Es ist kein Geheimnis, dass die deutsch-französische Freundschaft auf politischer Ebene zuletzt etwas erlahmt ist. Macron und Scholz sind malheureusement keine dicken Freunde geworden und wie es unter einem Kanzler Merz wird, on verra. Zumindest in einem Punkt scheinen sich Deutschland und Frankreich seit Macrons Deutschlandbesuch im vorigen Mai absolut einig zu sein: dass Arte, der gemeinsame Kultursender, in Europa wachsen soll. Die Führung dieser Aufgabe fällt Heike Hempel zu.

Zum Jahreswechsel ist die 1965 in Kassel geborene Deutsche als Präsidentin im Arte-Vorstand aufgerückt. Der Posten an der Senderspitze in Straßburg wechselt regelmäßig zwischen der deutschen und der französischen Seite. Im Jahr zuvor assistierte Hempel noch dem Franzosen Bruno Patino, der jetzt ihr Vize-Präsident ist.

Die Arte zugrundeliegende deutsch-französische Zusammenarbeit sei „gerade jetzt politisch essenziell“, ließ sich Hempel nach ihrer Wahl durch die Mitgliederversammlung mit durchaus angebrachtem Pathos zitieren. Und dass es ihr „am Herzen“ liege, das Angebot des Senders „noch digitaler und europäischer“ auszurichten.

Nur, wie soll das gehen? Strukturell, finanziell, kulturell und rein praktisch?

Dass Heike Hempel Sendermanagement kann, beweist sie spätestens seit 2008 in ihrem auch nicht gerade anspruchslosen Job beim ZDF als Leiterin der Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie II, den sie während ihrer vierjährigen Arte-Präsidentschaft beibehält. Aber wie gut versteht sie eigentlich die Franzosen und die mitgemeinten Französinnen? Und hat sie, auf der Schwelle zur 60, Superkräfte entwickelt?

Letzteres leider nein, gibt die mutmaßliche Superwoman offen zu, als wir uns am Vorabend des Weltfrauentags sprechen. Ihre Arbeit im ZDF habe sie mit den Leitungen ihres gut 60-köpfigen Teams so strukturiert, dass diese jetzt mehr Aufgaben übernehmen und selbst verantworten. Das klappt auch, wie sie findet, „sehr gut, weil wir schon länger zusammenarbeiten und gemeinsam führen“. Vertrauen sei hier „die wichtigste Währung“.

Und dennoch, es gebe Tage, an denen sie denke: Oh, das ist wirklich wahnsinnig viel, wie soll das gehen? Aber meistens freue sie sich darüber, dass sie die Möglichkeit habe, zwischen den beiden Welten zu wechseln: „Die eine gibt mir Kraft und Inspiration für die andere.“

Heike Hempel © ZDF/Tim Thiel
In den ersten Märztagen war Heike Hempel, wie fast jede Woche, in dieser anderen Welt unterwegs, in Straßburg, wo sie die beiden, wie man bei Arte sagt, „Pole“ zusammenhalten muss. Von außen ist das binationale Senderkonstrukt Arte GEIE zwar ein Unternehmen, hat aber mit Arte Deutschland in Baden-Baden und Arte France bei Paris insgesamt drei Standorte.

Just aus der französischen Hauptstadt kam der deutsche Botschafter zu Besuch. Seinem Post auf X nach muss ihn die Truppe im Glaspalast an der Ill schwer begeistert haben. Überschwänglich lobt Stephan Steinlein das „spannende Gespräch“ mit Heike Hempel über neue Formate und die innovative Herangehensweise, um den öffentlich-rechtlichen Gemeinschaftssender für ganz Europa zu öffnen.

