Ego gekränkt. Abgesehen davon drückte die eine und andere Verbindlichkeit. Aber zu seinem Glück hatte er nie vom Radio gelassen.
Der aufbrausende Größenwahn des ersteren ist ihm, soweit man das aus der Ferne beurteilen kann, nicht eigen. Aber komisch sein wie Sir Peter, das kann er. Das erkannte auch Kabel Eins, wo 2006 für Thomas Hackenberg eine Party begann, die zwei Jahre ging. Wildfremde lud er ins Taxi ein, um mit ihnen um Geld zu quizzen. Nach ein paar Anlaufschwierigkeiten ging das "Quiz Taxi" gut ab, denn das Vorabendformat brachte eine entscheidende Qualität Hackenbergs hervor: Er funktioniert sehr gut in der Alltagssituation, weniger auf der großen Showtreppe. Er weiß um die richtige Mischung zwischen Unterhaltung und Information und hat den richtigen Draht zu den Kandidaten. Nach 750 Folgen Chauffiererei einschließlich Specials unter Mallorcas sengender Sonne war auch damit Schluss. Die Finanzkrise rollte an. Und Thomas Hackenberg widmete sich bald einer Nebenkarriere: Er wurde Coach. Aber ohne die Tschakka-Nummer, wie er betont.
Es ist ein diskretes Business, dem er nachgeht, weshalb er eigentlich nicht so gerne in die Tiefe gehen möchte. Vom CEO bis zur Klinikleitung, von der Wissenschaftlerin bis zum Moderator kommen sie zu ihm, um, vereinfacht gesagt, angemessene Kommunikation zu lernen. Dazu gehört neuerdings auch, wie man per Zoom kommuniziert. Eine Videokonferenz ist ja nichts anderes, wie wenn das Fernsehen in die eigene Stube schaut. Und wie man das am besten macht, damit kennt sich Fernsehprofi Hackenberg bestens aus. "Sie ahnen ja nicht, wie viele Leute wichtige Entscheidungen an ihre Teams vom Kinderzimmer aus übermitteln", plaudert er aus dem Nähkästchen. "Wenn aber im Hintergrund das Poster der Tochter zu sehen ist, geht der Blick spazieren und damit auch die Prägnanz des Vortrags. Dieses 'ich bin so, wie ich bin' geht in solchen Zusammenhängen meistens schief."
Sein eigener Hintergrund für dieses Interview ist übrigens: eine unifarbene, petrolfarbene Tapete quasi als analoger Blue Screen und er perfekt angeleuchtet davor. Von Zoom-Tipps für die Interviewerin ("das Bild in der Ecke würde ich wegräumen") schweift man mit ihm dann doch minutenlang ab in den faszinierenden Maschinenraum des Coachings, landet beim Candy Crush spielenden "Ramelowchen" und beim unter Fernsehgesichtspunkten "grandios inszenierten" Armin Laschet auf dem CDU-Parteitag. Aber genug abgewichen. Wir waren ursprünglich beim Kochen. Warum noch mal braucht das deutsche Fernsehen "Kochen mit Stern", Herr Hackenberg?
"Das deutsche Fernsehen braucht gar nichts. Das kommt auch gut ohne uns zurecht", antwortet er brav, "aber mit uns ist schöner". Besonders schön und wichtig sei für ihn immer, mit wem er was mache. In diesem Fall handelt es sich um seinem guten Freund Vincent Moissonnier und den nicht minder guten Freund Stefan Vobis von der Vobisfilm, den Hackenberg aus "Quiz Taxi"-Tagen kennt. Wenn man mal grob zusammenfassen darf: "Kochen mit Stern" gibt es aus purem Egoismus. Thomas Hackenberg isst sehr gerne und das am liebsten in Vincents Sternerestaurant. Als der erste Lockdown kam und das endgültige Aus für Hackenbergs kulinarisches Laster drohte ("Während andere Leute sich einen Flachbildschirmfernseher oder Alufelgen vom Mund absparen, spare ich lieber, um gut essen zu gehen"), drehten sie erste kleine Clips für den Lieferservice vom "Le Moissonnier" und stellten fest: Vincent und Thomas gemeinsam vor der Kamera, das klappt gut. Avec Pfiff. Über Umwege landete die Idee in der Redaktion von "Live nach Neun".
Vorerst zwölf Folgen "Kochen mit Stern" hat der WDR gebucht. Welche Fernsehparty folgt danach? Er habe das ganze Fernsehmachen "ehrlich gesagt gar nicht vermisst", sagt Thomas Hackenberg. Aber seit er für dieses Projekt wieder vor der Kamera stehe, merke er: "Boah, das macht ja wieder irre Spaß. Und eigentlich noch mehr Spaß als früher. Vielleicht, weil ich keine Nachwuchskarriere anstrebe." Gut, mit 58 wäre das ja auch ein bisschen albern. Für eine "Alterskarriere" fühlt er sich indes noch zu jung. Er befinde sich in einem "Zwischenkarriere-Nirwana". Ein "angenehmer Zustand", sagt er zum Abschied, "von mir aus kann das so bleiben".