Gefühlsausbrüche wie die des Monsieur l’Ambassadeur sind der aktuellen Hausherrin nicht fremd. Seit 2021, als sie als Mitglied der Mitgliederversammlung und der Gesellschafterversammlung von Arte Deutschland in den deutsch-französischen Fernsehkosmos eintrat, weiß Hempel: „Grundsätzlich ist es so, dass Arte die Herzen höherschlagen lässt, als wäre es eine bessere Form unseres Mediums.“ Bereits zur Vize-Präsidentschaft hätten sie Menschen aus der Branche „immer mit einem Glanz in den Augen“ beglückwünscht. „Arte ist ein kleiner Sender, aber mit einer großen Ausstrahlung.“

Nicht, dass ihr das nicht auch beim ZDF passiere, beteuert Hempel auf Nachfrage. Sie stoße auch auf Begeisterung, wenn sie für das ZDF unterwegs sei. Aber Arte habe eben „so ein Flair wie eine gehypte Untergrundorganisation“.

Tja, dieses Arte muss wirklich magische Kräfte haben.

Von dem inzwischen vom Präsidenten in die Vize-Rolle gerutschten Bruno Patino ist die Selbsterkenntnis überliefert, dass er durch Arte „mehr Deutscher als Franzose“ geworden sei, was zumindest die Leitung von Meetings betrifft: Während man in Frankreich denke, je länger es dauert, desto besser, würden Deutsche sich nie ohne Tagesordnung zusammensetzen. Er organisiere inzwischen, typisch deutsch, alle Wortmeldungen in den Sitzungen im Voraus.

Interkulturelle Fahrpraxis

Funktioniert die kulturelle Aneignung auch andersrum? Heike Hempel lacht: Ja, Bruno zeige in der Tat einige klischeehafte deutsche Eigenschaften, zum Beispiel dass er sehr pünktlich sei. Ob sie vice versa französischer werde und was das überhaupt bedeute, könne sie wahrscheinlich erst in ein paar Jahren bewerten, „vielleicht ist das ein schleichender Prozess“. In jedem Fall, findet sie, würden Patino und sie sich in der Zusammenarbeit „als deutsch-französisches Tandem sehr gut ergänzen“.

Möglicherweise liegt das auch daran, dass Heike Heimpel, um im Bild zu bleiben, einfach schon sehr viel interkulturelle Fahrpraxis hat aufgrund ihres familiären Hintergrunds.

Es muss um den Herbst 2001 gewesen sein, als aus der beruflichen Begegnung der damaligen ZDF-Leiterin des Kleinen Fernsehspiels mit dem FAZ-Journalisten Nils Minkmar l’amour wurde. Der 1966 geborene Saarländer besitzt einen deutschen und einen französischen Pass. Wer Frankreich verstehen will (und auch etwas aus dem Familienleben der Minkmar-Hempels mit zwei Kindern und einem Airfryer erfahren will), muss seine Texte lesen (hier, hier oder hier).

Auch Heike Hempel dachte, so wie wir, dass sie über die französische Verwandtschaft ihres Mannes gelernt hätte, die feinen kulturellen Unterschiede der beiden Länder zu beherrschen. Er brachte ihr zum Beispiel bei, dass man in Frankreich, anders als in ihrer wortkargen Heimat Nordhessen, bestimmte Fragen stellen muss, andere wiederum auf gar keinen Fall stellen darf, etwa wann la famille auf Besuch wieder abreist. Mon dieu, pas question!

Bei Arte scheint der Dialog zwischen den Kulturen nicht minder komplex zu sein. Oder wie Hempel sagt: „ein Abenteuer, wenn auch ein sehr schönes und bereicherndes Abenteuer“. Übrigens, ergänzt sie, begegne sie auf den Senderfluren auch sehr vielen jungen italienischen, polnischen, spanischen und englischen Kolleg*innen: „Es ist sehr lustig, wenn wir dann alle mit unseren unterschiedlichen Akzenten Französisch sprechen.“

Die Fremdsprache ihrer ersten Wahl ist eigentlich Spanisch. In Salamanca absolvierte Hempel in den 1980ern ein Auslandssemester während ihres Spanischstudiums. In Köln und Berlin studierte sie dazu Germanistik und dieses seltsame The-Fi-Fe, also Theater- und Film- und Fernsehwissenschaft.

Event-Serie statt Mehrteiler

Dass sie sich überhaupt für Film und Fernsehen begeisterte, lag an ihren Großeltern, die sie als Kind wegen jeder guten Unterhaltungssendung wieder aus dem Bett geholt hätten, sagte sie einmal einem Fachmagazin. Script-Continuity bei „Xaver und sein außerirdischer Freund“ war dann nach dem Abitur ihr allererster Filmjob. Die Science-Fiction-Heimatkomödie von Werner Possardt war quasi die bayerische Antwort auf Steven Spielbergs „E.T.“, nur nicht ganz so erfolgreich. Ein veritabler Blockbuster war dagegen Sönke Wortmanns „Der bewegte Mann“, wo Hempel als Regieassistentin mitmachte. Der WDR koproduzierte und wurde ihr erster Arbeitgeber.

Im WDR Fernsehspiel unter Leitung von „Tatort“-Erfinder Gunther Witte, ihrem ersten Mentor, arbeitete sich die Endzwanzigerin von der Dramaturgin zur Redakteurin mit Verantwortung für die Nachwuchsreihe „Avanti Debütanti“ hoch. Irgendwann lernte sie den (leider inzwischen verstorbenen) ZDF-Spielfilmchef Hans Janke kennen, dem man nachsagt, er führe mit einem ein Bewerbungsgespräch, ohne dass man es merke.

Janke fragte also, was aus Hempels Sicht im ZDF-Portfolio fehle, und sie antwortete spontan: das zeitgeschichtliche Erzählen, so wie es der WDR mit „Rote Erde“ oder den Breloer-Mehrteilern machte. 1999 (im selben Jahr startete übrigens der Deutsche Jobst Plog als Arte-Präsident!) war Hempels Wechsel vom WDR zum ZDF perfekt. Und sie setzte mit der Zeit ihre Leidenschaft und ihr Interesse um, „das scheinbar Private zu erzählen und das Politische darin zu finden“.

Die Mehrteiler „Dresden“ (2006) und „Unsere Mütter, unsere Väter“ (2013) waren damals ein riskantes Unterfangen, weil es um Deutsche als Opfer ging. Beide Produktionen wurden aber ein Riesenfernsehereignis und von der „taz“ bis zur „FAZ“ (wo Nils Minkmar zufälligerweise Feuilleton-Chef war) mit Kritikerlob bedacht. Solche Events zu schaffen, über die man wirklich spricht, ist schwieriger geworden. Aber Heike Hempel hält es nicht für unmöglich.

An ihrer 23-jährigen Tochter sehe sie, dass fiktional erzählte Zeitgeschichte wie in „Ku’damm“ immer noch unterschiedliche Generationen erreicht, wenn auch auf unterschiedlichen Ausspielwegen. Ob man die seriell erzählte ZDF-Reihe von Annette Hess über die Schöllack-Frauen nun als Mehrteiler oder High-End-Serie einordne, ist für die Fiction-Chefin zweitrangig. „Ku’damm“ (bald kommt die vierte Staffel, „Ku’damm 77“) steht für sie eindeutig in der Tradition von „Dresden“. Die Event-Serie habe den guten alten Mehrteiler abgelöst. Er sei moderner geworden.

So wie die Schöllacks im Berlin der Nachkriegszeit ihre Frau stehen mussten, so musste sich auch Heike Hempel als Anfang 30-jährige ZDF-Redaktionsleiterin erst einmal Respekt in der Männerwelt auf dem Mainzer Lerchenberg verschaffen.

 

"Man muss den Fortschritt einfordern, dann kommt man weiter."

 

Gern erzählt sie die Anekdote, wie ihr Produzenten auf Senderbesuch Hut und Mantel in die Hand drückten und Kaffee bestellten, nicht nur einmal kam das vor. Aber sie schaffte es, mit ihrer Arbeit und sicher auch mit ihrem offenen Wesen zu überzeugen, sowohl die Auftragnehmer als auch ihre ZDF-Chefs. Parallel Kinder zu bekommen war kein Karrierekiller. Als sie nach dem ersten Kind auf eine halbe Stelle zurückwollte, war Hans Jankes einzige Aussage dazu: „Wir nehmen dich halt so, wie wir dich kriegen können.“ Ihr Teenager-Sohn würde sagen: „Cool.“

Heike Hempel © ZDF/Tim Thiel
Und die Frauen-Lage bei Arte? Nun ja.

Im mittleren Management, im Vorstand von Arte GEIE (darunter Programmdirektorin Ingrid Libercier und Verwaltungsdirektorin Marysabelle Cote): lauter Frauen, soweit cool. Aber mit Heike Hempel hat Arte in der 33-jährigen Sendergeschichte erst die zweite Frau an der Senderspitze (nach der Französin Véronique Cayla, die von 2011 bis 2015 Präsidentin war). „Der Fortschritt ist eine Schnecke“, zitiert Hempel Günter Grass und fügt hinzu: „Man muss den Fortschritt einfordern, beharrlich dranbleiben, dann kommt man weiter.“

Was das Inhaltliche und Technologische betrifft, hat Arte allerdings immer schon Gas gegeben, war immer schon Vorreiter besonders im Digitalen.

1996 ging Arte mit einer eigenen Webseite online und war der erste Sender, der Abrufvideos bereitstellte. Mehr als die Hälfte der Sendungen auf arte.tv werden inzwischen speziell für die digitalen Kanäle produziert. In Frankreich ist Arte Pionier auch für Podcasts. Die Distributionsstrategie zielte früh auf eine junge Nutzerschaft, die besonders Dokus und Magazine auf arte.tv schätzt. Exemplarisch hebt Hempel das Doku-Projekt „Generation Ukraine“ mit ukrainischen Filmemachern hervor. „Von daher ist Arte“, wie sie findet, „absolut à jour.“

Wenn sie sich jetzt „noch digitaler, jünger und europäischer“ für Arte vorgenommen hat, dann meint sie damit: „Wir brauchen zum einen mehr Inhalte für unsere Plattform und unser Digitalangebot.“ Zum anderen sieht sie „eine aktuell dringende gesellschaftliche und politische Notwendigkeit“, das Angebot für alle Europäerinnen und Europäer auszubauen, „auch als Gegengewicht zu den amerikanischen Medienanbietern“.

Wie sie das genau anstellen will, bleibt ein bisschen nebulös. Dass ein Ausbau Geld kostet, was eigentlich nicht vorhanden ist, auch wenn sich in Deutschland gerade gigantische Geldtöpfe auftun? Heike Hempel ist da schon Realistin genug, um zu wissen, dass mit stark steigenden Mitteln und Ressourcen nicht zu rechnen ist. Auch die EU, die Artes mehrsprachigen Ausbau (der französische Botschafter soll vom polnischen Angebot sehr angetan sein!) kofinanziert, hat gerade andere Sorgen, weil sie Milliarden für Drohnen et cetera bereithalten muss.

Aber, und da hat die deutsche Arte-Präsidentin absolut einen Punkt: „Europa ist nicht nur ein reines Wirtschafts- und Verteidigungssystem. Es ist auch etwas – ich komme von der Fiction – was zu Herzen geht.“ Gerade in diesen schwierigen Zeiten finde sie es unglaublich wichtig, dass die Europäer die unterschiedlichen Kulturen und die gemeinsamen Themen erlebbar machten und dafür auch Sichtbarkeit schaffen müssten. Politisch werde verstanden, dass Europa eine starke europäische Medienplattform brauche. „Arte bringt alles mit, um das zu leisten.“

Noch mehr Partnersender als die aktuell elf möchte Heike Hempel mit ins Boot nehmen. Und auch wenn sie es offiziell nie so sagen würde, scheint sie doch froh zu sein, dass die verwegene Idee der deutschen Medienpolitik, 3sat in Arte aufgehen zu lassen, vom Tisch ist.

Wenn sie übrigens mit ihrem französischen Pendant Bruno Patino zusammensitzt und an Artes Zukunft feilt, dann passt in die deutsch-französische Freundschaft "kein Blatt. Das sollte auch nicht so sein“, lacht die Fernseh-Präsidentin nun schon etwas müde nach der anstrengenden Arbeitswoche und wiederholt. „Bruno und ich verstehen uns tatsächlich sehr gut.“

Na, daran sollte sich die Politik ein Beispiel nehmen!